Zerbrechliche Kostbarkeiten – Das Porzellanwerk in Lettin

Das feine Porzellangeschirr gehörte zum Sonntagsbraten genauso wie zur Kaffeetafel. Liebevoll gedeckt mit weißem Tischtuch, Blumen, Servietten und dem Speiseservice wurde das Essen so zu einem außergewöhnlichen Ereignis. Im Beisammensein der Familie oder in geselliger Runde mit Freunden rückte der Alltag für eine Weile in den Hintergrund. Geschirrporzellane wie Tafel-, Kaffee- und Teeservice wurden in einer breiten Form- und Dekorvielfalt über 100 Jahre auch in Lettin produziert (Abb. 1).

Im nordwestlich gelegenen Dorf Lettin, das 1950 in die Stadt Halle eingemeindet wurde, gründete der Porzellandreher Heinrich Baensch (1830–1911) im Jahr 1858 eine Porzellanmanufaktur. Entscheidend für die Standortwahl waren die in der Region vorhandenen Rohstoffe. Besonders wichtig war das naheliegende Vorkommen von Kaolin, einem der wesentlichen Bestandteile des „weißen Goldes“.



Die rasch voranschreitende Industrialisierung bescherte auch der Porzellanfabrik in Lettin einen technischen und wirtschaftlichen Aufschwung. Befand sich das Warenabsatzgebiet zunächst nur in der Umgebung und innerhalb Deutschlands, gelangten die Porzellane Ende des Jahrhunderts in alle Welt. Zu den Hauptexportregionen zählten England und Nordamerika.

Porzellan hatte inzwischen längst den Status reinen Luxusgutes, das nur den wohlhabendsten Teilen der Gesellschaft vorbehalten war, verloren. Die industrielle Produktion ermöglichte eine Preisreduzierung, und nach und nach zog es in die bürgerlichen Haushalte ein. Das Tischgeschirr, ein mehrteiliges Service, das aus einer großen Vielfalt an Geschirrteilen bestand und deren Teile alle mit dem gleichen Dekor ausgeschmückt  waren, verlieh einem ausgedehnten Essen in Gemeinschaft einen ganz besonderen Wert. Gleichermaßen wurden in der Lettiner Porzellanfabrik auch robustere Alltagsgeschirre hergestellt. Dazu gehörten die speziellen Porzellane für Hotels und Gaststätten, die sehr gut stapelfähig waren und als Weißware oder auf Wunsch der Kundin bzw. des Kunden mit Namen oder Firmenzeichen versehen wurden. Anhand von Messe- und Verkaufskatalogen konnten sie aus einem umfassenden Sortiment von etwa 2.000 Formen und 6.000 Dekoren sämtliche Geschirrteile, aber auch Zierporzellane wie Vasen, Dosen und Schalen auswählen.



Tiefe Einschnitte erlebte die Porzellanproduktion in Lettin im 20. Jahrhundert durch die beiden Weltkriege. Die krisenhafte Zwischenkriegszeit wurde von einer kurzen und vor allem künstlerisch sehr produktiven Phase unterbrochen. Die politischen, wirtschaftlichen und strukturellen Veränderungen führten nach der Gründung der DDR dazu, dass das Lettiner Werk seine Eigenständigkeit verlor und in einen Staatsbetrieb umgewandelt wurde. 1969 erfolgte die Angliederung an das VEB Porzellankombinat Colditz. Von nun an bestimmte die Leitung in Colditz, welche Artikel in Lettin produziert wurden. Dazu gehörten jetzt vor allem Kaffee-, Tee- und Mokkaservice sowie Sammeltassen. Die verschiedenen Porzellane wurden in sehr hohen Stückzahlen hergestellt und mannigfaltig dekoriert. Die günstigen Preise für Porzellangeschirre sorgten schließlich für eine massenhafte Verbreitung (Abb. 2).



Das rasche Ende des Porzellanwerks in Lettin im Jahr 1990 geht auch mit den Konjunkturschwierigkeiten der Porzellanindustrie einher, die sich in der BRD schon seit den 1980er-Jahren abzeichneten. Unsere Lebensentwürfe und Essgewohnheiten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm verändert. Das klassische Sonntagsessen oder die Ka eetafel gibt es kaum noch. Das feine Geschirr ist aus der Mode gekommen. Nicht selten landen die Schätze aus Uromas Zeiten auf Flohmärkten oder in „Verschenke Kisten“ in den Straßen. Begehrt und gehütet bleibt das Porzellan nur noch bei wenigen LiebhaberInnen und SammlerInnen.