Die Kapelle „Zum heiligen Kreuz“ – ein Sakralbau im Alten Rathaus zu Halle

Im nördlichen Teil des alten halleschen Rathauses befand sich seit dem Mittelalter eine Kapelle mit dem Namen „Zum heiligen Kreuz“. Diese wurde erstmals 1327 urkundlich erwähnt und diente den Ratsherren der Stadt Halle, um vor ihren Amtsgeschäften die allmorgendliche Messe zu besuchen. Sie wurde ursprünglich als freistehender Saalbau in Ost-West-Ausrichtung auf dem Marktplatz erbaut und erst später im Zuge einer Erweiterung des Rathauses zu dessen nördlichem Abschluss. Ihren baulichen Grundriss bildete ein Quadrat, das wahrscheinlich auf die Nutzung der Überreste eines früheren Turmbaus zurückzuführen ist. Die Chorpartie der Merkmale der Hochgotik besitzenden Kapelle war polygonal, lag an der Ostseite des Rathauses und verfügte über einen 5/8-Schluss. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts fand eine erste, größere Umbau- bzw. Erweiterungsphase zur Marktseite hin statt. Die Rathauskapelle wurde nach vorne durch einen viereckigen Anbau in Bruchstein und einen Giebel mit Blendarkaden erweitert.



Der Name der Kapelle „Zum heiligen Kreuz“ geht auf die Verehrung einer Reliquie aus dem Kreuz Christi zurück. Bestärkt wird die Annahme der einstigen Existenz eines solchen Partikels durch die in Olearius’ Chronik für 1669 bezeugte Entdeckung einer Kapsel mit einem Stück Holz im Zuge der Einrichtung der Stadt- und Berggerichtsstube in der Kapelle. Dreyhaupt beschreibt den Fund als eine „aufwendig verguldete, mit Edelsteinen und einem Kreuz besetzten zinnernen Schachtel“. Ob es sich tatsächlich um einen Teil des Kreuzes handelte, ist in Anbetracht der Fülle von Gotteshäusern mit demselben Namen natürlich zu hinterfragen. Auch eine Monstranz wurde gefunden. Das Vorhandensein einer Kapelle am Rathaus stellte keine Besonderheit oder gar einen Widerspruch zum kommunalen Selbstbewusstsein dar – schließlich versuchte Halle stets, seine Unabhängigkeit von den Stadtherren, den Magdeburger Erzbischöfen, zu vergrößern, es gehörte zum gängigen Raumprogramm des Mittelalters. Es weist auf die Tatsache hin, dass es sich beim Rathaus um eine Verschmelzung der profanen Politik und eines religiösen Ortes handelte. So ist in der Kapelle seit spätestens 1502 ein Ratsgestühl belegt. Für dieses Jahr weisen Chroniken auch auf die Anbringung von Wappen und eines Wappenhalters hin. Die Besonderheit eines solchen Ratsgestühls liegt in der Symbolik des Sitzens während einer Messe als einer Demonstration der gottgegebenen Autorität. Dies war bis in das 14. Jahrhundert nur dem Klerus und Adel vorbehalten gewesen. Mit dem Gestühl und dessen Platzierung in der Chorpartie, dem heiligsten Bereich der Kapelle, wies der Rat auf seine eigene Erwähltheit hin.



Die Ratskapelle hatte im kirchlichen Leben der Stadt eine besondere Stellung, die auf einige Privilegien zurückzuführen sind. Quellen belegen, dass höchste Würdenträger, darunter Papst Bonifatius IX., mehrfach denjenigen Ablässe erteilt hatten, die den Gottesdiensten in der Kapelle an den höchsten Feiertagen beiwohnten und Almosen gaben. Auch gewährte Papst Johannes XXIII. der Kapelle 1414 eine besondere Freiheit: Während eines Interdikts oder wann auch immer gottesdienstliche Handlungen in Halle und der Provinz Sachsen untersagt wären, dürften die Ratsmänner und weitere Würdenträger diese im Stillen ausführen und ihnen beiwohnen.

Die Kapelle wurde 1390 vom Propst des Kloster St. Moritz konfirmiert. Dem ging eine Auseinandersetzung zwischen dem Rat und dem Propst des Klosters Neuwerk voraus, der die Jurisdiktion über einen Großteil der städtischen Kirchen innehatte und befürchtete, den Pfarrkirchen Halles würden „Einkommen und Opfer“ entgehen. Der Magistrat Halles wandte sich an Papst Bonifatius IX., der den Propst des St. Moritz-Klosters gegen den Widerstand der Neuwerker mit der Weihe beauftragte. In der Zeit der Reformation verlor die Kapelle ihre gottesdienstliche Bestimmung. Sie wurde durch den Einzug einer Decke in „roher Weise“ in zwei Stockwerke geteilt. Die untere Geschosshälfte diente als Lager oder Verkaufshalle. Die Umnutzung bedeutete aber nicht, dass die Räte in protestantischen Städten den göttlichen Segen nicht mehr beanspruchten. Um die auf dem Marktplatz entstehende „heilsgeschichtliche Lücke“ zu schließen, wurden geistliche Lieder vom Rathaus herab musiziert. 1669 wurde im oberen Stockwerk der Kapelle die Stadt- und Berggerichtsstube eingerichtet und die Räumlichkeiten auch in den weiteren Jahrhunderten zu Verwaltungszwecken genutzt. Am 31. März 1945 wurde das Rathaus Ziel alliierter Bombenabwürfe und schwer beschädigt. Die Folge war der Abriss des gesamten Rathauses in den Jahren 1948 und 1950, obwohl der Zustand der baulichen Grundsubstanz einen Wiederaufbau ermöglicht hätte.

(Autor/in: Johannes Möws)