Ansgar Striepens - Es war eine wunderschöne Zeit

Der Jazzmusiker Ansgar Striepens ist seit 22 Jahren der Leiter des Jugendjazzorchesters Sachsen-Anhalt. Während des Jugendmusikfestes gibt er seine letzten Konzerte mit dem Orchester, denn er verabschiedet sich. Kulturfalter sprach mit dem Musiker über seine Zeit mit dem Orchester.

Warum verlassen Sie das Jugendjazzorchester?

Ich tue das mit schwerem Herzen. Es gibt dafür mehrere Gründe: Ich wohne in Köln, kümmere mich von hier aus um mehrere Projekte und möchte mich verstärkt meiner Hochschultätigkeit widmen. Da wird es zeitlich immer enger. Ich denke, es war unfassbar schön, aber nach 22 Jahren ist es an der Zeit, etwas Neues zu machen. Ich bin wirklich total traurig, aber es fühlt sich richtig an. Ich habe schon vor sechs oder sieben Jahren gesagt, wenn Dietmar George, der langjährige Geschäftsführer und Projektleiter des Orchesters, den Landesmusikrat verlässt, dann gehe ich auch, denn das wäre ein guter Zeitpunkt für einen Generationenwechsel.

So ein Abschied ist immer ein Moment für einen Rückblick: Welche Höhepunkte sind Ihnen im Gedächtnis geblieben?

Oh, die Zeit war so reich an Höhepunkten. Das kann man gar nicht alles aufzählen. In Erinnerung bleiben mir immer die Begegnungen mit den Teilnehmern. Ich habe so unfassbar viele wunderbare Menschen kennengelernt. Viele von denen sind inzwischen Kollegen, die man immer wieder trifft. Dazu kommen solche Wegmarken wie die Kanada-Tour 2004, die CD-Aufnahmen, die Händel Festspiele, das Kurt-Weill-Fest, die Auftritte beim Reformationsjubiläum oder die Expo in Mailand und und und…

Gab es während Ihrer Zeit Musiker, bei denen Sie dachten: „Wow, der spielt mich hier mit seinen zwölf Jahren echt an die Wand?“

So würde ich das nicht sagen, aber wir hatten mehrere Aha-Erlebnisse während unseres Workshops „Making Jazz“. Diesen veranstalten wir regelmäßig, und da gab es öfters junge Musiker bei denen wir dachten: „Was ist das für ein wunderbares Talent. Der/die wird seinen/ihren Weg gehen“. In Erinnerung ist mir da, unter anderen, Sebastian Gille geblieben. Der kam aus einem kleinen Ort im Harz, und schon als ich ihn kennenlernte, hat er ein unglaubliches Talent am Saxophon gezeigt. Ebenso ist mir Tanja Pannier in Erinnerung geblieben. Sie hat eine großartige Karriere als Sängerin, Komponistin und Arrangeurin gemacht und ist jetzt Gesangsdozentin für Jazz und Pop an der Universität der Künste Berlin und eine wunderbare Kollegin.



Was hat Sie damals bewogen, die Leitung zu übernehmen?

Ich hatte schon immer Freude daran, mit jungen Menschen zu arbeiten. Und ich konnte mit der Leitung eines solchen Orchesters zwei Sachen, die ich mag, miteinander verbinden. Ich habe Spaß am Musik machen und an pädagogischen Tätigkeiten. Das auszuleben, war die perfekte Kombination. Außerdem ist es toll, Musik zu vermitteln, junge Menschen zu coachen und dann ein vorzeigbares Programm zu erstellen. Das fand ich und finde ich super und reizvoll.

Wie begeistert man junge Menschen vom Jazz?

Die wenigsten kommen einfach so zum Jazz. Die meisten kommen über klassische Musik, wenn sie lernen, ein Instrument zu spielen, mit dem Jazz in Berührung. Oder sie finden über die eigenen Hörgewohnheiten zum Jazz, weil sie anfangen zu fragen: „Woher kommt mein Instrument“. Weil Jazz eine der Wurzeln der Popmusik ist, stoßen sie dann auf diese Musikrichtung. Hinzu kommt, dass man sich im Jazz freier bewegen kann als bei klassischer Musik. Das ist ein wichtiger Punkt in der Persönlichkeitsentwicklung. Bei der Big Band kommt dann beides zusammen. Man muss als Orchester spielen und sehr präzise sein. Aber man hat immer Freiräume für eigene Improvisation, spielt nicht nur nach Noten. Das ist besonders reizvoll, und dann bin ich auch immer erstaunt, wie schnell die jungen Leute Aufnahmen aus den 40er-, 50er- oder 60er-Jahren anhören um zu erleben, wie andere mit ihrem Instrument gespielt haben.

Konnten Sie die Ziele von damals erreichen?

Ja, ich denke schon. Mir war es wichtig, die musikalische und die pädagogische Seite des Orchesters zu entwickeln. Und ich wollte, dass das Orchester nicht so beliebig klingt, sondern ich wollte das Besondere des Orchesters herausarbeiten. Dafür wollte ich die in Sachsen-Anhalt vorhandene Kultur mit einbinden, und es war toll, hier so viel Futter zu bekommen. Die Auswahl aus der Jazzgeschichte ist einzigartig. Das reicht von Kurt Weill aus Dessau bis zu Händel in Halle und Luther, der hier die Reformation begann. Das alles wollte ich mit einbinden und auch mit der Weltoffenheit des Jazz verbinden. So entstand immer ein Programm, das man nirgendwo anders hören kann, das war mir wichtig.

