Wie aus dem verschuldeten Waisenhaus die Frankeschen Stiftungen wurden.

Die Franckeschen Stiftungen haben nicht den Ruf, eine krisengebeutelte Einrichtung gewesen zu sein. Ihre mehr als dreihundertjährige Erfolgsgeschichte spricht jedoch nicht nur für vornehmlich pädagogischen Innovationsgeist, sondern auch für ihre Anpassungsfähigkeit. Die Krise des Waisenhauses um 1800 ist genau deshalb Teil dieses Erfolgs, weil sie nicht zuletzt ein rationales Umdenken bei der Finanzierung sozialer Wohlfahrt um 1800 erzwang. Es ging um Folgendes: Die Franckeschen Stiftungen hatten sich jahrzehntelang massiv verschuldet. Dafür waren zum einen die Teuerungen im Zuge des Siebenjährigen Krieges und die Missernten zwischen 1770 und 1773 verantwortlich, die den Bezug von Nahrungsmitteln und Brennholz für den Anstaltskomplex erheblich erschwerten. Zum anderen bröckelten die vier Säulen der Waisenhausökonomie zusehends:

Durch die zunehmenden medizinal-polizeilichen Beschränkungen des Medikamenten-Exports in vielen Teilen des Deutschen Reichs und den Wandel der medizinischen Wissenschaft nahmen die enormen Gewinne der Medikamentenexpedition von durchschnittlich 30.000 Reichstalern in den Jahren ab 1750 zusehends ab. Der Buchhandel des Waisenhauses wies ein zwar konstantes, aber eher geringes Geschäftsvolumen auf und konnte die Einbußen anderer Erwerbseinrichtungen nicht kompensieren. Das Spendenaufkommen wurde zusehends geringer, was sich teilweise auf die Teuerungswellen zurückführen lässt. Schließlich flossen auch die Einnahmen aus Schulgeldern nicht mehr üppig: Als August Hermann Niemeyer das Inspektorat am Pädagogium 1784 übernahm, dessen Klientel sich aus zahlungskräftigen Adels- und Bürgersöhnen rekrutierte, zählte es nur noch knapp zwanzig Schüler und war massiv in seiner Existenz gefährdet.



Verschärft wurde diese Grundsituation durch die Baufälligkeit vieler Gebäude, sodass die Waisenhausdirektion bis zum Jahr 1791 gezwungen war, Schulden in einer Gesamthöhe von 21.500 Reichstalern aufzunehmen, um den bereits stark eingeschränkten Betrieb aufrechtzuerhalten. Diese angespannte Situation eskalierte mit dem Ableben des sehr gealterten Verwalters der Cansteinischen Bibeldruckanstalt, Sebastian Andreas Fabricius, im Jahr zuvor. Durch jahrelange unregulierte Vergabe von Krediten waren katastrophale „Caßen-Defecte“ entstanden, für die das Direktorium des Waisenhauses zum Teil mit haftbar gemacht wurde. Da sich die Tilgung der Schulden nicht mehr auf dem herkömmlichen Weg des Verzichts lösen ließen, wurde der hallische Justizkommissar Johann Gottlob Stehlich 1791 beauftragt, ein Gutachten über die Wirtschaftsund Erwerbseinrichtungen des Waisenhauses zu erstellen und, darauf basierend, professionellen Rat zu erteilen. Das Ergebnis seiner Prüfung war betrüblich. Die schwer im Voraus zu kalkulierenden Einnahmen aus Spenden und Gewerben ließen die effiziente Erarbeitung eines jährlichen Etats kaum zu. Außerdem wurde kein Vermögen gebildet, das schwere Zeiten absichern würde. Es blieb nur eine Möglichkeit: Die regelmäßige fi nanzielle Unterstützung beim preußischen König zu erbitten. A. H. Niemeyer hatte darin bereits Erfahrung – seit 1787 schickte er im Namen des Pädagogiums Bittschriften und Audienzgesuche an Friedrich Wilhelm II. Jedoch erst als er die Jubiläumsschrift anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Pädagogiums nicht nur an den Minister Johann Christoph Woellner, sondern direkt an den Herrscher sandte, erfolgte die gewünschte Bezuschussung von 600 Reichstalern im Jahr. Da sein Verhandlungsgeschick von seinen Amtskollegen J. L. Schulze und G. C. Knapp enorm geschätzt wurde, begab sich Niemeyer noch 1798, im Jahr nach dem Herrscherwechsel, an den preußischen Königshof nach Berlin, um persönlich bei Friedrich Wilhelm III. für das gesamte Hallesche Waisenhaus zu werben, das sich derzeitig in einer „bedauerlichen Lage“ befände.



Jedoch sollte es noch zwei Jahre dauern, bis der ersehnte, jährliche Etat von insgesamt 5.000 Reichsmark aus Berlin endlich festgelegt und ausgezahlt wurde. In der Zwischenzeit versuchten Schulze, Niemeyer und Knapp mit publizistischen Mitteln für das Hallesche Waisenhaus und seine Schulen zu werben, um Spendeneinnahmen und Schulgelder auf ein erträgliches Niveau zu hieven. Das prominenteste Beispiel ist wohl die Herausgabe der Zeitschrift „Franken’s Stiftungen“ 1792–1795, die preislich gestaff elt bezogen werden konnte und mit ihren Texten das Image der Waisenhausschulen verbessern sollte. Leider brachte dieses Projekt jenseits der Umbenennung des „Halleschen Waysenhauses“ in „Franckesche Stiftungen“ nur wenig ein und wurde relativ rasch eingestellt. Die zu den Hunder-Jahr-Feiern des Pädagogiums und des Waisenhauses versandten Festschriften, die im Vergleich weniger prominent sind, brachten hingegen deren staatspädagogische Bedeutung wieder in den Fokus Friedrich Wilhelms III. und sicherten so den Fortbestand der Einrichtungen.

(Autor/in: Katharina Prager)

Das im November erscheinende „Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 2017“ enthält einen ausführlichen Artikel der Autorin zum Thema, einen Extrakt ihrer Masterarbeit am Institut für Geschichte der MLU Halle-Wittenberg.