Vom Durchhalten und Aufatmen – Das Puppentheater wird 70 Jahre

Der Werdegang des Puppentheaters in Halle ist vielseitig und alles andere als unbeschwert. Trotz vieler Strapazen gelang es ihm, regelmäßig enorme Besuchererfolge zu verzeichnen, internationale Bekanntheit zu erlangen und sich einen festen Platz in den Herzen der Hallenser/-innen zu sichern.

Alles begann im Jahr 1954. In dieser Zeit gründeten sich in der DDR viele Puppentheater nach sowjetischem Vorbild. So entstand auch das hallesche Ensemble in der Goethestraße im Paulusviertel. Fünf Jahre nach seiner Gründung kam der erste Umzug ins Puschkinhaus, in dem statt 110 nun 300 Gäste Platz fanden und man eine bessere technische Ausstattung genießen konnte. 1963 zog das Puppentheater in das Foyer des „Theaters der Jungen Garde“ (später Thaliatheater) in der Passage zwischen Geiststraße und Harz. Hier entstand das modernste Puppentheater der DDR mit 200 Plätzen. Zu dieser Zeit lag der Fokus der Stücke noch auf der Unterhaltung von Kindern.

1971 passierte dann die Katastrophe: das Puppentheater in der Geiststraße fiel einer Brandstiftung zum Opfer. Den Großteil der Puppen und des Materials haben die Flammen vernichtet, das Haus war nicht mehr bespielbar, und der Schaden betrug 120.000 Mark. Wie durch ein Wunder konnte die Ausstattung der Inszenierung „Das Entchen“ gerettet werden. Dies war ein Klassiker des Theaters und erlebte schließlich in wechselnder Besetzung über 1000 Vorstellungen. Nun aber hatte das Puppentheater keinen festen Sitz mehr. Pläne, das Theater in der Geiststraße wieder aufzubauen, wurden immer wieder aufgeschoben. Die „Puppe“ hatte temporäre Spielstätten wie das Jugendklubhaus „Philipp Müller“ (später Schorre) und das Pioniertheater Halle-Neustadt. Langfristigere Orte waren das Kino Capitol in der Lauchstädter Straße oder ein kleiner Saal im Volkspark.



Nach zehn Jahren ohne festen Wohnsitz und dem Ruf als „Wandertheater“ war es 1981 endlich so weit: Das Puppentheater zog in das Gartenhaus im Mühlweg 12, einem ehemaligen Logenhaus der Freimaurer, und hatte somit wieder eine Heimstatt gefunden. Die offizielle Einweihung feierte man im Januar 1982. Neben einer besseren Bühne und professionelleren Ausstattung konnten nun auch alle Abteilungen unter einem Dach vereint werden: Puppen- und Dekorationswerkstatt, Kasse, Tischlerei, Schneiderei; auch ein Büro für die künstlerische Leitung und die Dramaturgie befanden sich im Gebäude im Mühlweg. Es gab zwei Säle: einer mit 90, der andere mit 70 Plätzen. Ein Höhepunkt aus den 80er Jahren in dieser Spielstätte war „Warten auf Godot“, das Jahrhundertstück Samuel Becketts, das im Mühlweg unter der Regie von Manfred Blank zum ersten Mal mit Puppen aufgeführt wurde.

Die Wiedervereinigung brachte aber für das Puppentheater vor allem finanzielle Herausforderungen mit sich und zeitweise wurde es zum Spielball (kultur-)politischer Entscheidungsträger/-innen. Da das Puppenspiel in der Bundesrepublik Deutschland keine anerkannte Berufssparte war, wurden Puppenspielgruppen in den alten Bundesländern nur der freien Szene zugeordnet. Da war die DDR fortschrittlicher, denn dort konnte man – wie heute noch – „Zeitgenössisches Puppenspiel“ an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ studieren. Dieser Studiengang bringt bis heute professionelle Puppenspieler/-innen hervor, auch für das hallesche Ensemble. Die staatlichen Zuschüsse für die ostdeutschen Puppentheater wurden aber Anfang der 90er-Jahre nach und nach gekürzt. Eine wirtschaftliche Selbstständigkeit war für das hallesche Puppentheaters allein durch Ticketverkäufe kaum möglich. Einen Ausweg stellte eine Fusion mit der Kabarettgruppe „Kiebitzensteiner“ dar, die 1991 umgesetzt wurde. Die eröffnete neue künstlerische, technische und finanzielle Möglichkeiten. Erwachsenenvorstellungen, vor allen in den Abendstunden, gehörten zwar schon länger zum Spielplan, wurden aber nun durch die Zusammenarbeit mit den „Kiebitzensteinern“ ausgeweitet. Das ist bis heute ein Alleinstellungsmerkmal des halleschen Puppentheaters und unterscheidet es von allen anderen Ensembles im deutschsprachigen Raum.



