Ich habe mir Träume verwirklicht

Der hallesche Rapmusiker Issoe, Matthias Klinger, ist in der Hip-Hop-Musikszene von Halle kein Unbekannter. Von 2002 bis 2007 war er Mitglied unterschiedlicher Hip-Hop-Formationen in der Saalestadt. Als einer der wenigen Musiker der Szene ergatterte er sogar einen Plattenvertrag. Diesen löste er aber wieder auf und brachte schließlich 2010 sein Debut-Album „Feuer und Flamme“ heraus. Trotz positiver Resonanzen und Kritiken legte Issoe eine Pause ein – von zehn Jahren. Nun macht er mit seinem zweiten Studioalbum „Autopilot“ wieder auf sich aufmerksam. Kulturfalter-Redakteur Martin Große sprach mit dem Rapper.

Kulturfalter: Issoe, du warst zehn Jahre quasi weg vom Fenster. Das ist eine lange Zeit. Kannst du kurz erzählen, was du in den zehn Jahren gemacht hast?

Ich habe Lebenserfahrungen gesammelt. Ich habe mir Träume verwirklicht, wie man so schön sagt, und bin viel gereist. Ich war in Vietnam, auf den Seychellen oder in den USA. In den Staaten habe ich mir die Hip Hop-Kultur angeschaut. Ich war in New York und Los Angeles an den wichtigen Plätzen und habe geschaut, wie es da drüben ist, und kann nun die gesamte Szene sowie den Lifestyle besser verstehen. Es war, als wenn ein Puzzleteil gefehlt hätte, um mich vollständig zu fühlen. In Los Angeles war es beeindruckend die Kreatvität zu sehen, egal ob du in einen Laden gehst oder in ein Café – dort lebt man Kreativität, die Leute sind positiv drauf, man spürt sofort eine Connection und eine Energie. Am coolsten war für mich aber San Francisco. Das ist ein ‚place to be‘ für mich. Es ist nicht zu groß und nicht zu klein, und dort spielt das richtige Baseball-Team. Ich habe das alles aber auch gemacht um Texte schreiben zu können, sinnvolle Texte.

Noch einen Schritt zurück. Warum hast du, nachdem du ein Debut-Album herausgebracht hast, eine Pause eingelegt?

Die Luft war einfach raus. Ich habe viele Songs zu vielen Themen geschrieben und fühlte mich leer. Ich hatte einen Plattenvertrag und dieser Businessaspekt zieht dich runter. Zu dieser Phase war Hip Hop gebrandmarkt. Es gab zu viele Klischees und zu viel Gangsta Hip Hop. Das wollte keiner mehr hören. Materia und Casper gab es noch nicht. Dazu hatte ich noch private Baustellen. Also habe ich mit viel Mühe den Vertrag aufgelöst, mein Debut-Album alleine herausgebracht und eine Pause eingelegt.

Was hat dich bewogen wieder zum Mikro zu greifen?

Es kam der Punkt, da hatte ich wieder etwas zu sagen. Ich hatte viel erlebt – Rückschlage, Beziehungsalltag und neue Erfahrungen. Auf einmal waren wieder Themen da, die ich vorher nicht verarbeiten konnte. Ich verspürte wieder Lust über Sachen zu schreiben. Es ist wie Radfahren – das verlernt man nicht. Außerdem fing vor fünf Jahren der Hip Hop an wieder spannend zu werden. Da wollte ich dabei sein. Also habe ich mein Konsumentsein aufgegeben und begann wieder mitzumachen.

Wie muss man sich das vorstellen, nach fünf Jahren Pause wieder anzufangen? Man ruft die alten Weggefährten an und fragt ‚Hast du wieder Bock?‘

Die alten Weggefährten gab es nicht mehr. Die Strukturen waren schlichtweg weg. Viele sind ins ‚Reallife‘ mit Familie und Arbeit gewechselt oder haben komplett aufgehört. Ich musste alles neu aufbauen und von null anfangen. Ich hab neue Leute connected, gute Produzenten kennengelernt, die mir einen Vertrauensvorschuss gegeben haben, und vor allen Dingen mit DJ Primetime (Foto links) habe ich einen guten Partner kennengelernt. Wir sind schon fast ein Arbeitsehepaar. Er kam auf die Idee mein erstes Album zu re-releasen und damit ein erstes Lebenszeichen zu senden, auf das man aufbauen kann. So begann ich mir eine Fanbase aufzubauen.



Issoe - Autopilot - aktuelle Single



Hat sich das Musikbusiness sehr verändert in den letzten zehn Jahren?

