Erinnerungen meines Onkels Ulrich

Mein Onkel Ulrich hat mir gestern beim Adventskaffeetrinken Folgendes über den 9. Oktober und andere Montagsdemos erzählt. Ich schreibe es mal so nieder, wie er es mir erzählt hat.

Ich war am 9. Oktober 1989 mit in der Marktkirche. Wir waren wohl mehr die „Wir-bleiben-hier-Fraktion", während die „Wir-wollen-raus-Fraktion" draußen war, die ja auch schon am 7. Oktober m.o.w. demonstriert hatte. Ich denke, wir waren 400 bis 500 Leuten in der Kirche. Inzwischen – also heute – kursieren auch Berichte, dass es 2.000 (!) Menschen gewesen sein könnten. Der Pfarrer aber erzählte kürzlich, dass so viele Menschen gar nicht in die Kirche gepasst hätten... Aber auch die Teilnehmerzahlen der anderen Demonstrationen steigen ja immer noch. Über den 4. November in Berlin erzählt man inzwischen, dass es über eine Million Demonstranten gewesen wären.

Aber zurück zum 9. Oktober. Die Polizei hatte dann eine Kette an der Ostseite der Marktkirche gezogen, so dass der Zugang zum Markt von der Marktkirche aus versperrt war und sich die Gruppen auch nach dem Ende der Veranstaltung in der Marktkirche nicht wieder vereinigen konnten. Wir mussten die Kirche auf der Seite zur Marienbibliothek hin durch eine kleine Tür verlassen, damit es eben zu keinen neuen Ansammlungen kommen konnte. So wurden wir quasi einzeln und durch ein Polizeispalier gleich über die Treppe hinunter zum Hallmarkt weggeleitet. Dort wurden wir zerstreut, das heißt wir mussten den Platz verlassen. Da die Talamtstraße zum Markt versperrt war, zogen wir über die Oleariusstraße ab.

Bei dieser Demonstration und den nächsten Versammlungen, wie in der Pauluskirche und -gemeinde zur Zulassung des Neuen Forums und auch die nächsten zwei bis drei Montagsdemos waren noch nicht so viele Leute: Am 16. Oktober waren es ca. 1500 und am 23. Oktober war es so gespenstisch durch den dichten Nebel, so dass man doch Sorge hatte, dass daraus nicht gleich die Polizei aufmarschiert. Am 30. Oktober waren wir dann doch schon 30.000 Menschen. Ab da schien die Gefahr gebannt zu sein. Das waren sehr bewegende Momente. Am 6. November kamen schon die ersten Stimmen nach Maueröffnung, zuvor ging es eher um politische Erneuerungen. Und ab dem 13. November war der Damm in Richtung D-Mark gebrochen. Die Menschen wollen eine Wiedervereinigung. Ein Ruf, der auch von den Parteien aus der BRD aufgegriffen wird. Mir war das etwas befremdlich, dass alle jetzt nur noch das Westgeld wollen. Können wir nicht eigene Wege gehen mit unserem Staat?

Ich hätte gar nicht gedacht, dass Onkel Ulrich überhaupt zu den Demos geht. Deswegen finde ich seine Erinnerungen umso spannender. Danke lieber Onkel.


Die Monate haben es eilig...

Es passiert so viel in diesen Monaten. Ich will nichts vergessen. Deswegen habe ich begonnen ein Tagebuch mit meinen Erinnerungen zu schreiben. Auch meine ganze Familie habe ich damit angesteckt. Deswegen liegt das Tagebuch im Wohnzimmer und jeder kann seine Geschichten aufschreiben. Das ist eine wirklich aufregende Sache, auch wenn bisher nur mein kleiner Bruder was eingetragen hat und ich die Fotos dazu geklebt habe.

Zum 30. Jahrestag der Wende und des Mauerfalls wollen wir euch die Geschichte von Anna erzählen. Ein junger Mensch der das Geschehen während der Wendezeit in der DDR miterlebt hat. Was würde uns Anna berichten, wenn es damals schon Internet und soziale Medien gegeben hätte? Mit Hilfe des erfundenen Charakters „Anna“ wollen wir euch auf eine Reise mitnehmen durch das bewegende und alles verändernde Jahr 1989.

Auch sie haben Fotos und Geschichten rund um den Herbst 1989 und das Frühjahr 1990? Dann scheuen Sie sich nicht und schicken uns Ihre Bilder und Ihre Geschichten. Wir veröffentlichen Sie. Schreiben Sie einfach an redaktion@~@kulturfalter.de