August Hermann Francke und die „Marke“ Waisenhaus

Schon ab 1695 ließ August Hermann Francke eigene Predigten und Traktate auf dem deutschen Buchmarkt vertreiben. Demnach war es Francke schon früh bewusst, dass der Erfolg des weit dimensionierten Unternehmens in und von Glaucha, das er in den folgenden Jahrzehnten realisieren sollte, nicht nur durch Frömmigkeit und Vertrauen in Gott ins Werk gesetzt werden konnte, sondern dass es einer medialen Inszenierung, einer Außendarstellung, bedurfte, damit sein Werk von der stetig wachsenden Öffentlichkeit seiner Zeit wahrgenommen wurde. Demgemäß baute er in den folgenden Jahren zielgerichtet eine mediale Basis auf. Zugleich mit dem Bau des Waisenhauses gründete er einen Verlag mit eigener Buchhandlung, die 1699 vom brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. privilegiert wurden. In diesem Verlag wurden nicht nur Werke hallischer Professoren, sondern gerade auch pietistische Literatur und vor allem Schriften von Francke selbst verlegt. Die Buchhandlung sollte später auch Filialen in Berlin und Frankfurt am Main eröffnen. 1701 wurden dann zwei Druckerpressen aus der Offizin Christian Henckels erworben und im Souterrain des Waisenhauses aufgestellt, so dass man nunmehr die verlegten Werke selbst drucken konnte.

Darüber hinaus scheint es Francke aber auch klar gewesen zu sein, dass er „Imagepolitik“ betreiben musste, um seinen Anliegen internationale Wahrnehmung zu verschaffen. Davon zeugt heute noch die schmuckvoll gestaltete Schaufassade des Historischen Waisenhauses, die damals wegen ihrer schlossartigen Anmutung Staunen hervorrief, aber Francke auch von seinen Gegnern die Kritik einbrachte, dass er „ein Schloss für Waisenkinder“ baue. Sogar den Begriff „Hallesches Waisenhaus“ etablierte Francke gleichsam zu einer Marke für alle seine Unternehmungen. Denn nur ein kleiner Teil der Kinder, die in seiner Schulstadt lebten, waren wirklich Waisenkinder. Vielmehr lebten Kinder aus allen Ständen dort, selbst aus dem protestantischen Adel, und deren Schulgeld war eine wichtige Einnahmequelle für die Anstalten Franckes.



Beispielhaft für diese Imagepolitik ist der „Verlag des Halleschen Waisenhauses“. Seine Signets, die auf die Titelseite aller vom Verlag herausgegebenen Bücher prangten, zeigen – je nach Entwicklungsphase der Anstalten – die Schaufassade des Waisenhauses (Abb. Teaserbild) bzw. später die gesamte Schulstadt von Süden (Abb. Artikelbild oben). Die zur Sonne strebenden Adler verweisen nicht nur auf das Tympanon des Waisenhauses mit dem Jesajawort (40,31): „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren zum Himmel wie Adler“, sondern deuten als preußische Adler auch auf den Schutz durch das preußische Königshaus hin. Das lateinische Motto „Illo splendente levabor“ (Durch seinen Glanz werde ich erhoben werden) sollen von der Gottgefälligkeit der Anstalten Zeugnis ablegen. Den Sämann im Vordergrund interpretierten die bibelfesten Zeitgenossen als einen Verweis auf das Markusevangelium (4,14): „Der Sämann sät das Wort.“ Und gerade dies war das Grundanliegen Franckes: Vermittels des Wortes die Welt zu verändern.

(Claus Veltmann, Kulturfalter April 2013)