Die Monate haben es eilig...
Es passiert so viel in diesen Monaten. Ich will nichts vergessen. Deswegen habe ich begonnen ein Tagebuch mit meinen Erinnerungen zu schreiben. Auch meine ganze Familie habe ich damit angesteckt. Deswegen liegt das Tagebuch im Wohnzimmer und jeder kann seine Geschichten aufschreiben. Das ist eine wirklich aufregende Sache, auch wenn bisher nur mein kleiner Bruder was eingetragen hat und ich die Fotos dazu geklebt habe.
Zum 30. Jahrestag der Wende und des Mauerfalls wollen wir euch die Geschichte von Anna erzählen. Ein junger Mensch der das Geschehen während der Wendezeit in der DDR miterlebt hat. Was würde uns Anna berichten, wenn es damals schon Internet und soziale Medien gegeben hätte? Mit Hilfe des erfundenen Charakters „Anna“ wollen wir euch auf eine Reise mitnehmen durch das bewegende und alles verändernde Jahr 1989.
Auch sie haben Fotos und Geschichten rund um den Herbst 1989 und das Frühjahr 1990? Dann scheuen Sie sich nicht und schicken uns Ihre Bilder und Ihre Geschichten. Wir veröffentlichen Sie. Schreiben Sie einfach an redaktion@~@kulturfalter.de
Weihnachten – wie Oma alles besorgte
Man oh Mann, ich hatte keine Zeit zu schreiben. Sorry. Es passiert soviel. Hier noch ein nachgereichter Text über Weihnachten und meine Oma. Der Text entstand zwischen den Jahren.Hier ist er für euch...
Endlich Weihnachten! Es ist gerade sooo viel los, deswegen habe ich mich auf das Weihnachtsfest bei meinen Großeltern in Leipzig besonders gefreut. Ich liebe Weihnachten. Auf dem alten Kleiderschrank bei meiner Oma im Schlafzimmer lagen schon seit November die Stollen von ihrem Lieblingsbäcker. Die sind doppelt so groß wie Brotlaibe, und die Stolle schmeckt einfach großartig. Ich mag sie am liebsten mit ganz viel Puderzucker und wenn er schön matschig ist. Neben der Stolle hatte sie auch wieder für jede unserer Familien eine Kiste mit den orangesten Apfelsinen, Mandarinen und Pampelmusen bereitstehen. Außerdem bekamen ich und mein Bruder je einen Knabberteller voll mit Milkaschokolade, Duplos, Erdnüssen, Schokokugeln und Mandarinen. Meine Großmutter ist ein Großmeister im Beschaffen von Dingen. Sie war so perfekt darin, dass es für mich selbstverständlich war, all diese Süßigkeiten zu essen, obwohl die alle aus dem Westen kamen. Das fast alles auf unserem Gabentisch von ‚drüben‘ stammte, wurde mir, ehrlich gesagt, erst jetzt klar. Denn nun gab es die Süßigkeiten bei meinen Mitschülern auch, weil ja nun jeder ‚rüberfahren‘ und einkaufen konnte. Auf dem Pausenhof wurde nur noch über die neuen Süßigkeiten geredet. Bevor die Mauer in Berlin fiel, war mir gar nicht klar, dass es schwer war, diese Sachen zu beschaffen. Erst letztes Jahr bekam ich mit, wie meine Oma das alles machte. Ich war sie nämlich in den Herbstferien besuchen, und das war genau ihre Vorbereitungszeit.
Wir gingen in dieser einen Woche unglaublich oft einkaufen. Im Konsum kaufte meine Oma die Zutaten für die Stollen. Diese brachte sie dann zum Bäcker auf der anderen Straßenseite. Dann ging es zum Gemüseladen, zum Fleischer und und und. An der Kreuzung in der Virchowstraße in Gohlis gab es zum Glück alle wichtigen Geschäfte. Mir fiel aber auf, dass meine Oma in einigen Läden, zum Beispiel beim Fleischer oder im Gemüseladen, nur wenig kaufte, aber dafür umso mehr mit den Verkäufern redete. Und am Nachmittag des einen Tages schickte sie mich mit drei Briefumschlägen zum Fleischer, in den Gemüseladen und zum Bäcker. Diese Briefumschläge waren offen, und in ihnen war Geld. Bezahlte sie alles im Voraus? Ich musste den Umschlag in jedem Geschäft einer bestimmten Frau oder Mann geben und genau sagen, wer der Absender war. Und kurz vor Weihnachten standen dann wie von Zauberhand geliefert die Leckereien im Schlafzimmer meiner Oma. Jetzt war mir klar, wie alles funktionierte …
Die Süßigkeiten schließlich kamen mit Paketen aus dem Westen, und meine Oma holte ebenso viele Sachen im Intershop. Ich liebte diesen Laden im Hotel Merkur. Der war so ganz anders als der Konsum. Hier gab es volle Regale mit Süßigkeiten, Kaffee, Matchboxautos, Parfüm, Wein, Kaugummis und anderen Sachen. Alles roch so gut und ungewohnt. Oma wechselte für ihren Einkauf ihr Westgeld in Forumschecks und bezahlte damit. Ich durfte mir meist ein Matchboxauto aussuchen und bekam an der Kasse immer ein Stückchen Minimilkaschokolade geschenkt.
Die Westpakete hingegen rochen nicht so gut wie der Intershop. Omas Verwandte packten nämlich immer auch einige Kleidungsstücke mit rein, weil sie dachten, wir könnten die noch tragen. Meistens waren sie jedoch abgetragen und vollkommen hässlich. Was dachten die, was wir hier anziehen? Die muffigen Klamotten flogen also meistens sofort weg, während das Duplo auf dem Naschteller landete.
Nun war das alles nicht mehr nötig, aber das tat dem Weihnachten 89 keinen Abbruch … Wir schlemmten und beschenkten uns wie die anderen Jahre. Aber es wurde mehr geredet, über das, was da alles jetzt kommen könnte.