Mit dem Tod bin ich fertig. Jetzt endlich leben!

Nina George, geboren 1973, ist eine mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin. Sie schreibt seit 1992 Romane, Essays, Reportagen, Kurzgeschichten und Kolumnen. Ihr Roman „Das Lavendelzimmer" stand weit über ein Jahr auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, wurde in 34 Sprachen übersetzt und eroberte auch international die Bestsellerlisten. Wie sie im Interview mit Kulturfalter-Redakteur Martin Große verrät sie, dass das Buch sogar in Hollywood verfilmt wird. Sie ist Beirätin des PEN-Präsidiums und Gründerin der Initiative Fairer Buchmarkt. 

Kulturfalter: Ihr Roman ‚Das Traumbuch‘  spielt in London. Haben  Sie eine besondere Beziehung zu der Stadt? Warum haben sie diese als Setting gewählt?

Nina George: Die Geschichten springen mich an. Es ist wie Liebe auf den ersten Blick. Ich weiß nicht, was dahinter verborgen sein könnte. Aber es ist ein Bild, an dem ich fest halte. In diesem Fall war es das Bild von einem erfolgreichen Mann im Smoking. Dieser ist auf dem Weg zu etwas. Dieses Bild war ganz stark, aber ich wusste noch nicht, was daraus für eine Geschichte werden konnte. Ob es eine Liebesgeschichte oder etwas anderes würde. Die Stadt war eben nicht New York sondern London, wenn es Merseburg gewesen wäre, dann eben Merseburg.

Das zentrale Thema des Buches ist die unbekannte Welt zwischen Leben und Tod. Wie entstand die Idee dazu? Gab es eine wahre Begebenheit?

Diese Ideen sind bei mir selten die Grundideen eines Buches, ähnlich wie bei dem Mann. Dahinter stand ein viel größeres Thema und das galt es zu erforschen. Es ist nicht so, dass ich mich hinsetze und mir vornehme: ‚Ich schreibe jetzt über ein Thema ein Buch‘, sondern es ist etwas, was sich in mir bewegt und mich dazu drängt, darüber schreiben zu wollen. Meine letzten drei Bücher: Das Traumbuch, Das Lavendelzimmer und Die Mondspielerin beschäftigten sich im Prinzip alle mit dem Tod oder immer etwas, was davon abgeleitet ist. Die zentrale Frage: Wie lebe ich bis zum dem Punkt, an dem ich sterbe? Es ist als würde ich mit einer Taschenlampe in der Hand eine Tür öffnen und in ein dunkles Zimmer hineinleuchten, um am Ende eine Geschichte zu erfahren. Ich kann nicht genau sagen, woher die Ideen kommen, es ist eine Erforschung.

Steht am Anfang das Ende schon fest?

Am Anfang noch nicht, aber bevor ich losschreibe, weiß ich schon immer das Ende!  Ohne das Ende schreibe ich nicht los. Ich denke anderthalb Jahre über eine Geschichte nach, bevor ich sie schreibe. Beim Traumbuch habe ich ebenso lange recherchiert. Und geschrieben habe ich vom 4. Juni bis 20. August.  Man muss wissen, wie ein Buch endet, damit man den Anfang schreiben kann. Ich glaube Krimiautoren machen das ähnlich, damit sie vorne Andeutungen machen können.

Das bedeutet, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt schon über das nächste oder gar übernächste Buch nachdenken?

Ja, gerade lerne ich die Figuren meines nächsten Romans kennen. Der Arbeitstitel steht schon fest, es werden vier Figuren sein. Zwei junge Menschen im Alter zwischen 19 und 20 Jahren. Mit denen bin ich die ganze Zeit unterwegs. Ich weiß, was die für Berufe haben werden, welche inneren Wunden sie haben und  wovor sie Angst haben. Ich weiß ganz viel über sie, doch wenn ich etwas aufschreibe, ist es weg. Ich mache mir nie Notizen und seit noch gar nicht allzu langer Zeit, weiß ich warum. Das was in mir vor sich geht: Mitgefühl, Empathie, Leidenschaft, Lust und Beobachtung staut sich an. Ich schreibe, um zu überleben. Dem Jungen im Traumbuch geht es auch so, weil er sonst zu voll wird. Es ist ein Vor- und Nachteil. Ich muss mir nichts aufschreiben, denn ich merke mir alles, aber irgendwann bin ich übervoll und dann muss es raus. Das habe ich jetzt erst festgestellt.



Sie schreiben auf ihrer Website in der Rubrik unvollendet, dass sie gerne Science Fiction schreiben würden. Denken Sie gerade auch darüber nach?

Ja, Jaaa, Jaaaaaaaa bald ist die Zeit reif und dann steht es nicht mehr unter ‚unvollendet‘. Ich habe es heute meinem Verlag erzählt und die haben gesagt: ‚Mach das!‘ Das will man doch hören, oder?

Wie haben Sie sich dem Thema Koma für ihren Roman Traumbuch genähert?

