Geselligkeit und die „Freyheit zu philosophieren“

„Wir sitzen als Brüder beim vollen Glas im wirren Zeitendrang. Wir plaudern über dies und das bei fröhlichem Liedesklang. D’rum lebe vorerst die Geselligkeit, Die allem Trübsinn wehrt, Und Eintracht und Herzinnigkeit, Die jegliche Freude vermehrt.“ Diese Zeilen stammen aus einem Trinklied der Freimaurerloge „Zu den drei Degen“ auf dem Jägerberg (heute Sitz der Leopoldina) in Halle, das sich im Besitz des Stadtarchivs befi ndet. Die Geheimgesellschaften des 18. Jahrhunderts wie die Freimaurer boten eine besondere Form des geistigen Austausches unter dem Deckmantel spezifi scher Rituale, was auf breite adelige und bürgerliche Kreise sehr anziehend wirkte, aber nur eine Spielart neuartiger gesellschaftlicher Kommunikation in dieser Epoche darstellte.

Seit den 20er-Jahren des 18. Jahrhunderts gewann der Begriff „Geselligkeit“ an Bedeutung. Zunächst standen noch die Nützlichkeit und der allgemeine Tugendanspruch geselliger Formen des Umgangs im Vordergrund. Populäre Gattungen wie die „Moralischen Wochenschriften“ unterstützten dieses Anliegen durch die praktische Vermittlung von Verhaltensregeln. Gleichzeitig entwickelte sich das Ideal eines freundschaftlichen Miteinanders, das sich im zwischenmenschlichen Kontakt und im Kreis kleiner Sozietäten verwirklichen ließ. Das 18. Jahrhundert schuf demzufolge ganz neue Ausdrucksformen der Geselligkeit und wird daher als das „gesellige“ Jahrhundert bezeichnet.



Die Epoche der Aufklärung ist ohne Kaffeehäuser, Tabakskollegien, Lesegesellschaften, ohne gemeinschaftlich diskutierte Moralische Wochenschriften, ohne wachsende Begeisterung am Lesen in Lesezirkeln sowie Freundschaftsbünde und Gelehrtensozietäten nicht denkbar. Den verschiedenen Arten der Geselligkeit wohnte ein utopisches Potenzialinne, ging es doch immer auch um die Vorstellung eines besseren Lebens und Umgangs miteinander, um Humanität und Bildung der Menschen.

In Sachsen-Anhalt sind vielfältige Formen von „Geselligkeiten“ überliefert, und gerade die junge Universitätsstadt Halle konnte im 18. Jahrhundert Anregungen verschiedenster Art für den geistigen und geselligen Austausch bieten. Ein Podium für die wissenschaftliche Kommunikation bot die hallesche Universität, welche sich rasch als Zentrum der frühen Aufklärung etablierte und mit Christian Thomasius (1655–1728) und Christian Wolff (1679–1754) zwei herausragende Persönlichkeiten besaß. Sie legitimierten „Geselligkeit“ im Rahmen des naturrechtlichen Denkens.

Der Philosoph Georg Friedrich Meier (1718–1777) und der Dichter und Publizist Samuel Gotthold Lange (1711–1789) arbeiteten den sozialreformerischen Zweck von „Geselligkeit“ heraus, der Eigen- und Gemeinwohl anstrebte. Ihre Ideen legten sie im ersten Hauptstück ihrer von 1748 bis 1750 in Halle erfolgreich herausgegebenen moralischen Wochenschrift „Der Gesellige“ dar: „Ich verstehe unter einem geselligen Menschen einen solchen, der sich in seiner innern und äussern Einrichtung nicht als einen einzelnen Menschen, sondern im beständigen Zusammenhange mit seinen Nebenmenschen betrachtet, und sich daher in seinen Handlungen so zu verhalten bestrebet, daß er zu dem allgemeinen Wohl so viel wie möglich beytrage, um des allgemeinen Wohls insbesondere theilhaftig zu werden.“ (Der Gesellige).



Das gemeinschaftliche Lebensgefühl dieser Zeit wurde in der Saalestadt von zwei „Halleschen Dichterschulen“ ebenso geprägt wie durch den von August Hermann Francke (1663-1727) stark verankerten Pietismus, der „Geselligkeit“ und religiöse Erbauung durch gemeinschaftliche Bibellektüre pflegte. Ob im Salon der Agnes Wilhelmine Niemeyer (1769-1847) mit seinen der Literatur, Musik und Kunst zugewandten geselligen Runden oder in jenen auf dem Giebichenstein beim preußischen Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) – das hallesche Bürgertum entwickelte sich im 18. Jahrhundert zum neuen Kulturträger der Wissenschaft und des aufgeklärten Denkens.

Das Stadtmuseum Halle fühlt sich dem Zeitalter der Aufklärung besonders verbunden, weil sein Standort in der Großen Märkerstraße 10 eng mit ihm verknüpft ist. Das „Christian-Wolff -Haus“ als Teil des Museums verdankt seinen Namen dem Aufklärungsphilosophen Christian Wolff , der seine letzten Lebensjahre in diesem Bürgerhaus verbrachte. Wolff , der die „libertas philosophandi“, die „Freyheit zu philosophieren“ forderte, verlieh der Aufklärung von Halle aus Weltwirkung. Nach seinem Tod etablierte sich ab 1764 am selben Ort das renommierte Verlagshaus Gebauer & Schwetschke, das sich zu einer bedeutenden Drehscheibe innerstädtischer und überregionaler Kommunikation entwickelte.

(Cornelia Zimmermann, Kulturfalter Dezember 2011)