Torsten Ziegner: Ich möchte höher kommen
Der neue Trainer des Halleschen Fußballclub Chemie war viele Jahre Fußballprofi in der zweiten und dritten Liga. Seine Stationen waren unter anderem Jena, Stuttgart, Mainz und Erfurt. Als Trainer führte er den FSV Zwickau in die dritte Liga. Mit dem HFC möchte er den nächsten Schritt machen. Kulturfalterredakteur Martin Große sprach mit Torsten Ziegner über seinen Job in Halle und die persönlichen Herausforderungen.
Kulturfalter: Wie kam es zu dem Entschluss, dem Fußball nach Ihrem eigenen Karriereende als Fußballer treu zu bleiben?
Torsten Ziegner: Ich habe mein Leben lang nichts anderes gemacht als Fußball zu spielen. Mit vier Jahren habe ich im Verein angefangen, bin dann mit elf Jahren nach Jena ins Internat gegangen und war bis zu meinem 33. Lebensjahr Profi. Primäres Ziel war der jetzige Job trotzdem nicht: Ich bin seit mehr 20 Jahren jedes Wochenende unterwegs bei Spielen, sodass es eigentlich selten Familienleben gab. Außerdem fehlten mir zunächst die entsprechenden Qualifikationen, um im Profibereich Trainer zu sein. Ich wollte dem Sport trotzdem nach meinem Karriereende treu bleiben. Und das gerne in einer festen Stelle, zum Beispiel im Nachwuchszentrum, wo man rein theoretisch bis zur Rente arbeiten könnte. Ich bin dann aber wie die Jungfrau zum Kinde an die Seitenlinie gekommen. Als ich noch aktiver Spieler in Zwickau war, fragten mich die Verantwortlichen, ob ich mir nach dem Ablauf meines Vertrages vorstellen könnte, Cheftrainer zu werden. Da das Portemonnaie leider zu klein war, um für den Rest des Lebens auf Mallorca in ein Ferienhaus zu ziehen, habe ich mich dann mit meiner Familie besprochen und beschlossen, dass zu versuchen. Später merkte ich, dass es genau das ist, was ich machen möchte, mir Spaß macht und mich ausfüllt.
Wie kamen die Verantwortlichen in Zwickau auf die Idee, einen Spieler zu fragen, ob er Trainer werden möchte? Hatten Sie schon als Spieler eine besondere Rolle in der Mannschaft?
Zu diesem Zeitpunkt hatten wir beim FSV eine recht junge Mannschaft und ich war als ‚alter‘ Spieler in einer Art Sprecherrolle. Außerdem habe ich mir schon immer Gedanken gemacht, wie man die Sachen auf dem Platz umsetzen und besser machen könnte ... So entstand sicher der Eindruck, dass ich jemand sein könnte, der später mal Trainer wird.
Aber braucht man nicht entsprechende Trainerqualifikationen?
(lacht) Auch wenn man das als Profi nicht gerne hört: Aber man hat als aktiver Fußballer auch viel Freizeit. Und ich wollte immer zusätzlich auch etwas fürs Gehirn tun. Also habe ich nebenbei ein Fernstudium zum Sportfachwirt gemacht. Als das abgeschlossen war, habe ich angefangen, Trainerlizenzen zu erwerben. Zum Ende meiner Karriere hatte ich schon die zweithöchste Lizenz, die es gibt, und war somit berechtigt, in der Regionalliga Trainer zu sein. Deswegen brauchte ich nur noch den einen letzten Schein zum Fußballlehrer, um Drittligatrainer zu werden.
Können Sie Erfahrungen, die als Spieler auf dem Feld gesammelt haben, in den Job des Trainers einbringen?
Zu 1000 Prozent. Es ist auf jeden Fall nützlich, wenn man auf der anderen Seite gestanden hat. So kann man sich gut in den Gegenüber hineinversetzen. Das ist aber kein Parameter, ob man dann als Trainer seine Sache gut oder schlecht macht. Aber es trägt dazu bei, bei unangenehmen Entscheidungen Verständnis zu entwickeln.
Der Job als Trainer ist nicht unbedingt der sicherste. Was reizt sie an diesem Job?