Ich habe wirklich unglaublich viel recherchiert, aber nur ca. zehn Prozent von dem benutzt, was ich jetzt weiß. Ich habe mit Neurologen gesprochen, Leuten, die zurückgekommen sind und mit Leuten, die es interpretiert haben – wissenschaftlich, rational oder esoterisch. Es haben sich viele Menschen mit dem Thema beschäftigt. Sehr interessant war ein Quantenmechaniker, mit dem ich gesprochen habe, denn der hat mir die Parallelweltentheorie erklärt. Ich gebe im Buch keine Antwort auf die Frage darauf, wohin gehen wir, wenn wir ins Koma gehen. Ich stelle diese Fragen und niemand konnte sie beantworten. Man weiß darüber nicht viel. In Deutschland liegen 40.000 Menschen im Koma. Wo sind die alle? Manche davon haben das Locked-in-Syndrom. Ich hörte von einer Frau die 30 Jahre locked-In war und alles mitbekommen hat. Das fiktional umzusetzen, ist spannend und manchmal muss man aber bei ein paar Sachen lügen.

Glauben Sie an „Verbindungen“ zwischen Menschen?

Es gibt eine alte Regel bei uns Nicht-Esoterikern: ‚Wenn es hilft, dann ist so und nicht zu erklären.‘ Als mein Vater starb, hatte ich das sehr innige Gefühl, dass er noch lange Zeit mit mir kommuniziert hat. Sonst verdrehe ich immer die Augen, wenn ich solche Geschichten höre, aber dann passierte es mir selber. Er sagte mir, welchen Platz meine Mutter für das Grab ausgesucht hatte, aber sie hatte mir es noch nicht gesagt. Dann habe ich sie angerufen und gefragt: Hast du schon eine Grabstelle herausgesucht? Und sie sagt Hhmm… Ja habe ich und dann habe ich ihr gesagt, was „er“ oder was ich das Gefühl hatte, was in mir widerhallte. An einem bestimmten Busch mit Beeren und davon gab es nicht so viele auf dem Friedhof und sie fragte mich: Woher weißt du das? Das ist einfach magisch.

Es gibt dafür viele Erklärungen – Selbstheilungskräfte, Einbildung… Man kannte jemand einfach gut. Ich habe es in jede Richtung hin gedacht und mich dann dazu entschlossen, es zu lassen, wie es ist. Es ist eben so. Die einen reagieren rational und die anderen emotional. Und ich gebe im Buch keine Antworten, jeder reagiert eben anders. Bücher sind Kunstwerke, die im Kopf des Lesers entstehen. Darauf kommt es an, nicht auf mich.



Das Lavendelzimmer war ein großer Erfolg, spüren sie nun einen bestimmten Druck? Das Buch war Platz 1 in Amerika. Haben Sie schon ein Angebot für eine Verfilmung?

Fox International hat mir ein Angebot gemacht, dass ich nicht ablehnen konnte. Aber im Übrigen hatte ich Angst. Ich hatte 1,5 Jahre Angst, weil das Lavendelzimmer so ein großer Erfolg war. Aber jetzt, wo es erschienen ist, habe ich keine Angst mehr aus einem banalen Grund: ,Das Handwerk ist sehr gut.‘ Ich weiß, dass das Traumbuch sauber und handwerklich gut gemacht ist. Es ist gut und sauber geschrieben. Wenn es einer ablehnt, dann ist es aus geschmacklichen Gründen oder weil er mich eh doof findet. Damit kann ich besser umgehen, als wenn jemand meint, es sei langweilig oder schlecht recherchiert oder handwerklich nicht sauber. Ich hatte Angst und bin auf das zurückgekommen, was ich kann. Schreiben. Das Halten des Erfolges ist schwierig, nicht das Hochkommen! Das Buch nach dem Erfolg ist schwieriger als das erste Buch überhaupt. Ich bin froh, dass ich es hinter mir habe.

Würden Sie das Drehbuch zur Ihrem Film schreiben?

Auf keinen Fall. Ich kann das nicht. Das ist eine Hollywoodproduktion. Ich quatsch da auch nicht mit. Was ich mir ausbedungen habe ist, dass ich die Drehorte besuchen möchte und dort etwas zu essen bekomme. Und ich möchte das Art-Packaging, das heißt Plakate etc. mit Schauspielern, damit der Verlag eine Neuauflage des Buches machen kann.

Haben Sie Angst, dass Hollywood eine Kitschromanze aus der Vorlage macht?

Das Filmemachen ist eine eigene Kunst von anderen, die ich nicht beherrsche. Ob da eine Romanze draus wird oder nicht, ist mir egal. Es gibt ja das Buch. Ich sage mir „Na und“ und es würde mich in meiner Eitelkeit nicht beschädigen, denn was andere auf der Grundlage meines Buches machen, ist deren Werk. Mein Buch gibt es immer. Aber schreiben Sie das Ganze im Konjunktiv! Denn der eventuelle Drehbeginn ist frühestens in zwei Jahren. Was ist der nächste Roman? Es ist eine tolle Geschichte. Sie spielt wieder in der Bretagne im Sommer und es steht eine Frau im Mittelpunkt. Ich freue mich auf sie. Ich verrate so viel: Sie ist Verhaltensforscherin, liebt Fossilien, ist Mitte 40 und lebt in Paris. Sie ist anders als die anderen, es geht ums das Leben. (lacht, überlegt). Den Tod habe ich abgeschlossen. Mit dem Tod bin ich fertig. Jetzt endlich leben.

Frau George, vielen Dank für das Gespräch.


Weitere Infos zu Nina George