Eine Woche Open Air – Christoph Werner über 70 Jahre Puppentheater

Vom 15. bis 22. Juni 2024 feiert das Puppentheater Halle seinen 70. Geburtstag, bei dem sich alle Sparten der Bühnen Halle vereinen, um gemeinsam von „Gullivers Reisen“ zu erzählen. Eröffnet wird die Festwoche mit einem 18 Meter großen Gulliver auf dem Marktplatz. Vier eigenständigen Inszenierungen sind dann in den darauffolgenden Tagen in der ganzen Stadt zu sehen. Kulturfalterredakteur Sven Schneider sprach mit dem Künstlerischen Leiter des Puppentheaters Christoph Werner im Vorfeld über die Festwoche.


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m Mittelpunkt des Jubiläums steht die Erzählung „Gullivers Reisen“ – warum haben Sie sich dafür entschieden?
Wir wollten mal etwas tun, was wir noch nicht gemacht haben. Bisher spielten wir immer Geschichten, bei denen die Puppen viel kleiner oder maximal so groß waren wie Menschen. Nun war die Idee, ein Stück zu spielen, bei dem die Menschen kleiner sind als die von ihnen gespielten Puppen, und erst daraufhin haben wir eine dazu passende Geschichte gesucht. Da war Gulliver, der auf seinen Reisen Kleinwüchsigen wie auch Riesen begegnet, sehr naheliegend, denn viele kennen die Geschichten oder haben zumindest schon mal davon gehört. Aber diese Erzählung beinhaltet auch viele Abschnitte, die nicht so bekannt sind, was für uns einen zusätzlichen Anreiz darstellte.

Wie kam die Zusammenarbeit mit „Plasticiens Volants“ zustande?
Als Puppentheater Halle sind wir sehr mit der französischen Theaterszene verbunden und kooperieren seit über 20 Jahren mit dort ansässigen Gruppen und Künstlern. Als die Entscheidung für „Gullivers Reisen“ fiel, war „Plasticiens Volants“ mit ihren riesigen Figuren für uns natürlich sehr interessant. Es ist eines der ältesten Ensembles Frankreichs und weltberühmt. Die Pandemie war sicherlich hilfreich bei dieser Kooperation, weil ja alle Schwierigkeiten hatten und niemand wusste, wie es danach weitergeht. Somit war es für uns leichter, an eine solch renommierte Gruppe heranzutreten.

Als Intendant tragen Sie die künstlerische wie auch geschäftliche Verantwortung für das Puppentheater – welcher dieser Arbeitsbereiche kommt nun im Hinblick auf das Jubiläum besonders zum Tragen?
Durch meine Rolle beim Puppentheater bin ich auch der Gesamteiter des Festivals und muss unter anderem erhebliche Fördermittel akquirieren. Bei der Festwoche im Juni bin ich vor allem für das Eröffnungswochenende als Oberregisseur zuständig. Wir treffen uns unter anderem regelmäßig mit Vertretern von “Plasticiens Volants” und besprechen mit ihnen, wie die Aufführungen ablaufen sollen. Wir können allerdings nicht proben, wie wir das sonst über sechs Wochen hinweg tun. Das meiste kann nur mündlich organisiert werden und da bleibt mir nur zu hoffen, dass alle sich dran halten.

1995 haben Sie erstmals am Puppentheater Halle gearbeitet und seit dem schon einige Jubiläen miterlebt und mitgestaltet. Inwiefern unterscheidet sich das 70-Jahre-Jubiläum von den vergangenen?
Es gibt keine Veranstaltung bei der diesjährigen Festwoche, die drinnen stattfindet – alles ist Open Air. Wir gehen in die Stadt, und in diesem vorgegebenen Bühnenbild inszenieren wir die Gullivergeschichte. Wir wollen nicht warten, bis die Leute zu uns kommen, sondern wir gehen zu den Leuten und überraschen sie. Das ist der markante Unterschied zu allen Festen davor.



