Wo die Show zu Hause ist - 125 Jahre Steintor Varieté

„Möge ein guter Stern über dem Walhallatheater stehen!“ so lautet die Botschaft ambitionierten Wohlwollens vom 1. Februar 1889 im „Halle’schen Tageblatt“. Wenngleich mitunter in der Leuchtkraft schwankend, strahlt hell und weit über die Stadtgrenzen hinaus seit nunmehr 125 Jahren dieser Stern der heiteren Muse über Halle. „The Show must go on“ – auf der Bühne, wie im Zeitenlauf. Stets der Publikumsgunst ausgeliefert, ist das Ranking der Emotionen aber am ehrlichsten. Zudem untersetzt ein „harter Standortfaktor“ die Feierlaune: Das hallesche Steintor Varieté darf sich mit seinen nunmehr 125 Jahren als die älteste Spielstätte ihrer Art auf der ganzen Welt rühmen. Stars und Sternchen geben sich hier seither die Ehre.

Zweiflern und Skeptikern sei mit auf den Weg gegeben, dass bereits in der 1868 an heutiger Spielstätte firmierenden „Lözius’schen Reitbahn“ varietéhaft-zirzensische und theatralische Darbietungen auf dem Programm standen. Seither erfährt das Areal durch darstellende Künste seine Prägung. Von 1883 bis 1886 bietet der Ort zunächst dem Stadttheater für die Bauzeit seiner neuen Spielstätte an der „Alten Promenade“ (heute Opernhaus am Universitätsring) Raum für eine Interimsbühne. Nach erneuten, über vier Monate andauernden Umbaumaßnahmen ist es dann soweit: An erwähntem Tag des Jahres 1889 eröffnet mit dem „Walhalla-Theater“ eine „Bühne für Spezialitäten allerersten Ranges“. Eine Institution, die der damals „werdenden Großstadt nicht wenig zur Zierde“ gereicht haben dürfte. Am Eröffnungsabend kommen annähernd 2000 geladene Gäste, die „in den geschmackvoll ausgestatteten und glänzend erleuchteten Räumen dicht das weite Parterre nebst dreifachen Galerien, Logen und Balkon füllen“. Das musikalisch umrahmte Eröffnungsprogramm bietet einen Reigen abwechslungsreicher Darbietungen. Immer am Puls der Zeit, immer modern, immer sensationell, immer voller Esprit und Tempo – mit ihren Angeboten und Aufführungen avanciert die Varieté-Bühne in der Folgezeit zu einer gefragten Adresse der Unterhaltungskunst. Neben üblichen „Spezialitäten- und Nummern-Programmen“ nimmt das Walhalla-Theater bereits nach 1900 Operetteninszenierungen in seinen Spielplan auf. 1903 gastierte erstmals das Berliner Apollo-Theater mit einer prachtvollen Inszenierung von Paul Linckes Operette „Lysistrata“.



Im Jahre 1909 übernimmt Direktor Paul Blüthgen (1868–1936) die Leitung des Hauses. Allen Widrigkeiten zum Trotz führt er das mehrfach von der Schließung bedrohte Unternehmen durch die wechselvollen Jahrzehnte bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1934. Den jeweiligen Trends und Bedingungen Rechnung tragend, dient das Walhalla unter seiner Ägide neben der fortgesetzten Nutzung als Operettentheater auch als Kino sowie Ringkampfarena und erlebt in den „Goldenen Zwanzigern“ eine Blütezeit als Varietébühne. Unter anderem liefern 1925 der unvergleichliche Humorist Otto Reutter (1870–1931) und 1928 der Jongleur Enrico Rastelli (1896–1931) Kostproben ihres Könnens. Nach dem Tode Blüthgens und Jahren der Schließung ab 1936 wird die Varietébühne im Januar 1943, nunmehr unter dem Namen Steintor, wieder eröffnet. Knapp anderthalb Jahre später erfolgt unter den mörderischen Regularien des vom NS-Regime verfügten „totalen Krieges“ die erneute Schließung. Der Vorhang hebt sich erst wieder nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges unter dem Wohlwollen der sowjetischen Besatzungsmacht im Juli 1945. Den bunten Reigen der Darstellungen beginnt das 16köpfige Steintor-Orchester. Zu erleben sind Dressurakte, Elastik- und Kautschukakte, Exzentriker, Gesangs- und Tanznummern sowie humoristische Einlagen. Es folgen die Revue „Traumland“ und Programme wie „Einfach zauberhaft“, „Knallbonbons“ und „Weihnachtsüberraschungen“.



1954 wird das Haus mit der Übernahme durch die Deutsche Konzert- und Gastspieldirektion zum „volkseigenen“ Staatsbetrieb. Der enormen Popularität allerdings tut dies keinen Abbruch. Das neben dem Berliner Friedrichstadtpalast einzige Varieté-Theater der DDR setzt Maßstäbe. Hier gastieren einheimische „Stars“ wie Bärbel Wachholz, Eberhard Cohrs, die 4 Brummers, die Puhdys oder Frank Schöbel, aber auch international renommierte Interpreten des Westens wie Katja Ebstein oder Rex Gildo. Unvergessen bleiben die Auftritte begnadeter Entertainer wie Günther Krause und O. F. Weidling. Zu wahren Steintorklassikern geraten Showprogramme wie „Tanz im Wandel der Zeiten“ oder die Weihnachtsrevue „Hoppel Poppel“. Nach 1990 zeitweilig geschlossen, eröffnet dank engagierter Betreiber nach wechselvollen Wendejahren das traditionsbeladene Steintor-Varieté voller Optimismus 1996 wieder seine Pforten. Getragen von der Gunst des Publikums leuchtet der Stern des Halleschen Varieté-Theaters auch im Jubiläumsjahr.

(Erik Neumann, Kulturfalter Februar 2014)