Zum einen ist es so: das einzig Sichere ist der Tod. Alles andere empfinde ich nicht als absolut sicher. Zum anderen habe ich keine Angst, die ist ein schlechter Ratgeber. Nur weil die Statistik sagt, dass die Amtszeit eines Trainers im Durchschnitt nur x,x Jahre beträgt ... Dann gilt es eben, diese Statistik aufzubessern. Zum anderen bin ich mir bewusst, dass der Job als Trainer bis zur Rente beim gleichen Verein eher unrealistisch ist. Aber das hat man ein Stück weit selbst in der Hand. Es ist auch nicht schlimm, sich weiterzuentwickeln, andere Leute und Mentalitäten kennenzulernen – sprich neue Vereine und Gegenden.
Sie sagten in mehreren älteren Interviews, dass der HFC der nächste Schritt sei. Klingt ehrgeizig … Nun sind Sie beim HFC.
Der nächste Schritt musste nicht zwangsläufig der HFC sein. Das hätte auch jeder andere Dritt- oder Zweitligist sein können. Es bedeutete nicht vordergründig eine höhere Spielklasse. Sondern zu einem funktionierenden Gebilde mit klaren Strukturen und Hierarchien, was der HFC ist, als Neuer dazuzustoßen. Hinzu kommt eine neue Mannschaft. Als Mensch stoße ich zu einem Verein, in dem ich meine Rolle finden muss und meinen Beitrag leisten will. Daran wächst man. Deswegen war das für mich der nächste Schritt.
Was sind denn mittelfristige Ziele, die Sie mit der Mannschaft schaffen wollen?
Mit einem neuen Verein, einer neuen Mannschaft und uns als neuem Trainerteam ist es unser Anspruch, dem Ganzen ein Gesicht geben. Das heißt, die Menschen sollen wissen: ‚Ok, das ist der HFC, und der strahlt das und das aus.' Dieser Prozess ist fortlaufend. Mittelfristig möchte ich natürlich besser werden, gerne auch ligentechnisch. Wenn das mit Halle möglich ist, warum nicht?
Das Team besteht immer aus vielen einzelnen Akteuren mit Stimmungen, Formtiefen, Läufen … Wie sehr ist ein Trainer auch Psychologe?
Sehr. Ein wichtiger Punkt ist, dass aus den einzelnen Akteuren eine Mannschaft geformt werden muss. Jeder muss sich seiner Rolle bewusst sein, unter Einbringung seiner individuellen Fähigkeiten das Team in den Mittelpunkt rücken. Hinzu kommt, dass auf dem Niveau der dritten Liga die sportlichen, fußballerischen Unterschiede mitunter sehr gering sind. Das heißt, die Spieler können alle schnell laufen, einen ordentlichen Pass spielen, eine Flanke schlagen und einigermaßen platziert aufs Tor schießen. Außerdem sind alle Teams in der Lage, taktisch jedwede Variante abzurufen. Das kann man lernen und trainieren. Und dann kommt das Mentale ins Spiel. Wie funktioniert die Mannschaft? Wie bereit ist die Gruppe, den Gegner zu bezwingen, mental stärker zu sein? Durch schnelles Laufen, höhes Springen oder aggressives Verteidigen. Dies muss man als Gesamtheit auf das Spiel übertragen. Wir sind eine Interessengemeinschaft aus mehr als 20 Spielern, von denen nur elf am Wochenende bei Anpfiff auf dem Rasen stehen können. Das heißt, dass die Hälfte am Spieltag womöglich unzufrieden ist. Man muss darauf achten, wenig frustrierte Spieler zu haben. Das geht nur über Kommunikation, über Vertrauensverhältnis, Motivation und Zusammenarbeit.
In den Saisonverläufen war beim HFC oft kennzeichnend, dass die Mannschaft nicht durchgehend auf einem Niveau gespielt hat. Mit welchen Rezepten wollen sie das ändern?
Ich kann mir darüber kein Urteil erlauben – ob es so war und warum es so war. Wir haben im Sommer einen Neuanfang ausgerufen, und den wollen wir auch leben. Wir werden es auf unsere Art und Weise gut machen. Ob wir es besser machen, das wird die Zukunft zeigen. Unser Credo ist transparent zu sein und daran zu glauben, dass wir erfolgreich sein können. Wie wir das im Detail anstellen, ist jetzt nicht zu beantworten, da es zu viele Variablen, Komponenten und Einflüsse gibt.
Letztes Jahr war der HFC vom „Verletzungspech“ in der Saison verfolgt. Pech ist das eine, aber viele Verletzungen bei Sportlern rühren von zu hoher Belastung. Wie kann man besser auf die Gesundheit der Sportler achten?
