"Und der Mensch von Natur zu wissen begierig ist" (Christian Wolff) - Wissensdurst und Entdeckerlust im Zeitalter der Aufklärung

Das 18. Jahrhundert erbrachte einen immensen Zuwachs an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Entdeckungen und ließ immer mehr Menschen an diesen Ergebnissen teilhaben. Der in Halle ansässige Philosoph und Universitätsprofessor Christian Wolff (1679–1754) steht stellvertretend für ein neues Selbstverständnis  aufgeklärten Denkens und wissenschaftlichen Arbeitens. Sein Lehrerfolg knüpfte sich an die konsequente Nutzung des Deutschen als Wissenschaftssprache, die thematische Breite vermittelter Inhalte und an den in Vortrag wie Veröffentlichungen spürbaren freien Geist. Er forderte und förderte das selbstständige Denken seiner Studenten und publizierte seine Werke mit dem Anspruch, große Teile des verfügbaren Wissens in populärer Form zugänglich zu machen.

Als ein Beispiel dafür steht Wolffs 1716 herausgegebenes „Mathematisches Lexicon“. Auf damals noch ungewöhnliche Art erschließt es dem Leser die Grundbegriffe einer Fachwissenschaft in Form eines alphabetischen Nachschlagewerks. Dabei gehen die betrachteten Themen und Gegenstände des Buches weit über die reine Mathematik hinaus. Es finden sich hier Schlagwörter von der Baukunst (Abacus) bis zum Feuerwerk (Zündschwämme). Auch der Globus taucht als erläuterter Begriff auf und soll im Folgenden als Beispiel dienen, weil ein solcher als Objekt aus dem 18. Jahrhundert einen prominenten Platz in der zukünftigen Dauerausstellung im Wohnhaus des Aufklärungsphilosophen finden wird.



Bei Wolff ist über den Erdglobus Folgendes nachzulesen: „Globus terrestris, eine Erdkugel; Ist eine durch die Kunst zubereitete Kugel, darauf nicht allein die vornehmsten Circul, welche man sich auf der Fläche der Erde einbildet, verzeichnet, sondern auch die vornehmsten Oerter in den vier Theilen der Welt in gehöriger Weite zugleich aufgetragen. Diese Kugeln dienen dazu, daß man die Beschaff enheit der Erde leichter erkennen, und, was in der Geographie von ihr erwiesen wird, ohne einige Mühe und gleichsam spielend erlernen mag“. Das in Halle präsentierte Exemplar weist die von Wolff beschriebenen Qualitäten der anschaulichen Demonstration geographischer Gegebenheiten durch Nachbildung einer Erdkugel auf. Der Erdglobus entstand 1792 beim damals bekanntesten Globenhersteller Nürnbergs, Johann Georg Klinger (1764–1806).

Schon 300 Jahre zuvor hatte Martin Behaim in Nürnberg das erste überlieferte Exemplar eines Erdglobus – „Erdapfel“ genannt – geschaffen, welcher die neuen Erkenntnisse über die Beschaff enheit der Erde eindrücklich darstellte. Der Globus von Klinger wurde 2002 umfangreich restauriert, wobei er in seine Einzelteile zerlegt wurde. Er zeigt Tierkreiszeichen, Monatsnamen, Himmelsrichtungen und eine Längeneinteilung. Der zu Lebzeiten Christian Wolffs noch unbekannte Kontinent Australien ist ebenso eingezeichnet wie, als besondere Attraktion, die drei großen Entdeckungsfahrten von James Cook und die Routen weiterer Seefahrer. Die Cook’schen Seereisen sind von besonderem Interesse, weil an der zweiten Weltumseglung auch der mit Halle verbundene Naturforscher Johann Reinhold Forster (1729–1798) mit seinem Sohn Georg teilnahm. Die Reise mit den beiden Segelschiff en „Resolution“ und „Adventure“ dauerte von 1772 bis 1775 und erbrachte einen großen naturwissenschaftlichen und ethnografischen Ertrag, an dem Johann Reinhold und sein Sohn als wissenschaftliche Begleiter besonderen Anteil besaßen.



Forster führte auf der Reise die Expeditionstagebücher und sammelte darin zoologische, botanische und mineralogische Untersuchungen. Die Publikation dieser Ergebnisse machte den Naturforscher weithin bekannt und führte zu seiner Berufung nach Halle im Jahre 1779. Er kam zurück an die Universität, an welcher er noch zu Lebzeiten Christian Wolff s im Jahre 1749 ein Studium der Theologie aufgenommen hatte. Als Professor für Naturgeschichte und Mineralogie konnte Johann Reinhold Forster den Studenten sein ungewöhnlich vielfältiges Wissen vermitteln und ihren Blick auch auf die Wahrnehmung fremdartiger Kulturen richten, die im bis dahin auf Europa konzentrierten Kulturverständnis keine Rolle spielten. Dass Europa in der geographisch fast vollständig erkundeten Erde am Ende des 18. Jahrhunderts nur begrenzten Raum einnimmt, spiegelt der Globus auf eindrucksvolle Weise wider.

Das Stadtmuseum Halle mit dem Christian-Wolff-Haus eröffnet 2012 im Rahmen des Themenjahres „Geselligkeiten“ innerhalb der Landesinitiative „Sachsen-Anhalt und das 18. Jahrhundert“ die Dauerausstellung „Geselligkeit und die Freyheit zu philosophieren“.

(Steffen Thater, Kulturfalter Mai 2012)