Es wird gebaut im Stadtmuseum - mehr Platz für Erinnerungen
Zum Stadtmuseum von Halle geht‘s über die Große Märkerstraße, und die geht direkt vom Marktplatz ab. Ein einfacher Weg. Aber das täuscht. An der Straßenbahnhaltestelle lautet die Beschreibung anders: „Christian-Wolff-Haus? Ach so, das Stadtmuseum, ach ja, kompliziert.“ Allein kann das keiner lösen. Drei Hallenser beraten gemeinsam: „Du, ist das nicht da unten, Kuhstraße, Kuhgasse?“ So also lautet die erste Beschreibung. Dann tragen alle drei noch einmal zusammen, wo es langgeht: „Also, hier runter.“ – „Ja genau. Und dann links.“ – „Und wenn Sie von hinten kommen durch die Kleine Märkerstraße.“
Das Stadtmuseum von Halle ist ein kleines Haus. Es liegt in der Innenstadt und ist eigentlich gar nicht so versteckt. Doch es fällt nicht auf. „Neunzehnhundertdreiundfünfzigvierundfünfzig wurde das stadtgeschichtliche Museum gegründet. Der Grund war so ein Urbedürfnis der Leute, etwas zu entdecken, was die Stadt ausmacht, die Region. Aber das bekam dann sehr schnell einen Beigeschmack, den eines parteigeführten Museums.“ Cornelia Zimmermann ist die Kuratorin. Sie will eigentlich über die Pläne ihres Hauses reden, darüber, dass Halle so wie jede andere Großstadt in Deutschland jetzt ein ganz neues stadtgeschichtliches Museum bekommt, ein Haus, wo die Leute hingehen, um ihrem Besuch zu zeigen, wie es früher in ihrer Stadt aussah, wie es dazu kam, dass manches fehlt oder so komisch umgebaut wurde. Aber zunächst entschuldigt sich die Museumskuratorin. Und sie macht das zusammen mit ihrem Chef.
„Das Ganze hatte diesen Gründungsmakel bis in die 90er Jahre“, erklärt Museumsleiter Ralf Jacob. „Die Bürger hatten kein Vertrauen, auch etwas abzugeben an das Museum. Sie sahen es dort nicht unbedingt gut aufgehoben oder bewahrt“, sagte Jacob. Er erklärt es, als habe er den Umgang der Funktionäre mit der Stadtgeschichte zu verantworten. „Es war die Partei, die hier der Empfänger war.“ Forschung, so Jacob, fand nur sehr wenig statt, eher noch das Archivieren. Und vieles musste gedeutet werden. Dann springt Jacob gedanklich. Plötzlich ist er im Jahr 2013. „Stadtgeschichte kann hier an einem wirklich musealen Ort projektiert werden“, sagt der Historiker und faltet ein Blatt auseinander. „Wir wachsen … Das Stadtmuseum baut“ lautet die Überschrift. Das Blatt erzählt die Geschichte des Hauses und des Grundstücks. Es beschreibt, dass hier vor mehr als 200 Jahren Halles schönster Nelkengarten stand, dass dann die Druckerei und die Verlagsanstalt Gebauer & Schwetschke einzogen, die hier ihr Gewerbe aufbauten, und dass das Haus in der DDR-Zeit zur Druckerei „Freiheit“, Betriebsteil II wurde. 1992 allerdings war Schluss, die Druckerei zog aus. Seitdem stand das Gebäude direkt neben dem Stadtmuseum im Christian-Wolff-Haus leer. Nun soll in das Haus Museumsleben einziehen, ein Ausstellungs-, Bildungs- und Kommunikationsort soll entstehen.
Das Stadtmuseum wächst. Aufschluss über den Aufbauplan gibt ein Grundriss mit der Überschrift „Die Zeitreise kann beginnen“. Jacob holt das Blatt hervor und macht den Sprung zurück in die Gegenwart: „Der Plan also. Das fängt bei der Werkstatt an. Das war der Hof bislang. Jetzt bekommen wir Arbeitsräume.“ Und dann geht es wieder in die Zukunft: „Hier wird es Wechselausstellungen geben.“ Jacob ordnet sich ein bisschen und breitet dann den Grundriss des neuen Stadtmuseums aus. 1500 Quadratmeter Ausstellungsfläche sollen es werden, später gar insgesamt 2000. Im Untergeschoss sollen das Depot und die Technik untergebracht werden, dazu Garderoben und Schließfächer für die Besucher. Im Ergeschoss liegen, der Eingangsbereich sowie Räume für Wechsel- und Sonderausstellungen. Dann das erste und das zweite Obergeschoss, der neue Mittelpunkt des Hauses mit der ständigen Ausstellung „1200 Jahre Sadtgeschichte“. Hier sollen der Salzhandel, die Wissenschaftsgeschichte, die Kulturhistorie und die Medienentwicklung beleuchtet werden, hier soll es um die Entwicklung und um deren Brüche gehen. Ganz oben sollen dann die museumspädagogischen Räume entstehen.