Wie kam es zu Zusammenarbeiten mit Jan Delay, Culcha Candela oder Helge Schneider?

Ich habe einen breiten Musikgeschmack und höre alles von Popmusik bis hin zu allen Arten des Jazz. Im Jahr 2005 kam es zu einer Zusammenarbeit mit der WDR Big Band. Das war eine tolle Sache und eine große Ehre. Ein Jahr später entstanden Projekte der WDR Big Band in Richtung Popmusik und ihr Manager fragte mich, ob ich für die „Radio 1Live Krone“-Show und Preisverleihung Arrangements für ein Projekt mit Jan Delay gestalten möchte. Dieses war das Erste von vier Stücken. Darauffolgend gab es ein Konzert und alles kann man auch auf einer Sonderedition seines Mercedes Dance Albums hören. Ähnlich war es dann mit Culcha Candela bei „Hamma“ oder auch mit Patrice. Ich liebe solche Kooperationen, denn Popmusik ist eine wunderbare Musik die man gestalten kann und die jeweiligen Künstler hatten auch keine Scheu vor Jazz und mit einer Jazz Bigband macht das einen riesigen Spaß.

Zurückblickend auf Ihre Karriere und das Orchester: Welche Tipps können Sie den jungen Musikern geben?

Eine der Sachen, die alle Menschen mitbekommen, die mich in pädagogische Tätigkeit erleben, sind: Time und Sound. „Time“ ist im Jazz unglaublich wichtig. Es ist das Gefühl für die Zeit und wo man die Noten platzieren könnte. Und ebenso wichtig ist der Sound. Wenn ich eine neue Band habe, dann rede ich über diese beiden Sachen und kann dann so sehr schnell mit ihr Fortschritte erzielen. Sie klingen nach kurzer Zeit wesentlich besser.  Wenn ich erreiche, dass die Musiker ihre Noten besser platzieren und ein Gefühl für den Sound bekommen, dann hat man am Ende einer Probe ein ganz anderes Orchester als am Anfang. Und solange ich solche Ergebnisse dabei feststelle und höre, werde ich das weiter so machen.



An wen übergeben Sie den Staffelstab?

Der Trompeter und langjährige Tutor Ralf Hesse wird die Band als musikalischer Leiter übernehmen. Er war 2003 das erste Mal als Tutor dabei und ist einer von Deutschlands besten Arrangeuren. Ich kenne ihn seit meiner Studienzeit in Köln. Ich will nicht weggehen mit dem Gefühl, dass die Band jetzt verloren ist, aber bei ihm weiß ich: sie ist in guten Händen. Und auf Dietmar George folgt Ulrike Nemson als neue Geschäftsführerin, und Projektleiterin des Jugendjazzorchesters wird Marie-Christin Herberg. Sie ist eine tolle Nachfolgerin, und wir können den Übergang so vorbereiten, dass es keinen Bruch, sondern einen Übergang gibt.

Was gibt es Besonderes zum Abschied beim Jugendmusikfest?

Bei der Zusammenstellung des Programms habe ich natürlich 22 Jahre Revue passieren lassen. Dann habe ich festgestellt, dass das Konzert drei Tage lang sein müsste, wenn ich alles das spielen will, was ich gern würde. Aber wir haben drei Arrangements dabei, die ich für das Orchester geschrieben habe. Es sind Stücke von Kurt Weill und das erinnert mich an die Zeit von vor 20 Jahren. Dann spielen wir Stücke aus dem Luther-Programm und haben eine Reminiszenz an Peter Herbolzheimer im Programm, denn ein Workshop von ihm war die Initialzündung für die Gründung des Orchesters. Wir spielen ein Werk aus dem Jahr 1944, etwas Modernes von der Fusion-Band „Yellowjackets“ sowie etwas von Bob Florence. Von ihm hatten wir fast immer etwas dabei. Für das Jugendmusikfest habe ich einmal das Volkslied „Die Gedanken sind frei“ arrangiert, und auch das wird Teil des Programms sein.

Es sind vier Konzerte im Rahmen des Jugendmusikfestes und insgesamt noch fünf Konzerte.

Auf welche Punkte freuen Sie sich noch?

Ich freue mich auf das Konzert in Magdeburg. Das wird ein Doppelkonzert mit der Bigband des Konservatoriums Georg Philipp Telemann aus Magdeburg. Der Leiter der Band Erhardt Buschendorf macht eine wunderbare Nachwuchsarbeit.

Was haben Sie für die Zukunft geplant?

Ich möchte mich als Musiker und Komponist neuen Projekten widmen. Auch habe ich als Leiter des Bundesjazzorchesters einiges zu tun. Ich möchte Konzerte im Ausland mit befreundeten Big Bands spielen. In Holland gibt es das Metropole Orchestra und dazugehörend das Young Metropole Orchestra – auf alle diese neuen Projekte freue ich mich sehr.

Herr Striepens, vielen Dank für das Gespräch.