„… durch Verhaftung oder auf eine andere Art das Handwerk“ legen: Der Kirchenkampf in Halle 1952/53

Nicht erst mit der Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) 1950 setzte die Überwachung der Kirchen ein. Bereits in der Deutschen Verwaltung des Innern widmete sich das Referat C 3 der Abteilung K 5 dem „Sachgebiet Kirche“. Besonders gegen die aus Sicht der SED-Führung „illegalen“ und „verbrecherischen“ Aktivitäten innerhalb der „Jungen Gemeinde“ und „Studentengemeinde“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) sollte mit aller Härte und unter Einsatz der noch jungen Geheimpolizei vorgegangen werden. Staatssekretär Erich Mielke, der spätere langjährige Minister für Staatssicherheit in der DDR, sah in den kirchlichen Organisationen „reaktionäre Personengruppen im Auftrag imperialistischer Geheimdienste“ agieren mit dem Ziel, „den sozialistischen Aufbau zu schädigen, den Friedenskampf zu sabotieren und die Einheit Deutschlands zu verhindern“. In einer Dienstanweisung vom 23.11.1952 wies er an, diese vermeintlichen Absichten mittels geheimdienstlicher Mittel zu durchkreuzen und zunichtezumachen.
Kriegspropaganda zu betreiben wurde in Halle auch dem damaligen Studentenpfarrer Johannes Hamel vorgeworfen. Der Pfarrer ermutigte seine Studenten unaufhörlich, die Friedensfrage nicht losgelöst von den zeitgenössischen Realitäten zu betrachten. Die Sowjetunion als Diktatur und das Dilemma politischer Gefangenschaft in den Staaten, die sich „sozialistisch“ nennen, erhielten in seinen Predigten entscheidendes Gewicht. In den Akten des MfS finden sich denn auch nicht wenige Belege dafür, dass von der Geheimpolizei unter den Theologiestudenten angeworbene „Geheime Mitarbeiter“ des MfS über solche Diskussionen zwischen den Studenten und Hamel berichteten. Im Herbst 1952 besuchten im Rahmen der 450-Jahr-Feier der Universität Gäste aus Westdeutschland – u. a. Pastor Martin Niemöller – die MLU in Halle. Pfarrer Hamel wurde in diesem Kontext nahezu minutiös von der Geheimpolizei observiert, doch dabei sollte es nicht bleiben. Auf einem Briefkopf des Rektors der MLU übermittelte am 28.10.1952 Leo Stern an Walter Ulbricht „wichtige Mitteilungen“. Unter Punkt 2 hielt er fest: „Die anderen Beilagen betreffen den berüchtigten Studentenpfarrer Hamel. […] Wenn diesem nicht sehr bald durch Verhaftung oder auf eine andere Art das Handwerk gelegt werden wird, kann der Schaden an unserer Universität unübersehbar werden.“
Welche „andere Art“ der ehemalige Offizier der Roten Armee, Leo Stern, meinte – darüber kann spekuliert werden, verhaftet wurde Johannes Hamel tatsächlich wenige Zeit später wegen „antisowjetischer und antidemokratischer Hetze“, weil er „damit den Frieden des deutschen Volkes und den Frieden der Welt gefährdet“ habe. So steht es im Haftbefehl vom 13.02.1953. Das Denunziationsschreiben von Leo Stern wurde erst nach dem Ende der DDR im persönlichen Nachlass von Walter Ulbricht aufgefunden, zudem die erwähnten „anderen Beilagen“, hier war der mutige Einsatz des Studentenpfarrers für Friedrich Schneppe, damals Theologiestudent, abzulesen. Die Junge Gemeinde wurde schon längst in offiziellen Presseverlautbarungen der SED als „verbrecherische illegale Organisation“ kriminalisiert. Pfarrer Hamel wurde Anfang Mai 1953 vom „Roten Ochsen“ in Halle in die zentrale MfS-Untersuchungshaftanstalt nach Berlin-Hohenschönhausen gebracht und weiteren Verhören ausgesetzt. Es bestehe der „Verdacht der Spionage zugunsten des West-Imperialismus“, heißt es im Übernahmevermerk aus Berlin. Vier Wochen später erfolgte auf Weisung der neuen sowjetischen Führung in Moskau eine Kurskorrektur in der Aufbauphase des Sozialismus in der DDR. Die SED-Führung wurde genötigt, den Kirchenkampf zu beenden. Der „Neue Kurs“ vermochte den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 jedoch nicht mehr zu verhindern.
Vom 15. Juni 1953 datiert ein Bericht des MfS, worin in Vorbereitung einer Anklageerhebung gegen Johannes Hamel seine „fortgesetzten Verbrechen“ aus Sicht der Geheimpolizei detailliert aufgelistet sind. Handschriftlich ist genau auf diesem Bericht vermerkt: „entlassen. Mielke 9.7.53.“ Am 10. Juli 1953 kehrte Studentenpfarrer Hamel aus der U-Haft zu seiner Familie zurück „und die Arbeit begann wieder, als wenn nichts geschehen wäre.“ (Johannes Hamel im Interview mit André Gursky 1997). Als „führender ideologischer Kopf“ der Kirchenprovinz Sachsen blieb Johannes Hamel – nunmehr Dozent am Naumburger Katechetischen Oberseminar – weiterhin im Visier des MfS. Eine Reihe von teils sehr prominenten Informanten wie der spätere Präsident der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen Dr. jur. Detlef Hammer berichtete der Geheimpolizei über den unbequemen Kirchenmann. Johannes Hamel wurde 1976 pensioniert, arbeitete weiter als Prediger und Lehrer im Kirchlichen Fernunterricht, bevor er 1985 aus der DDR ausreiste und nach Gräfelfing zog. 2002 verstarb der seinerzeit „berüchtigte Studentenpfarrer“ in Wernigerode.
Weiterführend: A. Gursky: Vorgang „Riga“. Die „Bearbeitung“ eines evangelischen Studentenpfarrers 1953 in Halle (Saale) durch das Ministerium für Staatssicherheit, 1998 (Sachbeiträge7); U. Schröter: Der Kampf des MfS gegen die Hallenser Studentengemeinde 1953
und ihren Pfarrer Johannes Hamel, in: H. -J. Rupieper (Hg.):„… und das Wichtigste ist doch
die Einheit …“ Der 17. Juni 1953 in den Bezirken Halle und Magdeburg, 2003.
(Autor: Dr. André Gursky)