Diese Pressekonferenz veränderte die Welt

Am 9. November 1989 las der Sprecher des Politbüros der SED, Günter Schabowski, bei einer Pressekonferenz von einem Zettel ab und verkündete die Reisefreiheit. Eine Kommunikationspanne der DDR-Führung, die die Welt veränderte.


Die Mauer öffnet sich - Waaahnsinn

Konkret erinnern, kann ich mich an nur folgende Begebenheiten zum Tag des Mauerfalls. Ich war damals ja erst zwölf Jahre alt. Dennoch weiß ich, dass in den Tagen rund um den 9. November viel über Reisefreiheit diskutiert wurde. Gebannt haben wir am 4. November im Fernsehen die größte Demo in der DDR verfolgt. Eine Million Menschen gingen damals in Berlin auf die Straße. Viele Redner sprachen. Ich kann mich nicht mehr an einzelne Beiträge erinnern, aber es ging darum, dieses kleine Land DDR besser zu machen, und vor allen Dingen ging es auch um das Reisen.

Ich liebte das Reisen und ferne Länder. Ich hatte in der Schule das zweite Jahr Geographieunterricht, und die vielen Karten und Bilder von anderen Ländern faszinierten mich. Das einzige Problem war, dass wir uns das erste Jahr ausschließlich mit der DDR beschäftigt haben. Der Unterricht fing in Rostock an und hörte in Suhl auf. Ein Jahr ausschließlich dieses kleine Land? Das kann man sich kaum vorstellen. Der Unterricht war eine Qual für mich. Doch ab und an hatte unser Geolehrer ein Einsehen. Wenn wir ihn als Vertretungslehrer hatten, dann zeigte er uns Dias mit Bergen und  Landschaften aus anderen Ländern. Das waren mit Abstand meine Lieblingsstunden.

Da ich gut in der Schule war und ein so offensichtliches Interesse an seinem Fach hatte, durfte ich immer die Dias einlegen und den Projektor bedienen. In diesen Stunden träumte ich davon, Geografie zu studieren und es mir dadurch zu ermöglichen, ins Ausland zu reisen, auch wenn es nur die Sowjetunion war. Mein absoluter Traum waren aber die großen Seen in Amerika. Die waren für mich etwa so weit weg wie der Mond. Die Great Lakes kannte ich schon auswendig, da war Amerika als Schulstoff noch zwei Jahre entfernt.

Für den 9. November war nun diese Pressekonferenz angekündigt worden, weswegen wir als Familie, wie so oft, vor dem Fernseher versammelt waren und die Aktuelle Kamera, die Nachrichtensendung der DDR, schauten. In dieser verkündete nun dieser komische Herr Schabowski, der aussah wie ein netter Oberlehrer, dass man ab sofort ins Ausland reisen könne. Wir konnten es kaum glauben. Meine Eltern reden bis heute nicht viel über Politik und an diesem Abend auch nicht. Ich glaube, ihnen war, wie vielen anderen, die Tragweite dessen gar nicht bewusst. Auf einmal konnte man reisen? Einfach so? Wir haben es vernommen, aber so richtig geglaubt hat es keiner bei uns. Erst als auch die Tagesschau dasselbe sendete, ahnten wir, dass da etwas dran sein könnte.

Ich musste an meine Oma denken. Die konnte als Rentnerin schon immer in den Westen reisen. Sie hatte Verwandtschaft „drüben“ und versorgte meinen Bruder, mich und meine Cousins immer mit Schokolade und Matchboxautos. Sie machte das so gut, dass ich keine Erinnerung an Ostschokolade habe, sondern nur an Milka, Sarotti und Lindt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mein Wunsch stand auf jeden Fall fest. Ich wollte mit meiner Oma nach Hamburg fahren. Mein Bruder verkündete uns am nächsten Morgen seinen Entschluss, nach Berlin zu fahren. Ich musste am Abend des 9. November wie immer ins Bett, denn am nächsten Tag war Schule. Meine Eltern und ich sollten erst 14 Tage nach dem Mauerfall nach Goslar fahren. Eine Tatsache, die mich unglaublich nervte. Ich wollte gleich los und gleich ganz weit weg… Endlich reisen …  


Der Mauerfall - damals wie heute ein bewegender Moment


Die Monate haben es eilig...

Es passiert so viel in diesen Monaten. Ich will nichts vergessen. Deswegen habe ich begonnen ein Tagebuch mit meinen Erinnerungen zu schreiben. Auch meine ganze Familie habe ich damit angesteckt. Deswegen liegt das Tagebuch im Wohnzimmer und jeder kann seine Geschichten aufschreiben. Das ist eine wirklich aufregende Sache, auch wenn bisher nur mein kleiner Bruder was eingetragen hat und ich die Fotos dazu geklebt habe.

Zum 30. Jahrestag der Wende und des Mauerfalls wollen wir euch die Geschichte von Anna erzählen. Ein junger Mensch der das Geschehen während der Wendezeit in der DDR miterlebt hat. Was würde uns Anna berichten, wenn es damals schon Internet und soziale Medien gegeben hätte? Mit Hilfe des erfundenen Charakters „Anna“ wollen wir euch auf eine Reise mitnehmen durch das bewegende und alles verändernde Jahr 1989.

Auch sie haben Fotos und Geschichten rund um den Herbst 1989 und das Frühjahr 1990? Dann scheuen Sie sich nicht und schicken uns Ihre Bilder und Ihre Geschichten. Wir veröffentlichen Sie. Schreiben Sie einfach an redaktion@~@kulturfalter.de