Henrich Steffens (1773–1845) Ein norwegischer Gelehrter in Halle

Wer schon einmal durch das Paulusviertel geschlendert ist, hat feststellen können, dass viele der Straßen nach Dichtern, aber auch Philosophen, Theologen, Wissenschaftlern oder Künstlern benannt sind. Unter ihnen findet sich auch der Name Steffens. Die Steffensstraße geht ab von der Ludwig-Büchner-Straße, führt am Steffensplatz vorbei und verläuft einmal um das Tierheim herum. Goethe, Schiller, Schleiermacher, diese Namen sind bekannt – doch wer war dieser Steffens?



Auf dem Straßenschild heißt es in einer Erklärung: „Henrich Steffens (1773–1845), Naturphilosoph, Mineraloge und Dichter. 1804–1811 Professor in Halle“. Henrich (oft auch Henrik geschrieben) Steffens ist eine zentrale Gestalt der deutschen und skandinavischen Kultur- und Geistesgeschichte. Als Sohn eines deutschstämmigen Vaters und einer dänischen Mutter wurde er am 2. Mai 1773 im norwegischen Stavanger geboren, welches damals zu Dänemark gehörte. Aufgewachsen in Trondheim und später im dänischen Helsingør, Roskilde und Kopenhagen legte er als erster Kandidat Dänemarks an der Universität in Kopenhagen das Examen in Mineralogie, Botanik und Zoologie ab und damit den Grundstein für seine spätere berufliche Laufbahn. In Kiel promovierte er mit einer Abhandlung über die Mineralogie und lernte die philosophischen Schriften von Spinoza, Lessing und vor allem Schellings kennen.



Von 1799 bis 1801 studierte Steffens bei Abraham Gottlob Werner an der Bergakademie in Freiberg. Auf dem Weg dorthin hatte er einen längeren Zwischenstopp in Jena gemacht, um die Vorlesungen Friedrich Schellings zu hören. Aus dieser Bekanntschaft entstand nicht nur eine lebenslange Freundschaft. Schelling machte Steffens auch mit vielen derjenigen bekannt, deren Namen man im Paulusviertel auf den Schildern entdecken kann: Mit Friedrich Schleiermacher verband ihn eine enge Freundschaft, gemeinsam erlebten und überstanden sie die Besetzung Halles 1806 durch die Truppen Napoleons. Mit Goethe und Schiller hat Steffens die Silvesternacht 1799 verbracht und auf das neue Jahrhundert angestoßen.

Als Steffens 1804 mit seiner Berufung nach Halle seine erste Professur an einer preußischen Universität antrat, hatte er bereits in Kopenhagen – so der Mythos – für den Transfer der deutschen Romantik nach Dänemark gesorgt und eine Tochter Johann Friedrich Reichardts geheiratet. Die ersten zwei Jahre in Halle lesen sich in seinen Lebenserinnerungen als eine sehr glückliche Zeit, mit vielen fröhlichen Stunden in Giebichenstein. Diese Epoche endete im Herbst 1806 mit dem Einmarsch französischer Truppen und der Schließung der Universität.



In den darauffolgenden zwei Jahren führte Steffens mit seiner Familie ein Wanderleben. Auf der Suche nach einer neuen Stelle reiste er nach Kopenhagen, doch wollte man ihn dort keine Vorlesungen halten lassen – er mache mit seinen Ideen die Leute verrückt, soll der dänische Kronprinz geäußert haben. Unter französischer Verwaltung folgten von 1808 bis 1811 noch einmal drei Jahre an der Universität Halle, bevor Steffens an die Universität Breslau berufen wurde. Da sich seine Hoffnung auf eine Stelle an der neu gegründeten Berliner Universität nicht erfüllte, nahm er an und zog in die ihm verhasste Peripherie Preußens. Aus Halle aber nahm er seine neu gewonnene Politisierung mit: 1813 rief er seine Studenten zur Kriegsteilnahme gegen Napoleon auf und nahm selbst am Krieg teil, 1818 stritt er per Feder in der Breslauer Turnfehde mit seinen Kollegen um das Turnen Jahns, und 1831 mischte er sich in lokale Religionsstreitigkeiten ein, die seine Versetzung nach Berlin zur Folge hatten. An der Berliner Universität wirkte er bis zu seinem Tod am 13. Februar 1845 – begraben ist er auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof in Berlin-Kreuzberg. Als Wissenschaftler und Schriftsteller publizierte Steffens in thematisch ungewöhnlicher Breite: neben den naturwissenschaftlichen Werken veröffentlichte er politische, religionswissenschaftliche, philosophische, anthropologische und literarische Schriften. Seine zehnbändige Autobiografie „Was ich erlebte“ rundet sein Lebenswerk ab und liefert dem Leser Einblicke in die spannende „Sattelzeit“ (Reinhart Koselleck) bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts.

(Autorin: Marit Bergner)