Bald neues Theater im neuen Theater
Mit der Spielzeit Sommer/Herbst 2011 trat der Schauspieler und Regisseur Matthias Brenner seine Intendanz am neuen Theater in Halle (Saale) an. Kulturfalterredakteur Andreas Fruhnert sprach mit dem zukünftigen Chef der Sprechbühne über Aufgaben, Probleme, Pläne, Hoffnungen – und die Aussichten für Theater in Zeiten leerer Kassen.
Kulturfalter: Herr Brenner, wie wünschen Sie sich den Intendantenwechsel am nt im Spätsommer? Beim letzten vor fünf Jahren hat es ja ziemlich geknirscht und gerumpelt, damals war das Ensemble unruhig und die Zuschauerzahlen gingen anfangs zurück...
Matthias Brenner: In der Wirtschaft gibt es den Begriff der „freundlichen oder feindlichen Übernahme“ und wenn man danach geht, arbeiten Christoph Werner und ich an einer freundlichen Übernahme! Er geht ja auch nicht, sondern bleibt der Insel im Puppentheater erhalten, außerdem hat er mir die Regie für eine der letzten Inszenierungen vor der Sommerpause angeboten. Im Moment benehmen wir uns also beide sehr anständig, was nicht heißen soll, dass es nicht auch Meinungsverschiedenheiten gibt. Peter Sodann, den Kulturinselgründer, hab ich schon getroffen und ein Weinchen getrunken. Ich möchte einfach, dass der Mann wieder ins Haus kommt, aber das braucht vielleicht noch ein bisschen Zeit. Mein Vorteil ist, dass ich hier völlig frisch und unvorbelastet reinkomme, und den will ich auch so weit es geht nutzen!
Wie gut kennen Sie mittlerweile das Theater und seine Mitarbeiter?
Ich bin ja jetzt in Abständen schon fast ein Jahr hier, schnüffele da und dort rein, kenne ja auch einige von früher: Zwei Kommilitonen von der Schauspielschule sind hier im Ensemble, mit Hilmar Eichhorn habe ich in Leipzig auf der Bühne gestanden und bin auch begeistert von den neuen Leuten. Mittlerweile kenne ich auch die komplizierten Wege in dieser Architektur, um von A nach B zu kommen... sogar die Schleichwege. Und ich freue mich einfach, jetzt immer öfter auf Entdeckungstour zu gehen, weil es einfach ein genialer Theaterbau ist.
Obwohl die neue Spielzeit mit Ihrer Intendanz erst im Spätsommer ansteht, beginnen Sie schon jetzt zu inszenieren – im neuen Theater und auch im Opernhaus.
Wie gesagt, die Einladung stand, und so wird Anfang Mai „Zscherben – ein Dorf nimmt ab“ Uraufführung haben. Oberspielleiter Jörg Steinberg hat es geschrieben, eine wundervolle Stückidee, die sich mit der Region auseinandersetzt. Das Ensemble hat es gerade bekommen, ich höre mir Kommentare an, man amüsiert sich – das ist der Stand. Und was die Oper angeht, da hat mich Axel Köhler angefragt, weil ich in Magdeburg schon Musical-Erfahrung sammeln konnte, „Dracula“ auf die Bühne zu bringen. Allerdings ein wunderschönes aber eher unbekanntes Werk vom genialen Filmkomponisten Karel Svoboda, das wir in Kooperation zeigen wollen – und dabei lerne ich auch gleich einen anderen Bereich der Kultur GmbH kennen!
Stichwort „Kultur GmbH“ – was ist das für ein Gefühl, wenn man in eine Stadt kommt, die mit den Schulden kämpft, in eine GmbH, die unter Sparzwang steht und dann möglichst etwas Neues aufbauen möchte?
Ich will mal schwarzhumorig beginnen: Was haben die Städte Erfurt, Berlin, Rostock oder Nordhausen gemeinsam? Sie haben alle geschlossene Theater, an denen ich zuvor gearbeitet habe... und jetzt komme ich nach Halle! (lacht) Nein, es geht nicht um Schulden, ich komme gerade aus der verschuldetsten Stadt überhaupt – Berlin! Aber jetzt droht uns in Halle gerade ein anderes Theater um die Ohren zu fliegen, das ist bitter und wenn das „Thalia“ explodieren sollte, dann fliegen auch uns die Splitter um die Ohren! Denn aus den anderen Häusern müssen dann wiederum junge Mitarbeiter gehen, um den Thalia-Überlebenden Platz zu machen. Sollte die GmbH, oder besser die Stadt das „Thalia“ wirklich schließen, dann sollten sie bedenken, dass es nie wieder ein Kinder- und Jugendtheater geben wird. Dass die gesellschaftliche Phantasie da nicht ausreicht, so etwas gemeinsam zu verhindern, sondern dass man sich so was auch noch juristisch erklären muss, finde ich sehr traurig. Ein bitterer Verlust, den wir übrigens als nt nicht einfach auffangen können, wir und das Puppentheater sind gar nicht in der Lage, das Jugendtheaterangebot mit vereinzelten Inszenierungen zu ersetzen. Ich würde mir vorkommen wie ein Beuteteiler und darauf verzichte ich gern.
Was reizt Sie am meisten an Ihrer neuen Aufgabe: das Theater, die eigenwillige Struktur der GmbH oder die Stadt und das hallesche Publikum?
Also, wenn ich aus einer schwierigen Sitzung mit der Geschäftsführung komme, die ich respektiere und deren Handlungsweise sogar öfter verstehe und danach vor meinem (zukünftigen) Ensemble sitze, um ihm den Spielplan vorzustellen und uns kommt ein Lächeln aufs Gesicht, weil wir an die Zukunft denken – das gibt mir Grund zur Freude. Es ist eine reizvolle Aufgabe allen Menschen, die wir unser Publikum nennen, Lebensentwürfe vorschlagen zu können – im Scheitern wie im Erfolg. Wir können uns vieles erlauben, wir können uns streiten, wir können uns kritisieren, wir dürfen nur eins nicht – uns gegenseitig Angst machen, das Leben ist nämlich schon beängstigend genug. Das sehe ich als meine Hauptaufgabe: Angst vertreiben, Mutgefühl weitergeben an die Zuschauer. Das ist vielleicht ein utopischer Traum, aber weil er menschlich ist hängt er nicht von Technik oder Geld ab, sondern von uns, und deshalb freue ich mich auf diese Aufgabe!
Matthias Brenner, herzlichen Dank für das Gespräch.
(Andreas Fruhnert, Kulturfalter April 2011)
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