Die Fusion mit der Kabarettgruppe war nicht von langer Dauer und endete wenige Jahre später mit dem Antritt von Christoph Werner. Der gebürtige Dessauer übernahm im Juli 1995 die Künstlerische Leitung des Puppentheaters und brachte eine Menge Veränderung und große Ziele mit. So machte das Ensemble fortan mit vielfältigen internationalen Gastspielen von sich reden. Auf allen großen Puppentheaterfestivals der Welt ist das hallesche Ensemble seitdem regelmäßig zu Gast und wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Das „Offene Spiel“, die hallesche Spielweise, in der die Spieler/-innen mit den Puppen und untereinander interagieren, wurde durch Werner intensiviert. Diese Verbindung zwischen Mensch und Puppe ermöglicht besondere Konstellationen und neue Darstellungsweisen.
Zum ersten Mal spielte das Ensemble 1995 auch als Gast in der Moritzburg Halle. Jeden Abend mussten mehr Stühle auf den Hof gestellt werden, denn es kamen mehr und mehr Besucher/-innen, um William Shakespeares „Romeo und Julia“ zu sehen. Regie führte Werner selbst, die Puppen bauten Barbara und Günther Weinhold.

Im Jahre 2002 zog das Puppentheater in sein neues und bis heute aktuelles Domizil: die Kulturinsel, zwischen Großer Ulrichstraße und Löwencampus. 1981 wurde in den ehemaligen Kaisersälen das „neue theater“ (nt) gegründet. Doch die einst provisorische Spielstätte entwickelte sich schnell zu einem unverwechselbaren Schauspielhaus, einer Kulturinsel im Zentrum der Saalestadt. Nach 21 Baujahren wurde die Insel im Jahre 2002 fertiggestellt. Zum Umzug vom Mühlweg auf die Kulturinsel mit zwei neuen Bühnen inszenierten Christian Tschirner und Christian Weise William Shakespeares Werk „Der Sturm“. In einer Koproduktion mit den Bühnen der Stadt Köln spielten Traugott Buhre, Winnie Böwe und Martin Reinke mit dem halleschen Ensemble in Halle. Kulturelles Leben in Halle ist ohne die Kulturinsel mit ihren verschiedenen Sparten schon längst nicht mehr denkbar. 2009 wurde die „Theater, Oper und Orchester GmbH Halle“, besser bekannt als die „Bühnen Halle“, gegründet. Sie vereint bis heute die Bereiche Oper, Ballett, Staatskapelle, Schauspiel (mit dem neuen Theater und Thalia Theater), sowie das Puppentheater. „Bühnen Halle“ beschäftigt heute rund 460 Mitarbeiter/-innen und zählt zu den großen Mehrspartenhäusern Sachsen-Anhalts. Mit über 1.000 Vorstellungen werden pro Saison über 220.000 Besucher erreicht.

Nun, viele ausverkaufte Stücke später, befinden wir uns im Jahre 2024: das Puppentheater, welches in seiner Geschichte mehr als einmal vor dem Aus stand, wird 70 Jahre alt und veranstaltet eine Festwoche mit spektakulären Inszenierungen, die unter anderem auf dem Marktplatz für alle Hallenser/-innen sichtbar sein werden. Das Puppentheater war in den letzten 70 Jahren stets ein fester Bestandteil der halleschen Kulturszene und wird es auch weiterhin sein.

Text: Sven Schneider