Professor Dr. Günter Mühlpfordt. Am 28. Juli 2021 wäre er 100 Jahre alt geworden
Alte Grabsteine verkünden: Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen …
Günter Mühlpfordt starb, fast 96 Jahre alt, im April 2017. Mit Mühe und Arbeit im Dienst von Wissenschaft und Wahrheit zu wirken, war sein Leben. Sein Credo, nach dem römischen Dichter Juvenal, lautete: Vitam impendere vero – Das Leben der Wahrheit weihen. Bereits der Aufklärer Jean-Jaques Rousseau folgte diesem Leitspruch – und die Aufklärung war lebenslang Mühlpfordts Hauptforschungsfeld.
Doch seine Einstellung – rigoros der Wahrheit verp ichtet – blieb nicht folgenlos. Die nach 1945 in Ostdeutschland herrschenden politischen Verhältnisse machten aus dem ho nungsvollen jungen Gelehrten einen Geächteten. Selbst die „vollständige Rehabilitation“ 1990 konnte dies Unrecht nicht wiedergutmachen, eine Fortsetzung der gewaltsam abgebrochenen Universitätskarriere war für den fast 70-Jährigen unmöglich. Nicht aber weitere wissenschaftliche Forschungen und Publikationstätigkeit. Davon später mehr.
Günter Mühlpfordt, am 28. Juli 1921 in eine hallesche Fabrikantenfamilie geboren, entdeckte seine Liebe zur Geschichte früh. Als Achtjähriger las er in Geschichtsbüchern seines Vaters; schon Zögling der Franckeschen Stiftungen, faszinierte ihn Putzgers Großer Geschichtsatlas von 1931. Er interessierte sich für Sprachen und das Mittelalter, sein Studienwunsch stand bald fest. 1939 legte er ein glänzendes Abitur ab und begann an der Alma Mater Halensis ein Studium der Geschichte, Philosophie und Slawistik. Bereits 1941 wurde er mit einer Arbeit über „Die deutsche Führung des böhmisch-mährischen Raumes in der Zeit Maria Theresias und Josefs II.“ mit magna cum laude promoviert.
Krieg und Kriegsgefangenschaft kosteten ihn Zeit, doch unbeirrt behielt er sein Ziel im Auge. 1947 wurde er Lehrbeauftragter und Assistent und baute an der halleschen Uni ein Institut für Osteuropäische Geschichte auf. Auch an der Humboldt-Universität zu Berlin übernahm er den Wiederaufbau des Instituts für Osteuropäische Geschichte. 1953 habilitierte er sich mit einer Analyse über „Die polnische Krise von 1863“ – das Thema wählte er wegen der Analogie zwischen dem einst geteilten Polen und dem nun geteilten Deutschland.
Spätestens die geplante Antrittsvorlesung im Mai 1953 – „Ursachen der Rückständigkeit des zaristischen Russland“ – miss el den akademischen Politbonzen so gründlich, dass man sie kurzerhand verbot. Dennoch wurde Günter Mühlpfordt 1954 zum Professor berufen und zum Direktor des halleschen Instituts für Osteuropäische Geschichte ernannt. 1956 erschien Band 1 seines „Jahrbuchs für Geschichte Ost- und Mitteleuropas“, mit der Absicht, „Brücken zu schlagen“ zwischen Ost und West. Danach entzog man ihm das Projekt.
Er erhielt Rufe nach Rostock, Berlin und Leipzig – und lehnte ab. Sein Lebensmittelpunkt war und blieb Halle, auch nachdem er infolge politisch-ideologisch motivierter Hetzkampagnen im April 1958 aller universitären Ämter enthoben und mit Lehrverbot belegt worden war und die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ihn im April 1963 entließ. Bis 1989 schlug er sich als stellungsloser Privatgelehrter durch. Seine Frau und Mitarbeiterin, die Buchhändlerin Elisabeth Kopp († 1999), unterstützte ihn bedingungslos. „In den Westen“ zu gehen, erwog er nie – es hätte ihn von allen Quellen für seine Forschungen abgeschnitten. Rastlos arbeitete und publizierte er – nur selten im eigenen Land. Die Fachwelt nahm die in der alten Bundesrepublik, Israel, Italien, Kanada und in den USA verö entlichten Abhandlungen, Artikel und Aufsätze (meist abenteuerlich dorthin geschmuggelt) mit großem Interesse auf. Nach 1989 trat Mühlpfordt aktiv in die internationale scienti c community ein: Er nutzte Forschungsaufenthalte, fuhr zu Tagungen und Kongressen, hielt Vorträge, publizierte seine neuesten Erkenntnisse zur deutschen und europäischen Aufklärung … Aus Anlass seines 75.Geburtstags richteten die Universität und die Franckeschen Stiftungen ein Festkolloquium aus. 1997 bis 2003 erschienen sieben Bände der mit rund 6.000 Seiten umfänglichsten je einem Historiker gewidmeten Festschrift.
1999 erhielt Günter Mühlpfordt für seine Erforschung der Geschichte des mitteldeutschen Raumes den Eike-von-Repgow-Preis der Stadt Magdeburg und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Nach der Jahrtausendwende plante er, seine über Jahrzehnte verstreut erschienenen Publikationen zur mitteldeutschen Aufklärung gesammelt und aktualisiert neu herauszugeben: Von 2011 bis 2017 kamen im Mitteldeutschen Verlag vier Bände der Reihe „Mitteldeutsche Aufklärung“ heraus. Dann nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand.