Erwin Hahs – Wegbereiter der Moderne in Halle

Als Walter Gropius den Maler Erwin Hahs (1887–1970) an das Weimarer Bauhaus holen wollte, hatte sich dieser schon auf eine Lehrtätigkeit an der halleschen Kunstgewerbeschule festgelegt. Er war 1919 dem Ruf von Paul Thiersch gefolgt, um die neu etablierte Fachklasse für „Malerei und Graphik“ zu übernehmen. Knapp zwei Jahre später stellte er sich in einer Ausstellung der halleschen Öffentlichkeit vor. Eine Rezensentin erkannte in Hahs einen „Bahnbereiter, eine Brücke zu einem neuen Land“ (Hallesche Nachrichten, 22. Januar 1921), war doch die hallesche Kunstszene damals nur wenig belebt und eher traditionell orientiert.

Hahs – im Berliner Netzwerk der Moderne früh etabliert – war an der dortigen Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbemuseums in der Klasse von Emil Rudolf Weiß ausgebildet worden. Seine künstlerischen Anfänge standen unter dem Einfl uss des Impressionismus. Die Begegnung mit „Brücke“ und „Sturm“ ließ ihn die Wende zum Expressionismus vollziehen. Er gehörte dem Arbeitsrat für Kunst und der Novembergruppe an, hatte bereits Wandbildaufträge für Walter Gropius und Wilhelm Kreis ausgeführt sowie mit Georg Kolbe zusammengearbeitet. In Halle unterstützte er als Vertreter der Klassischen Moderne, als experimentierfreudiger Künstler, Theoretiker und charismatische Persönlichkeit Thiersch’s Bemühungen um den Ausbau der Schule, die sich in den 1920er-Jahren zur bedeutendsten deutschen Kunstschule neben dem Bauhaus profi lierte. Dabei trug er zugleich ganz wesentlich zur Herausbildung einer lokalen Kunstszene bei, die auch überregional auf sich aufmerksam machte. Der Kunsthistoriker Kurt Gerstenberg pries den Malerkreis um Hahs 1931 als ein „Symbol für den aufstrebenden Geist“ der Saalestadt (Volksblatt, 23. Januar 1931).



Die Nationalsozialisten entfernten Hahs 1933 aus dem Amt. 1946 wieder eingestellt, bedeutete die Formalismus-Kampagne 1952 für den aufrechten Künstler erneut das Ende seiner Lehrtätigkeit. In den Zeiten seiner Isolierung und Diskriminierung entstanden Bilder des inneren Widerstandes. Nach 1950 thematisierte er mehrfach die restriktive Kulturpolitik der DDR und den Streit um das Erbe der Kunstschule Burg Giebichenstein.

Hahs’ Bildsprache zeigt ein spannungsvolles Verhältnis von Expressivität und Klassizität, von Ausdrucksverlangen und Formenstrenge. Sein künstlerisches Spektrum ist angesiedelt zwischen figürlichem Realismus und Abstraktion. Es reicht von der märchenhaften Filmkulisse für den „Kleinen Muck“ bis zur zeichenhaften Transformation des Materiellen ins Geistige. Er nutzte die Farbe als Stilmittel und emotionalen Gradmesser. Seine Bilder sind Betrachtungen und Bekenntnisse, zeitkritische Dokumente und lyrische Fabulierungen gleichermaßen. Dabei galt ihm Malen und Schreiben als untrennbare Einheit. Seine Tagebücher und Aufzeichnungen zeigen Hahs als ernsten, tiefgründigen, kritischen und weitblickenden Menschen. Zeithistorische Protokolle von politischer Brisanz ergänzen präzise, lebendige Alltagsbeschreibungen; philosophische Ausdeutungen sowie kunstpädagogische und -theoretische Erörterungen stehen nebeneinander. Bei der Refl exion „über Religion, über Politik oder menschliches Geschehen“ gaben ihm Farbe und Form den Abstand, der immer nötig war, „um das Einzelne im Ganzen zu sehen, zu empfinden, um kritisch oder begeistert zu sein“.



Erwin Hahs gehört zu den wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten der Saalestadt. Einer seiner Schüler schrieb 1986 an Hahs’ Töchter: „Es gibt Menschen, die einem in allen Lebenssituationen gegenwärtig sind und bleiben“.

(Angela Dolgner, Kulturfalter Dezember 2014)