Darüber werde ich auch nicht urteilen. Ich habe es zwar mitbekommen, aber warum das so war, kann ich nicht einschätzen. Was ich sagen kann, ist, dass es unterschiedliche Arten von Verletzungen gibt. Man kann wirklich Pech haben, zum Beispiel gefoult werden und sich das Schienbein brechen. Oder das Kreuzband reißt, wenn man mit jemandem zusammenrasselt. Aber es gibt das große Thema „Belastungssteuerung“. Sprich: Viele Verletzungen entstehen, weil der Spieler überlastet, unterlastet oder nicht ausreichend regeneriert ist. Das muss man versuchen bewusst zu steuern. Wir haben eine enge Verzahnung mit der Sportklinik von Dr. Thomas Bartels und der Leistungsdiagnostik und versuchen, das mit Daten zu unterlegen. Das bedeutet, dass unsere Spieler Sender beim Training tragen, die alles aufzeichnen – also Laufintensität, Sprints, Belastung, Puls. Diese werden nach dem Training ausgelesen, und wir können bei Spielern im roten Bereich individuell eingreifen. Im Idealfall bevor eine Verletzung auftritt, weil es bereits Anzeichen für Müdigkeit gibt.
Es heißt, dass es gerade die spannendste dritte Liga ist, die es je gab. Das liegt sicher an den vielen klanghaften Namen, die gerade mitspielen. Wie sehen Sie das?
Ich empfinde die Liga seit jeher als extrem spannend. Wir sind als Viertligist aufgestiegen, lernten eine neue Liga kennen und spielten gegen Magdeburg, Erfurt und Chemnitz. Dann kam Jena dazu. Das war regional eine Herausforderung. Jetzt, mit dem HFC, ist Cottbus als Aufsteiger aus der Regionalliga eine Bereicherung. Dazu auch Eintracht Braunschweig, Kaiserslautern und TSV 1860 München als ehemalige Bundesligisten. Da ist es schon plausibel, dass es interessanter denn je ist. Zudem bringen namhafte Spieler zweifellos Strahlkraft mit ein - . aber auch die entsprechende Qualität? Das ist schon extrem spannend und muss Woche für Woche bewiesen werden – von anderen Vereinen und von uns. Was aber unumstößlich ist: dass es coole Stadien und viele Zuschauer gibt. Das macht die Liga attraktiv und reizvoll.
Stellen Sie sich Folgendes vor: Halbzeitpause. Das Spiel läuft nicht so wie gedacht. Flippen Sie da aus?
Da gibt es keine pauschale Antwort. Das ist immer situativ. Manchmal, wie beim Spiel gegen Köln, bei dem Einstellung und Spiel vor der Pause gestimmt haben, und wir einfach das Tor nicht trafen, bringt es nichts, in der Kabine laut zu werden. In anderen Momenten, wenn ich das Gefühl habe, die Mannschaft ist nicht bei der Sache, da muss man sie dann auch mal aufwecken. Extrem hilfreich ist auch die Zusammenarbeit mit dem Trainerteam. Denn alles bekomme ich auch nicht mit und maße mir nicht an stets richtig zu liegen. Es gab schon Situationen, in denen ich das Gefühl hatte, laut werden zu müssen, aber dann die Hinweise bekam: ‚Lass das mal lieber. Wir müssen jetzt schauen, was das Beste für die zweite Halbzeit ist, und bitte vor allem sachlich‘.
Gibt es ein bestimmtes Ritual, einen Glücksbringer, den Sie immer dabei haben?
Ich bin nicht sonderlich abergläubig. Aber es gibt verschiedene Einzelrituale bei den Spielern und ein Ritual von der Mannschaft. Aber das hat nur in der Kabine Platz und da bleibt es auch.
Wie bereiten Sie sich auf den Gegner vor?
Mit einem universellen Prozedere. Für jeden Gegner gibt es eine Vorbereitung als Video und auf dem Platz. Dazu kommt eine Analyse, die von unserem Scout zusammengestellt wird. Diese Videos nutzen wir als Vorbereitung im Training. Die Jungs kriegen die Sequenzen Ende der Trainingswoche noch mal vorgestellt, um das, was wir geübt haben, visuell zu verinnerlichen.
Wie viele Wochen beträgt der Beobachtungsvorgang für die Trainingsvideos?