Baustelle alte Druckerei - das Stadtmuseum braucht Platz
Noch kann man es sich nicht vorstellen, was Jacob so schön beschreibt. Die Druckerei ist ausgeräumt, die Säle sind entkernt. Die Kuratorin Cornelia Zimmermann geht durch die leeren Räume im obersten Geschoss und schabt ein bisschen über den Betonfußboden, also würde sie prüfen, ob es auch hält. Dann blickt sie hoch und zeigt auf die Wand: „Hier, ach ja, die alten Parolen.“ An der Decke weist sie auf zwei Aufschriften: „Plane mit, arbeite mit, regiere mit!“ und „Alles zum Wohle des Volkes!“ Schon der Umbau ist für Cornelia Zimmermann Museumsarbeit: Was soll erhalten bleiben, und warum gerade das? Wie soll es eingebunden werden in die Arbeit? Zwei Millionen Euro fließen aus dem Konjunkturpaket II in die Sanierung des Hauses. Zwanzig Prozent der Summe legt das Land noch obendrauf. „Hier wurde endlich gesagt: Wir geben Mittel für die Entwicklung eines Museums. Also nicht einfach nur Gelder für eine Turnhalle, für Besuchertoiletten in der Innenstadt oder für Kindergärten.“ Dies sei auch ein Zeichen der Wertschätzung der Arbeit des Stadtmuseums. So wichtig all die anderen Dinge auch seien.
Jacob erklärt sein Haus wie den Urnengang bei einer Wahl: „Die sogenannten Best-Ager sind für uns die wichtigsten Kunden. Das sind die Multiplikatoren. Die tauschen sich aus. Das geht dann in beide Richtungen. Wenn es denen also gefallen hat, breitet sich das aus. Genauso aber, wenn es denen nicht gefallen hat.“ Zwar redet Jacob über die Pläne für den Ausbau des Museums, aber gleichzeitig redet er zu seinen Museumsgästen: „Wenn man jemanden hat, noch kein Rentner, aber vielleicht schon älter, jemanden also, der mit einem Objekt einen bestimmten Lebensabschnitt verbracht hat, der weiß dann natürlich genau Bescheid. Viele aber, viele verhauen sich da oft auch ordentlich in der Erinnerung.“ Jacob redet von Belegen und von Dokumentationen, die für Stadtgeschichte von enormer Bedeutung sind, weil erst die Umstände die Objekte des Museums zu Objekten der Geschichte der Stadt machen.
Und dafür braucht er Platz. Jacob erklärt das Problem seines Hauses. Das Dilemma eines Stadtmuseums, so Jacob, ist seine Zwitterrolle. Es kann sich nicht so einfach einem Sammlungsgegenstand widmen, für den es eine Expertise entwickelt. Das Stadtmuseum ist für die Leute der Ort der heimatlichen Chronisten. Und auch für die Politiker. „Die wollen natürlich immer eine aktuelle Ausstellung. Für die letzten Entwicklungen suchen sie hier nach der Geschichte. Und dann haben wir aber eine Fahne aus dem Siebenjährigen Krieg, eine Standarte, ein Schmuckstück“, sagt Cornelia Zimmermann. „Diese Fahne müssen wir restaurieren, müssen sie beschreiben und müssen sie, wenn wir sie zeigen, einordnen. Auch wenn den wenigsten, die ins Stadtmuseum kommen, der Siebenjährige Krieg einfällt.“ „Sammeln, bewahren und fördern“, sagte Jacob. Dies sei seine Arbeit und die seiner Kollegen im Stadtmuseum. Er sagt es gleich mehrfach, als sei dies die neue Losung für die Wand in der alten Druckerei. In dem künftigen Museum ist nun Platz für all das. Ein Haus für den Wandschmuck aus dem 18. Jahrhundert, auf dem Samson mit dem Löwen kämpft, ein Haus für die Standarte aus dem Siebenjährigen Krieg und ein Haus für die Mikrowelle aus dem Genex-Katalog.