Glaucha – Vom Flecken zur Amtsstadt Der Stadtteil mit dem besonderen Ruf
Südlich der Stadt Halle existierten im Mittelalter verschiedene kleine Ansiedlungen, die in der Amtszeit des Landesherrn Erzbischof Albrecht IV. (1382–1403) zum Flecken Glaucha vereinigt wurden. Dazu gehörten das später Unterglaucha genannte Gebiet um die 1221 erstmals erwähnte Pfarrkirche St. Georgen, das südlich daran anschließende Oberglaucha sowie der östlich gelegene Steinweg und das Lerchenfeld. 1231 siedelte sich das Zisterzienserinnenkloster Marienkammer in der Nähe der Kirche an und erwarb den Hof des Ritters Volrad von Glouch. Gemeinsam mit dem Gesundbrunnen am Böllberger Weg wurde es zu einem Anziehungspunkt für Kranke und Pilger von nah und fern. Der hallischen Bürgerschaft diente das Kloster zudem als Ausbildungs- und Versorgungseinrichtung für ihre Töchter sowie zur Sicherung ihres Seelenheils nach dem Tode.
In den folgenden Jahrhunderten verpfändeten die Magdeburger Erzbischöfe, deren notorische Geldknappheit sie zur ständigen Suche nach neuen Finanzquellen zwang, Glaucha immer wieder an die Stadt Halle. An der Finanzierung der Ablösesumme mussten sich die Glauchaer gelegentlich mit dem zehnten Teil ihres Vermögens beteiligen, wofür ihnen verschiedene Privilegien zuerkannt wurden. So durften sie fremde Biere und Weine ausschenken, Branntwein brennen, mit Kramwaren handeln, Tiere mästen und deren Fleisch frei verkaufen sowie Stärke herstellen. Vor allem die Schweinemast hinterließ deutliche Spuren. Der hallische Magister und spätere Soldat Friedrich Christian Laukhard (1757–1822) etwa beschrieb das französische Vienne in seinen Lebenserinnerungen als einen Ort, „wo die Straßen ebenso kotig sind, wie in der Vorstadt Glaucha zu Halle.“
Nicht ohne Auswirkungen auf Marienkammer blieb die Reformation. Der Kaplan des Klosters ging eine Ehe ein und verließ Glaucha. Sein Nachfolger wurde kein Geringerer als Thomas Müntzer (um 1489– 1525), der in der Weihnachtsmesse 1522 der Witwe Felicitas von Selmenitz (1488–1558) das Abendmahl in beiderlei Gestalt reichte, was als eindeutiges Bekenntnis zur Lehre Martin Luthers (1483–1546) galt. Unter Erzbischof Sigismund (1553–1566) erhielt Glaucha 1562 einen Wappenbrief, womit ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Giebichensteiner Amtsstadt beschritten war. Der in Rot und Silber geteilte Wappenschild zeigt in der unteren Hälfte den Kirchenpatron St. Georg beim Töten eines Drachens.
