"Weil sie die Seelen fröhlich macht" - Protestantische Musikkultur seit Martin Luther

"Ich liebe die Musik, und es gefallen mir die Schwärmer nicht, die sie verdammen. Weil sie erstens ein Geschenk Gottes und nicht der Menschen ist, zweitens weil sie die Seelen fröhlich macht, drittens weil sie den Teufel verjagt, viertens weil sie unschuldige Freude weckt. Darüber vergehen die Zornanwandlungen, die Begierden, der Hochmut. Ich gebe der Musik den ersten Platz nach der Theologie. [...] Fünftens weil sie in der Zeit des Friedens herrscht.“ 1530 skizzierte Martin Luther diese Gedanken über die Musik. Sie ist für ihn Teil der Schöpfung: Von Beginn an wohnt Musik den Kreaturen, insbesondere den Vögeln, aber auch der Materie inne. Als Krone der Schöpfung hat Gott den Menschen mit seiner Stimme und der Fähigkeit zu singen beschenkt. So kann Musik als gesungenes Wort das Evangelium verkündigen, Gott loben und zu ihm beten.

Die lutherische Reformationsbewegung war eine Singbewegung: Neue Lieder, auf der Straße gesungen und weitergetragen, trugen dazu bei, das reformatorische Gedankengut zu verbreiten und wurden zum Markenzeichen der Lutheraner. Doch Luther wusste auch um die pädagogische Bedeutung der Musik und wollte diese fest in den Schulen verankert haben. Schüler bildeten den Kern der neu entstehenden Kantoreien, die die einstimmige und mehrstimmige Musik (Figuralmusik) im Gottesdienst bestritten. So sind Kirchenlied und Figuralmusik zwei wichtige Säulen der protestantischen Musikkultur in ihrer fast fünfhundertjährigen Geschichte. In Halle fand die Einführung der Reformation mit der Vereinigung der bisherigen Pfarrschulen zu einem lutherischen Gymnasium, das seinen Platz im ehemaligen Franziskanerkloster erhielt, ihren Abschluss.



Der aus den früheren Sängerchören der Schulen entstandene Schulchor, jetzt Stadtsingechor genannt, wurde tonangebend für die Kirchenmusik an den drei Pfarrkirchen (Abb. 1). 1628 schuf die Stadt für den schon zu Lebzeiten hoch geachteten Orgelkünstler, Pädagogen und Komponisten Samuel Scheidt (1587–1654) das neue Amt des Director musices. Von nun hatte der Organist der Marktkirche Unser lieben Frauen das höchste musikalische Amt der Saalestadt inne. Bei den gottesdienstlichen Auff ührungen von Figuralmusik, die in einem bestimmten Turnus zwischen den drei Pfarrkirchen wechselten, unterstanden ihm neben dem Schulchor auch die Stadtpfeifer. Diese Aufwertung des Organistenamtes fi ndet in anderen nord- und mitteldeutschen Städten der Zeit kaum einen Vergleich.

Seit 1684 übte das Musikdirektorat Friedrich Wilhelm Zachow (1663–1712) aus, dessen 300. Todestag in diesem Jahr begangen wird. Sein Schüler Georg Friedrich Händel (1685–1759) verdankte ihm einen umfassenden Unterricht im Orgel- und Cembalospiel, Kontrapunkt und in der Beherrschung der verschiedenen Kompositionsstile. Heute fi nden auch Zachows erhaltene Kompositionen, mehr als 30 Kantaten und verschiedene Werke für Cembalo und Orgel, wieder zunehmend Beachtung, dokumentieren sie doch die Experimentierfreude des Komponisten in einer Zeit, in der sich die Kirchenkantate zur repräsentativsten Gattung der protestantischen Kirchenmusik ihrer Zeit entwickelte.



Zu einem Zentrum der Gesangbuchproduktion wurde Halle zu Beginn des 18. Jahrhunderts, als Johann Anastasius Freylinghausen (1670– 1739) mit seinem Geist=reiche[n] Gesang=Buch 1704 (zweiter Teil 1714) das bedeutendste Gesangbuch des Pietismus herausgab (Abb. 2) und damit dem pietistischen Liedersingen in Deutschland zu seinem Durchbruch verhalf. Erprobt und weitergegeben wurden diese neuen Lieder, die mit ihren beschwingten Melodien von Buße, Bekehrung und Hoffnung singen, in den öffentlichen Singstunden August Hermann Franckes (1663–1727) und im Musikunterricht seiner Schulen. Das hier zu erlernende Singen nach Noten diente nach Francke vor allem der Frömmigkeitsförderung und Erbauung. Diesen unterschiedlichen Gesichtern und Bewegungen der protestantischen Musik bis in unsere Tage widmet sich die Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen zu Halle, die im Rahmen der Kooperation mit der Stiftung Händel-Haus Halle zum Themenjahr „Reformation und Musik“ innerhalb der Lutherdekade stattfindet.

(Cordula Timm-Hartmann, Kulturfalter April 2012)