Was war ihr persönliches Highlight in Ihrer bisherigen Zeit am Puppentheater?
Ich erinnere mich an ein sehr bewegendes Gastspiel in Wien, dass unser Ensemble dort aufgeführt hatte. An dem Tag war es sehr warm und die Tontechniker hatten die großen Türen und Fenster zur Straße hin geöffnet. Während des Stücks, bei dem ich Regie geführt habe, lief ich unter den Fenstern entlang und hörte, wie drinnen der Saal ausrastete, ähnlich wie bei einem Fußballspiel.
Es gab immer wieder solche besonderen Momente: wenn man merkt, dass das Publikum so feinsinnig ist und jeder Regung der Inszenierung folgt und rückspielt. Das ist hochbeglückend.

Welches Stück wurde in der Geschichte des Puppentheaters am meisten gespielt? Und wurden Inszenierungen auch schonmal wiederholt?
Jedes Stück hat seine Lebenszeit, vergleichbar mit einem Menschenleben. Am Anfang wird es geboren, in Form einer Premiere, dann hat das Kind die berühmten ersten drei Jahre – vergleichbar mit den ersten 10 Vorstellungen eines Stücks. Da ist es noch sehr sensibel und jede unglückliche wie glückliche Erfahrung ist sehr prägend. Dann wächst es und wächst es und irgendwann ist es alt – an der Stelle muss man es absetzen. Bei uns wird nie ein Stück wiedergeboren: wenn es vorbei ist, ist es vorbei.
Das Stück, welches wir am häufigsten gespielt haben, war das Kinderstück „Kannst du pfeifen, Johanna“ nach dem Buch von Ulf Stark. Das haben wir ganze 360 Mal gespielt. Damit sind wir einmal um die ganze Welt gefahren, bis auf Australien waren wir auf allen Kontinenten.



Wie und wo kann der Hallenser die Festivalwoche miterleben?
Die Eröffnung und der Abschluss sind frei zugänglich und kosten keinen Eintritt. Da geht man einfach hin und schaut sich das an. Die vier Hauptvorstellungen kosten Geld, finden aber auch an bekannten Orten unter freiem Himmel statt.

Und gibt es einen Notfallplan, wenn es unverhofft regnen sollte?
Nein, gibt es nicht. Und Wetter ist unsere größte Sorge, denn wir spielen gewissermaßen mit unserem Glück. Normalerweise macht man eine Open-Air-Inszenierung drei Wochen lang. Da regnet es mal, es fallen eventuell zwei Vorstellungen aus und das war es – in unserem Fall sind es nur zwei Tage. Wobei “Plasticiens Volants” gesagt hat, dass ein wenig Regen verkraftbar wäre, aber starker Wind sei für die großen Figuren fatal.

Welche Herausforderungen sind mit der Planung verbunden?
Wir sind noch lange nicht fertig, es ist ein laufender Prozess. Wie schon erwähnt haben wir ein solches Fest noch nie organisiert. Es müssen noch ein Sicherheitskonzept erstellt und sämtliche Absprachen mit den Partnern der Stadt getroffen werden: Ordnungsamt, Marktwesen, HAVAG usw. Dazu kommt noch, dass einige Auftritte gar nicht richtig geprobt werden können.

Wie ist aktuell Ihre Stimmung in Hinblick auf das Jubiläum?
Es wird sicherlich noch Tage geben, an denen ich mich frage: „Was haben wir uns bloß dabei gedacht?“ Aber gerade bin ich super gestimmt, denn die 70. Spielzeit läuft bisher sensationell! Alle Vorstellungen vom „Mord im Orientexpress“ waren ausverkauft, und beim Stück „Momo“ läuft es bisher ähnlich gut. Es fühlt sich wie ein Geburtstagsgeschenk an, das die Hallenser uns zum Jubiläum machen. Wir hoffen sehr, dass die Spielzeit weiterhin bis zum großen Auftritt von Gulliver im Juni weiter so gut läuft.

Worauf freuen Sie sich besonders?
Auf die Eröffnung bin ich besonders gespannt. Ich habe zwar schon mal eine große Puppe von „Plasticiens Volants“ gesehen, die sie beim letzten Workshop in Halle mitgebracht haben. So groß und so leicht – es ist verblüffend. Und da stand sie nicht mal, sie saß nur im Thalia Theater weil sie aufrecht gar nicht reingepasst hätte. Das stelle ich mir auf dem Marktplatz total verrückt vor. Das ist neu für das Puppentheater, für die Stadt und für mich. Darauf bin ich sehr gespannt.

Vielen Dank für das Interview.