Johann Beer - Multitalent am hallischen Hof

Nur selten gelingt es, ein lebendiges Bild eines Menschen der Vormoderne zu gewinnen. Zumal, wenn es sich weder um einen Gelehrten im akademischen Sinne, einen Adligen oder um einen in politischen Dingen tätigen Menschen handelt. So sind es schließlich doch Zeugnisse von der Art, wie sie Künstler und Schriftsteller hinterlassen, die über Lebensdaten hinaus die Individualität, das Umfeld und die Weltsicht eines Menschen plastisch hervortreten lassen. Es gibt einen solchen Zeugen für das Halle der siebziger Jahre des 17. Jahrhunderts: Johann Beer, Sänger und Schriftsteller.

Weltsicht hatte er bereits gewinnen können, der junge Johann Beer, als er im Oktober des Jahres 1676 nach Halle kam. Geboren 1655 in St. Georgen im österreichischen Attergau, war das musikalische Talent des Wirtssohnes früh entdeckt und an Schulen und in einem Benediktinerkloster gefördert worden. Durch seine Eltern, die vor der Rekatholisierung Oberösterreichs nach Regensburg auswichen, kam er in die Reichsstadt, wo er ein humanistisches Gymnasium besuchte. Ausgestattet mit einem Stipendium des Regensburger Rates wurde er 1676 zum Theologiestudium nach Leipzig gesandt. Von hier aus ließ er sich – zum Missfallen der Stipendiengeber – „abwerben“ und zog in den Hofdienst. Der Herzog, der den „Altisten“ zu einer Besoldung von jährlich 180 Reichstalern, Verp egung bei Hofe und täglich einem Maß Wein in seine Dienste nahm, war August von Sachsen (1614-1680), der letzte Administrator des Erzstifts Magdeburg. Beer gehörte nun der personell sehr gut ausgestatteten Hofkapelle an.



Am 17. Juni 1679 heiratete Beer die neunzehnjährige Rosina Elisabeth Bremer. Diese war die bereits verwaiste Tochter des Gastwirtes zum Schwarzen Bären in Halle, dessen Gastwirtschaft unweit des Marktes in der Bärgasse lag. Der „Statt-Prediger“ und Archidiakon an der St. Marien-Kirche, Magister Christoph Andreas Merck (1620-1692), traute das Paar in der Gaststube. Ein Freund Beers war ein Sekretär des Hofes, Johann Georg Flach, der den Gasthof zum Schwarzen Bären 1683 kaufte. Die Zeit der Residenzstadt Halle war zu diesem Zeitpunkt schon zu ihrem Ende gekommen und Beer nicht mehr in Halle. Als 1680 der Administrator verstorben war, folgte der Sänger mit seiner Familie dem Hof nach Weißenfels. Johann Adolph von Sachsen (1649-1697), Sohn des Administrators und neuer Herzog von Sachsen-Weißenfels, hatte die Hofhaltung in die Hauptstadt der 1657 neu gebildeten sächsischen „Erblande“ verlegt.

Doch Johann Beer sang und komponierte nicht nur, sondern verfasste unter Pseudonymen wie Jan Rebhu, Antonio Canimera oder Alamodo Pickelhering auch rund 20 Romane! „Gefragt“ war sein Talent als Musiker – die Seite des Satirikers, klugen Beobachters und mit einer „barock“ zu nennenden Fantasie begabten Schriftstellers gedieh eher im Verborgenen. Häufiges Thema seiner literarischen Produktion war das sicher auch aus eigener Anschauung gespeiste Verhältnis zwischen Hof und Stadt, zwischen Adligen, Hofleute und „einfachen“ Menschen. Neben Romanen und satirischen Schriften verfasste er auch eine Autobiographie: „Johann Beer. Sein Leben von ihm selbst erzählt“, eine Handschrift, die erst 1962 entdeckt und herausgegeben wurde. Dieser Quelle verdanken wir Einblicke in das Hofeben zu Halle und Weißenfels, viele Details über Beers Reisen und Geschäfte, familiäre Dinge wie die Geburten und auch den Tod einiger seiner Kinder, sowie in kurze Geschichten gefasste Beobachtungen und Ereignisse aus Stadt und Land.



Ein besonderer Dienst, den Beer Halle erwies, ist die Ausarbeitung einer der hallischen „Kern“-Legenden: Im Jahre 1698 erschien in Weißenfels "Die Geschicht und Histori von Land-Gra Ludwig dem Springer, aus Thüringen". Der – von Beer wiederum selbst geschaffene – Titelholzschnitt zeigt eine nicht wenig abenteuerliche Illustration der namensgebenden Tat an der Burg Giebichenstein. Beers Tod hätte selbst einem seiner Romane entspringen können: Im August des Jahres 1700 wurde er bei einem Vogelschießen in Weißenfels von einer Kugel getroffen, einige Tage darauf erlag er, 45jährig, seinen Verletzungen.

(Andrea Thiele, Kulturfalter August 2008)