Guido Kisch (1889–1985) Ein bedeutender, aus der Universität Halle vertriebener Rechtshistoriker
Guido Kisch wurde am 22. Januar 1889 in einer Familie jüdischer Gelehrer Ärzte in Prag (damals Teil der österreichisch- ungarischen Monarchie) geboren und starb am 7. Juli 1985 in Basel. Nach Studium und Promotion in den Rechtswissenschaften an der Deutschen Universität Prag habilitierte er sich 1915 in Leipzig. Während der anschließenden fünf Jahre als Privatdozent in Leipzig sammelte und studierte er Schöff enspruchbücher als Quellen der Rechtsgeschichte. Sein Ziel war, einen Überblick über die Rechtsprechung der beiden bedeutendsten sächsischen Schöffenstühle, Magdeburg und Leipzig, zu erhalten als Grundlage für eine praktische Handhabung zum Rechtswesen im Hoch- und Spätmittelalter. Dabei fand er auf dem Boden des Leipziger Universitätshauptgebäudes (Augusteum) das gesamte Archiv des ehemaligen Leipziger Schäffenstuhls, das entsorgt werden sollte. Kisch veranlasste, dass die Handschriftenbände in die Universitätsbibliothek aufgenommen wurden und für die Forschung zur Verfügung standen. Seine weiteren Forschungen zu diesem Thema sind nach seiner Vertreibung aus Deutschland verloren gegangen. Seine einzige Publikation dazu, die 1919 veröffentlichte „Leipziger Schäffenspruchsammlung“, führte 1920 zu seiner Berufung auf die Professur für Rechtsgeschichte an der Universität Königsberg. Hier lag sein Forschungsschwerpunkt auf der Rechtsgeschichte des Deutschordenslandes.
1921 erhielt Kisch zugleich den Ruf an seine alte Prager Universität als Professor für deutsche Rechtsgeschichte und deutsches Privatrecht und auf das germanistische Ordinariat an der Halleschen Universität. Obwohl Guido Kisch im Frühjahr 1922 nach Halle („die nach Königsberg eher nüchtern wirkende, landschaftliche Reize entbehrende Industriestadt an der Saale“) umsiedelte, lag ihm an Prag eigentlich viel mehr. In Prag waren die Verhältnisse besser, er hatte dort einflussreiche Förderer, die ihn mehrfach baten, Halle aufzugeben. Aber „die Hydra des mächtig aufstrebenden Nationalsozialismus mit seiner Rassenideologie“ begann sich zu erheben – antisemitische Agitation der Studenten hatte zum Ziel, die Deutsche Hochschule Prag von jüdischen Dozenten „reinzuhalten“. Noch wehrten sich die Prager Professoren dagegen, aber Guido Kisch blieb nach einem Gastspiel im Wintersemester 1924/25 weiterhin in Halle. Hier organisierte er das juristische Seminar neu und erweiterte es baulich, den Bestand der Rechtswissenschaftlichen Bibliothek vervielfachte er.
Seine rechtsgeschichtlichen Forschungen erweiterte Kisch nun um die Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Halle. Die erste jüdische Gemeinde war etwa zeitgleich mit Halles Universität entstanden, die eine der ersten Universitäten war, an denen Juden Medizin studieren und in dem Fach promovieren durften. Zu den Privilegierten gehörten auch zwei Vorfahren Guido Kischs: Abraham (1749) und David Kisch (1771). Als Guido Kisch nach Halle kam, wohnte er zunächst in einem „Zimmer in der zwar altmodischen, aber prächtigen Villa der Witwe des 1921 gestorbenen Professors der Astronomie, Hugo Buchholz, in schöner Lage nahe der Saale“ am Neuwerk 6. Danach zog er in eine geräumige Dreizimmerwohnung im Dachgeschoss seines Kollegen, des Nationalökonomen Gustav Aubin in der Burgstraße 30. Später bezog er eine Vierzimmerwohnung in einer „Professorensiedlung“ (Humboldtstraße 23), die er bald mit seiner Frau, der Leipziger Philologiestudentin Hildegard Feywulowitz und dem 1930 geborenen Sohn Alexander teilte. 1932-33 ließ er sich ein Haus in der Schwuchtstraße 15 errichten, das er bald schon aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten verlassen musste.
Nachdem er sein Professorenamt nicht mehr wahrnehmen durfte, reiste Guido Kisch durch Deutschland und hielt Vorträge zur jüdischen Geschichte. Nach seiner Rückkehr von einer Vortragsreise nach New York veranlasste er die Übersiedlung der Familie in die USA. Jedoch wurde er hier nur schwer heimisch. Immer wieder wurden ihm Steine in den Weg gelegt. Nur ein geringes Einkommen sicherte ihm ein Lehrvertrag. Dennoch recherchierte und publizierte Kisch weiter auf dem Gebiet der Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in seiner alten Heimat und in der Neuen Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte er vergeblich, sein Hab und Gut wiederzuerlangen. Die Nazis hatten alles verkauft oder vernichtet. Recherchen gestalteten sich schwierig, da Halle nun in der sowjetischen Besatzungszone lag und Guido Kisch an die Dinge nicht herankam. Ein über mehrere Jahre währender Lehrauftrag in den Sommermonaten führte ihn nach Basel, wohin er 1962 schließlich ganz übersiedelte und bis zu seinem Tod lebte und weiterwirkte. Nach Deutschland wollte er nicht wieder zurück.
Im Jahre 2013 würdigte der hallesche Rechtshistoriker Prof. Dr. Heiner Lück seinen Amtsvorgänger wie folgt: „Kisch gehört zu den bedeutendsten Rechtshistorikern und Erforschern der jüdischen Rechts- und Kulturgeschichte seiner Zeit, auch im internationalen Kontext. Seine Arbeiten sind heute noch unverzichtbar.“
Im stadtgeschichtlichen Artikel der Januarausgabe ist uns ein Fehler unterlaufen: Die Bildunterschrift des Fotos von Paul Menzer datiert dieses auf „nach 1945“, tatsächlich zeigt es ihn in der Entstehungszeit des Studentenwerks 1920/21. Beide im Artikel gezeigten Porträts stammen aus dem Universitätsarchiv der Martin Luther-Universität, der Bildnachweis ist: UAHW, Rep. 46/VI, Nr. 2, Bild 34, Wilhelm Lütgert; UAHW, Rep. 46/VI, Nr. 2, Bild 37, Paul Menzer.