Minimum zwei Wochen, idealerweise drei Wochen. Wir schauen uns ein Spiel des Gegners an, welches der Konstellation nahekommt, in der wir auch gegen den Gegner spielen. Also zum Beispiel das letzte Heimspiel, weil wir dort auswärts antreten. Dann schauen wir uns das letzte Spiel des Gegners an und idealerweise noch das Spiel davor. Daraus machen wir unsere Trainingsvideos und ziehen entsprechende Erkenntnisse, manchmal sind es nur Eindrücke. Pro vorzubereitendem Spiel sind das dann circa 40 Videosequenzen.
Kann man davon ausgehen, dass das alle anderen Mannschaften auch so machen?
Ja, das ist kein Alleinstellungsmerkmal des HFC. Wir machen das im Rahmen unserer Möglichkeiten sehr gut. Andere Vereine haben dafür aber ganze Abteilungen, die sich Spiele anschauen und Videos erstellen – die machen den ganzen Tag nichts anderes.
Derbys spielen immer eine große Rolle. Das wissen auch die Spieler. Reagiert ein Spieler, der nicht aus Halle kommt, emotional anders darauf, wenn es beispielsweise gegen Magdeburg geht? Gibt es eine besondere Vorbereitung auf solche Spiele?
Rein objektiv betrachtet, ist die Vorbereitung für ein Derby genau die gleiche – egal, ob es gegen Meppen oder Braunschweig geht. Die mentale Einstellung können wir nicht künstlich anheizen. Das geschieht von ganz allein durch die Medien, Freunde und sozialen Netzwerke. Da kriegt der Spieler logischerweise mit, dass ein besonderes Spiel bevorsteht.
Fußball ist auch immer eine Frage des Geldes, denn Geld zieht Leistungsträger an. Wie weit kann man mit einem Team aus einer mittelgroßen Stadt mit nicht zu hohem Budget kommen?
Es gibt ein schönes Sprichwort: ‚Geld allein schießt keine Tore.‘ Das ist nicht ganz verkehrt. Jedes Spiel geht bei 0:0 los, erst dann werden Richtungen eingeschlagen. Als Beispiel: Wir spielen gegen Bayern München. Wir werden von 20 Spielen 19 sicher gegen Bayern verlieren. Vermutlich auch deutlich. Aber dieses eine Mal ist es möglich, zu gewinnen, und das eine Mal ist genau dieses Wochenende. Wir müssen nicht dreimal gegen Bayern spielen, sondern nur einmal unsere Chance nutzen. Das ist das Interessante am Fußball. Aber natürlich ist Finanzkraft wichtig. Denn Qualität kostet Geld, nicht nur im Fußball. Mit größerer Investitionsmöglichkeit erhöht man die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg. Allerdings kann man auch mehr Fehler machen.
Beim Fußball, und gerade bei Misserfolgen, wird es auch schnell unsachlich und persönlich. Wie gehen Sie mit solchen Fällen um?
Da schließt sich jetzt der Kreis zum Anfang des Interviews. Ich bin seit 25 Jahren einer kleiner Teil des Fußballgeschäfts inklusive Erfolgen, Misserfolgen und Medien. Und ich weiß, dass man innerhalb kurzer Zeit von himmelhoch jauchzend bis hin zu Tode betrübt das komplette emotionale Spektrum erfahren kann. Aber darauf bin ich vorbereitet. Ich bewerte das positive Extrem genauso wenig über wie das negative. Da hilft nur, authentisch zu bleiben. Wir werden nicht alles über den Haufen werfen, an das wir geglaubt haben, weil es mal nicht so läuft. Wir versuchen alle erdenklichen Szenarien durchzuspielen und Lösungsmöglichkeiten für sie zu finden.
Was machen Sie als Ausgleich zum Fußball und ganzen Rummel zum Abschalten?
Ich gehe gerne angeln, weil das für mich ein Hobby ist, bei dem ich tatsächlich mal Ruhe finde. Dort kann ich abschalten, einfach mal aufs Wasser oder in den Himmel schauen und einmal nicht an Fußball denken. Darüber hinaus hilft mir auch meine Fahrtstrecke von Halle nach Hause. Ich habe eine Stunde Zeit, den Tag zu verarbeiten. Das hilft. Wenn ich nur einen Weg von zehn Minuten nach Hause hätte, würde ich wahrscheinlich alles aus dem Stadion mit nach Hause schleppen. Am meisten hilft aber logischerweise die Familie.
Herr Ziegner, Viel Erfolg für die Saison und vielen Dank für das Interview.