Hoch halten. Fußball, Fankultur und Stadtbild(er)

Die öffentlichen Räume vor allem größerer Städte überdeckt in jüngster Vergangenheit vielfach ein regelrechter Teppich nichtoffizieller, informeller Zeichen. In zufälliger und bezugloser Nachbarschaft oder in direkter Konkurrenz und expliziter Berufung ergibt sich dabei nicht selten ein Palimpsest, bei dem eine Schicht der Überschreibung der nächsten folgt. Das Spektrum derartiger Zeichensetzungen ist breit. Es reicht etwa von kleinen subversiven Umdeutungen offizieller Zeichen oder teils materialaufwändiger Street Art über Graffiti bis hin zu Aufklebern, großflächigen Farbcodierungen oder simplen Tags. Großen Anteil an dieser Markierung des Stadtraums haben auch die verschiedenen medialen Hervorbringungen sportlicher Fanszenen, vor allem im Feld des Fußballs.

Flaneuren wie eiligen Passanten wird in Halle zum Beispiel schon die großzügige Verwendung von rot-weißem Klebeband mit der Aufschrift „Chemical Zone“ aufgefallen sein, die in Anspielung auf den historischen Namen des Halleschen FC bestimmte Gegenden, Orte und Treff punkte symbolisch besetzen soll im Sinne eines kollektiven „Hier sind wir!“ bzw. „Das ist unser Gebiet!“. Überhaupt dient derlei Praxis der Festlegung, Inbesitznahme und Behauptung eigenlogischer nichtoffizieller Räume. Daraus kann bei entsprechender Häufigkeit und Verdichtung eine regelrechte alternative Topographie entstehen, in der sich Schwerpunkte und Verknüpfungen ausmachen lassen. Diese liegen einsehbarerweise im Umfeld des jeweiligen Stadions oder entlang dessen Zufahrtswegen, aber etwa auch in der Nähe von Fankneipen, Berufsschulen oder anderen von Fangruppen vielfrequentierten Orten.



Diese Markierungen mit ihren behaupteten Herrschaftsgebieten reichen über den engeren Stadtraum oft weit ins Umland und ziehen Phantomgrenzen dort, wo wiederum der imaginierte Anspruchsraum eines konkurrierenden Vereins beginnt. Augenscheinlich wird das etwa entlang der Bahn- oder Autostrecken von Halle nach Magdeburg oder Leipzig (und vice versa). Auch innerhalb der Stadt werden Rivalitäten zeichenhaft gemacht. So findet sich in Halle nicht zufällig eine hohe Konzentration von Fanmarkierungen aus dem Umfeld des HFC rund um die Sportstätten des VfL Halle 1896 und von Turbine Halle, zu denen eine sportliche oder historische Konkurrenz konstruiert wird. Aus einer raumsoziologischen Perspektive wurden solche Praktiken bislang wenig untersucht. Gleiches gilt für den ikonographischen wie stadthistorischen Blick auf die vielfältigen Bildfindungen im Kontext lokaler Fankulturen. Diese verknüpfen „das Ansehen der Stadt“ vielfach auf originelle Weise mit dem Sport, erzeugen derart im mehrfachen Sinn neue Stadtbilder und verhelfen der Stadtvedute zu einer ungewöhnlichen kleinen Renaissance.



In Halle war etwa mehrfach ein auf den FC Rot-Weiß Erfurt verweisender Aufkleber zu finden, der das dortige Steigerwaldstadion und seine Flutlichtmasten (die nach dem Umbau in eine Multifunktionsarena 2014–2017 erhalten blieben) als kompositorisches Pendant zu einem der bedeutendsten Ensembles sakraler Baukunst des Mittelalters in Europa, der Baugruppe von Dom und Severikirche, in das panoramatische Weichbild der Stadt einbezog. Möglicherweise inspirierte er eine lokale Bildfindung eines Fanaufklebers, die unter der Beischrift „Fußballstadt Halle/Saale“ die markanten vormaligen Flutlichtmasten des alten Kurt-Wabbel-Stadions ebenfalls in eine Auswahl für die Stadt als ikonisch gesetzter Bauten einfügt. 

 

 

 

 

Zu diesen vor einem rot-weiß erstrahlenden Fond halbkreisförmig angeordneten Bauten gehören zentral die „Fünf Türme“ samt des Händel-Denkmals, der Wasserturm Nord, die historische Saline sowie die Kubaturen v. a. auf die Neustadt verweisender Hochhäuser. Der Aufkleber spielt auch mit der mehrfachen Bedeutung des Begriff s Kugel. Anstelle der Erdkugel verortet er die Stadt auf einem historischen Lederball und lässt so den Fußball zum Gravitationspunkt werden, auf den alles Geschehen zuläuft.



Die großflächige Naht des Balles, die graphisch an einen Zaun erinnert, grenzt den Stadtraum zugleich nach außen hin ab. Auf eine gleichsam ursprünglich verwurzelte Verbindung von Stadt und Fußball verweist ein anderes Beispiel. Es kombiniert in bewusster Schwarz/Weiß-Ästhetik eine bekannte historische Fotographie des Marktplatzes mit Rotem Turm und Marktkirche mit dem von Gerhard Voigt geschaffenen alten Logo des Halleschen FC Chemie, das den Hintergrund raumgreifend ausfüllt. In historisierender Typographie, die das Bild in der Art eines Covers älterer stadtgeschichtlicher Publikationen gleichsam beglaubigen soll, trägt der Aufkleber die Beischrift „Halle Saale seit 806“. Damit suggeriert er für den erst 1966 gegründeten Halleschen FC bzw. für die Verbindung zwischen Verein und Stadt eine Tradition, die sich in ihrer Erzählung an die lange und überregional bedeutende Geschichte Halles anzubinden sucht.