Fromme Gefühle. Bilder und Texte in Büchern des Pietismus

Auf Kupferstichen und in Texten in Büchern aus dem Zeitalter des Pietismus werden vielfach Gefühle dargestellt bzw. beschrieben oder sollen beim Betrachten der Illustrationen und beim Lesen der Texte ausgelöst werden. Diesen Emotionen und frommen Gefühlen nähert sich unter den Schwerpunkten „Buße und Bekehrung“, „Die Disziplinierung der Gefühle“, „Emotionale Gemeinschaften“, „Das fromme Herz“ und „Die körperliche Expression von frommen Gefühlen“ eine Kabinettausstellung der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen. Gezeigt werden schwerpunktmäßig im Waisenhaus-Verlag in Halle entstandene Bücher des Pietismus aus dem Zeitraum zwischen 1690 bis 1740. Buße und Bekehrung beschreiben im Pietismus einen Prozess der Umkehr und Erneuerung im Glauben zur Erlangung wahrer Gotteskindschaft. Die Gläubigen durchlebten dabei eine breite Palette von Gefühlen – von tiefer Verzweiflung bis zur reinen, vollkommenen Freude. Bekehrungserzählungen, Predigten, Gebete und Lieder begleiteten die Gläubigen mit einer „einfältigen“ Sprache auf ihrem Weg zur ewigen Seligkeit. In mehrteiligen Bildprogrammen auf Titelkupfern, wie in Johann Heinrich Reitz’ Historie der Wiedergebohrnen (1716) und in Johann Porsts Theologia Viatorum Practica (1722), wurden die Stationen des Heilswegs anschaulich in Szene gesetzt, sie sprachen Sinne und Verstand gleichermaßen an.



Die tägliche Glaubenspraxis zielte auf eine Disziplinierung der Gefühle. Heftige Affekte sollten vermieden werden, wohingegen Demut, Geduld und Seelenruhe einen wahren Gläubigen auszeichneten. Das Lesen von frommen Exempelgeschichten, selbst für Kinder, Anleitungen in der rechten Lebensführung und tägliches Tagebuchschreiben dienten der Vermeidung unerwünschter Affekte. In der christlichen Ikonographie spielt die persönliche Herzensbeziehung zu Gott traditionell eine herausragende Rolle. Der Pietismus bediente sich dieser Bilder der Herzensfrömmigkeit im Kontext von Bekehrung und Wiedergeburt. Gebets- und Predigtliteratur, aber auch die darin enthaltenen Kupferstiche sollten sowohl Emotionen ausdrücken als auch bei den Betrachtenden auslösen. Das belegen etwa zahlreiche Kupferstiche in Johanna Eleonora Petersens (1644–1724) Hertzens-Gespräch mit Gott (1694). Das bildlich dargestellte Herz repräsentiert in der Regel das menschliche Herz und hält sich dabei an Darstellungstraditionen der Emblematik.



Im Verständnis der Zeit wurden Gefühle als körperliche Phänomene und Erfahrungen betrachtet. Tränen, Weinen, Seufzen, Knien, Beten, Singen, aber auch Zittern und Schreien gehören zu den körperlich ausgedrückten religiösen Praktiken in der Begegnung mit dem Transzendenten, die auf biblische Traditionen zurückgehen und die jede Generation neu verhandelt und bewertet. Im Pietismus war das nicht anders. Referenzpunkt war die persönliche Erfahrung in der Zwiesprache mit Gott, die in Abstufungen innerlich empfunden und äußerlich manifest werden konnte. Tränen und Weinen zählen zu den emotionalen Praktiken, die in den Büchern des Pietismus vor allem im Kontext der Buße und Sündenerkenntnis vorkommen. In seltenen Fällen, wie bei den sogenannten begeisterten Mägden, kam es sogar zu extremen Ausdrucksformen religiöser Ekstase und Verzückung.



Gemeinsames Beten und Singen, das Vorlesen pietistischer Erbauungsliteratur in der Hausgemeinschaft, divinatorische Praktiken wie Losen, Däumeln oder Nadeln dienten der Stärkung der pietistischen Bewegung und erzeugten eine emotionale Verbundenheit. Sie begleiteten den Gläubigen ein Leben lang bis zu seiner Sterbestunde. In sogenannten Letzten Stunden, einer beliebten Gattung der pietistischen Erbauungsliteratur, wurde das vorbildhafte Sterben der Bekehrten im Beisein ihrer Angehörigen und des Pastors als Trost und Stärkung für die Leser und Leserinnen mit bewegenden Worten dargestellt und verbreitet.

(Autorin: Brigitte Klosterberg)