Martin Kreusch: Es ist ein Experiment

Mit einer theatralen Dokufiktion zum 9. November 1989 meldet sich die Kulturreederei zurück aus der Coronapause. Kulturfalterredakteur Martin Große sprach mit dem Regisseur und Autor Martin Kreusch über sein neues Werk.

Kulturfalter: Worum geht es in 1989 – Vielleicht ist ja schon morgen alles anders…?
Martin Kreusch: Das Stück spielt an einem Tag im Jahr 1989. Und das ist zufällig der 9. November. Das Stück beginnt am Ende dieses Tages in Köckern an einer Raststätte mitten in der DDR und wird zum Drehpunkt der Geschichte. Im Zentrum stehen die Familie Berkow, ein paar Handwerker und all die anderen, die ein- und ausgehen. Irgendwie hängt das dann alles noch  mit dem Fall der Mauer zusammen. Aber mehr will ich nicht verraten.

Die Friedliche Revolution in der DDR ist ein schon vielfach bearbeitetes Thema. Was ist das Besondere an deinem Theaterstück?

Es ist ein unaufgeregter und privater Blick auf einen Tag im Jahr. Und das ist zufällig der 9. November. Aber eigentlich ist das nicht so wichtig. Es könnte auch der 8. oder 10. November sein. Wir erzählen einzelne Geschichten von Menschen. Klar wissen alle, was los ist. Es geschehen wichtige Dinge, aber dennoch haben alle ihre Alltagsprobleme, Sorgen und Konflikte. Und alle fragen sich, wie es morgen weitergeht. Wie soll die Veränderung aussehen? Ich möchte das Gefühl dieser Zeit hervorheben. Wie waren die Menschen drauf? Was haben sie gedacht und gefühlt?



Es spielen elf Schauspieler mit. Das ist eine Menge. Wie ist das Stück aufgebaut?

Das hat sich während der Arbeit entwickelt. Wir richten den Fokus auf einzelne Charaktere und  erzählen deren Geschichten nacheinander. Da der Dreh- und Angelpunkt eine Tankstelle ist, treffen sich dort alle immer wieder. Manche tauchen öfter auf und manche verschwinden eine Weile. Es wird die Geschichte eines Tages erzählt und am Ende bekommt man ein geschlossenes Bild. Am Anfang ist man vielleicht verwundert, was das Eine jetzt mit dem Anderen zu tun hat. Doch der Schwerpunkt ist eine Geschichte, die von jeder Figur aus in unterschiedlicher Tiefe und ihrer jeweiligen Perspektiven erzählt wird.

Klingt wie ein abwechslungsreiches Stück mit vielen Szenen?

(Lacht) Ja, es gibt viele Umbauten und viele kurze Szenen. Tatsächlich  fühle ich das Stück als Film. Ob das im Theater funktioniert, ist ein Experiment. Aber ich habe ein gutes Gefühl und hoffe, dass man es anschauen kann und nicht verwirrt ist.

Im Kern geht es um den Zettel. Ein banaler Gegenstand, der die Geschichte verändert hat. Willst du zeigen, dass nicht große Verschwörungen die Welt ändern, sondern so banale Dinge wie ein Zettel?

Ich nenne das Stück auch eine „Dokufiktion“. Das bedeutet, es gibt einen realen Hintergrund – Mauerfall, Pressekonferenz mit Günther Schabowski, Zettel – aber dazu einen fiktionalen Anteil: Dieser ist ein Mix aus mehreren Gedankenwelten, was die Darsteller mir zugearbeitet haben. Die Grundidee geht auf ein Hörspiel von Sven Hornung zurück. Der bewusste Zettel ist für mich eher ein Sinnbild dafür, dass irgendwie alle damit beteiligt waren. Die Mauer wurde nicht von einer großen Idee oder Aktion oder einzelnen Politkern eingerissen, sondern von einem gemeinsamen Gefühl, einer gemeinsame Sache. Jeder hatte einen kleinen Anteil daran. Irgendwie hat alles miteinander zu tun. Leute wie du und ich haben die Mauer eingerissen. Viele waren beteiligt – und das Sinnbild für das große Ganze ist dieser Zettel.



Du sagst, die Idee stammt von einem Hörspiel?

Es gibt das Hörspiel „Die Handwerker“ von Sven Hornung. Als ich das hörte, entstand der Gedanke aus dieser Idee ein Theaterstück zu machen. Allerdings war geplant, dieses Stück gemeinsam mit den Schauspielern und ihren Erfahrungen zu entwickeln. Dann kam Corona und nichts ging mehr und die Zeit schritt voran. Also musste ich mich selber hinsetzen und das Stück schreiben. Ich habe mich lange schwer damit geatn. Aber als ich einmal einen Anfang hatte und die Figuren anfingen zu reden, da hörten sie nicht mehr auf zu quatschen und stritten sich sogar. Das ist für jeden Autoren wahrscheinlich völlig banal, aber ich fand die Erfahrung richtig toll.

Kann man sich das Stück anschauen, auch wenn man die Wende nicht selber erlebt hat?

Na klar, auf jeden Fall. Wir wollen ja die damalige Stimmung transportieren. Man bekommt ein Ahnung von der Absurdität, der Anarchie und den Möglichkeiten dieser Zeit. Dafür muss man sie nicht erlebt haben. Bei Leuten welche die Wende erlebt haben, werden aber sicher viele Erinnerungen zurückkommen.

Die Herausforderung beim Schauen wird sein, dass man sich durch die Zeitsprünge nicht verwirren lassen sollte. Auch wenn etwas im Moment nicht klar ist, wird man später merken, dass sich der Kreis schließt. Bei einem Kinofilm würde man sagen: ‚Den schaue ich mir nochmal an‘. Aber das geht ja beim Theater auch. Allein schon wegen dem breit aufgestellten und wirklich megageilen Ensemble muss man sich das Stück sowieso mindestens zweimal anschauen.

Martin, mein Martin, vielen Dank für das Interview.