Soziale Probleme größeren Ausmaßes entstanden durch den regen Betrieb in den, auch von Halle aus gern besuchten, zahlreichen Schankwirtschaften. Der Chronist Johann Christoph von Dreyhaupt (1699–1768) beschrieb sie als Orte, „darinnen täglich die grössesten Bosheiten und Ueppigkeiten ohne Scheu getrieben wurden.“ Schließlich wurde August Hermann Francke (1663–1727) auf die Pfarrstelle berufen. Mit der Einrichtung einer Armenschule und dem Bau eines Waisenhauses legte dieser den Grundstein für die Entstehung der später nach ihm benannten Franckeschen Stiftungen. Zugleich bemühte er sich um die Besserung des Lebenswandels seiner Gemeindemitglieder. Aber noch im 19. Jahrhundert schrieb der Komponist Robert Franz (1815–1892) an einen Freund: „Ich wohne jetzt in Glaucha. Das ist eine Gegend, wo man sehr schnell eine Faust oder ein Messer im Rücken haben kann.“
Anstelle des 1740 abgebrannten romanischen Gotteshauses, in dem Francke noch gepredigt hatte, entstand die barocke St.-Georgen- Kirche. Die Vereinigung der drei Städte Halle, Glaucha und Neumarkt erfolgte 1817. In den 1870er-Jahren begann die Entstehung eines gründerzeitlichen Viertels, was ein völlig neues Stadtbild zur Folge hatte. Die Bewohner des nunmehrigen Stadtteils vollzogen diese Entwicklung wohl aber nicht uneingeschränkt mit, denn 1921 urteilte der Schriftsteller Siegmar Baron Schultze-Galléra (1865–1945): „Noch heutigen Tages steht Glaucha nicht in dem besten Rufe.“
Die verbliebene Bausubstanz des alten Glaucha wurde seit den 1960er-Jahren abgerissen und durch Neubauten, darunter auch drei Hochhäuser in unmittelbarer Nähe der Kirche, ersetzt. 1985 sollte die St.-Georgen-Kirche gesprengt werden. Dies wurde verhindert, indem viele, meist junge, Gemeindemitglieder den insgesamt 60 Tonnen schweren Dachbelag abdeckten und so die Einsturzgefahr bannten. Die 1989 an der Georgenkirche durchgeführte Mahnwache für die Freilassung politischer Gefangener wurde nicht zuletzt durch die Berichterstattung der Jugendfernsehsendung „Elf 99“ weit über die Grenzen Halles hinaus bekannt. Dem negativen Trend von verfallender Bausubstanz und wachsendem Leerstand konnte durch erfolgreiche Projekte im Rahmen der IBA 2010 begegnet werden. Vielleicht gelingt es Glaucha ja künftig, sich mit dem Image eines jungen, kreativen Viertels zu schmücken.
Die Gegenansicht zur Klageschrift von Lampius stellt die 1622 in Frankfurt veröff entlichte Schrift „Expurgatio oder Ehrenrettung der armen Kipper und Wipper so mit großer Leibes und Lebens Gefahr jetziger Zeit ihrer Nahrung mit dem Wechsel suchen“ dar. Vor der Wipper- und Kipperzeit waren die Fälscher, die gegen die Münzordnung verstießen, von der Obrigkeit verfolgt und hingerichtet worden. Der das Pseudonym Kniphard Wipper tragende Verfasser vertritt die Haltung, dass die Obrigkeit an der Situation Schuld sei, da sie den Kippern und Wippern die Aufträge erteile: „So ist als denn Schuld niemand als Ihnen selbst […].“ Man erkenne die Wappen der Obrigkeit auf den gefälschten Münzstücken und nicht die der Wipper und Kipper – die Münzprägung hätte nie von diesen allein ausgeführt werden können. In Halle wurde die Misere jedenfalls sehr deutlich. Nachdem die Preise stetig gestiegen waren, brach große Verwirrung unter der Bevölkerung aus. So musste man 1620 für einen Scheffel Weizen 40 Gute Groschen (Ggr) zahlen, ein Jahr später erhöhte es sich auf 175 Ggr. Um gegen die Unruhe vorzugehen, machte der Rat der Stadt von seinem alten Recht Gebrauch, kupferne Pfennige prägen zu lassen. Trotzdem brachen auch in Halle Tumulte aus. Die Aufständischen stürmten, plünderten und verwüsteten etliche Häuser, die man in Verbindung mit der Kipperei brachte. Als das Haus eines Nadlers in der schmalen Gasse bei der Marienkirche gestürmt wurde, griff der Administrator Christian Wilhelm von Brandenburg mit Gewalt ein. Viele der dort gefangenen Empörer wurden vor Gericht gestellt. Schließlich erließ der Landtag ein Mandat, das minderwertige Münzen verbot, und ordnete an, gute Geldsorten nicht über ihren Wert auszugeben. Zusätzlich wurde ein Tarif über Höchstpreise von Waren und Löhnen erlassen.
(Autor/in: Ralf Rodewald)