Auf jeden Fall. Man ist heute so etwas wie ein Social-Media-Artist oder digitaler Vertriebsartist. Man muss gute Fotos haben. Man macht Musik nicht nur mehr für die Fans, sondern muss an den Vertrieb denken. Die Musik muss in die Playlists. Dafür muss man sich mit den ‚Kuratoren‘ der Streamingdienste gut stellen um in diese reinzukommen. Das bedeutet, dass weniger Alben und mehr Singles gemacht werden. Generell ist alles flexibler als früher. Man muss verschiedene Themen abdecken und wird zum eigenen Label und Manager.

Wie bekommst du das alles unter einen Hut?

Man muss Entscheidungen treffen und braucht ein richtig gutes Zeitmanagement. Das bedeutet für mich, ich muss Dinge abgeben. Also Videos kann ich nicht, das macht DJ Primetime. Mastering bereite ich nur vor und so weiter. Das kostet zwar Geld, aber nur so schafft man das. Zugleich muss man was für die Fans machen, also eine limitierte Auflage meiner CD.

Was ist das für ein Gefühl, wieder ‚da‘ zu sein?

Ein sehr Gutes. Es war ja ein Experiment. Denn ich habe mich schon gefragt ‚Will das jemand hören, was ich da mache‘. Man macht das Ganze für die Leute und hofft, dass was bei rumkommt. Erfreulicherweise bekam ich mega viel Feedback. Es gab einige Storys und Feature-Anfragen von Kollegen. Es fühlt sich gut an, dass andere mit mir zusammenarbeiten wollen. Und andere wiederum fragen nach Tipps und Tricks. Da fühlt man sich wie ein Lehrer, obwohl ich selber gerade wieder erst im Business bin.

Du selbst bezeichnest deinen Rap als „Grown Man Rap“. Was ist darunter zu verstehen?

Hip Hop ist eine Jugendkultur. Als älterer Rapper ist es da schwer nicht nur unter geschäftlichen Aspekten mithalten zu können. Es kommt auf die richtige Mischung an, aus früher coolen Sachen und neuen Impulsen. Ich weiß, was mir liegt und was mich ausmacht. So rappe ich automatisch ein größeres Spektrum und ich kann authentischer reden. Dadurch, dass ich älter bin, habe ich viel erlebt und bin glaubwürdig. Ich muss nicht mehr jedem Trend hinterherlaufen.

In deinen Texten geht es um Aufbruch und Ankommen und der Reise zu sich selbst. Sind wohl kaum Texte für eine schnelle Partynacht. Für wen schreibst du deine Musik?

Ich mache meine Musik schon für jeden. Ich will keinen ausschließen. Wer reflektierte Texte mag, wer sich in den Texten vielleicht wiederfindet. Wer Lust hat sich motivieren zu lassen, wer Bock zum Nachdenken hat, wer auf Texte steht und gute Songs, für den ist meine Musik das Richtige. Natürlich mache ich meine Musik auch für Rap Fans und Hip Hopper, die Beats mögen.

Du zeigst viel von dir selber auf deinem Album. Wie sind die Reaktionen?

Die sind sehr positiv. Gerade zu den nachdenklichen Songs wie „Autopilot“ habe ich Sprachmitteilungen bekommen. ‚Du sprichst mir aus der Seele‘, meinten die Leute. Ich selber hätte nicht gedacht, dass das der Hammersong von dem Album wird. Aber die Leute haben gefühlt, dass ich mich sehr öffne in dem Song und mir viel Mühe gegeben habe. Man legt bei so etwas auch immer sein Leben aufs Tablett und ist sich immer unsicher, ob die Leute das hören wollen. Aber genau für diese Öffnung sind die Fans dankbar, wenn es ernst gemeint ist.

Wann und wo kann man dich live erleben?

Tja, geplant war eine kleine Tour. Aber Corona hat uns den Wind aus den Segeln genommen. Jetzt müssen wir schauen, wann es weitergeht. Geplant waren Mai und Juni, jetzt vielleicht Ende des Jahres?

Was heißt eigentlich Issoe?

(Lacht) Ich dachte, ich komme um die Frage herum. Das hat sich so beim Freestylen entwickelt, weil ich immer mal ein ‚ist so‘ gebracht hab. Also hat mich erst jemand „Easy issoe“ genannt. Ich hab dann ‚Young issoe‘ draus gemacht. Na ja, und ‚young‘ bin ich ja nun nicht mehr, also nur noch ‚Issoe‘. Wenn du nach einer Bedeutung fragst, dann ist es: ‚Glaub an dich, mach das, was du liebst, ist so.‘

Issoe, vielen Dank für das Interview