Eiskeller und Gartenhaus – private Nutzungen von Stadtmauertürmen im 19. Jahrhundert

Bis in das 19. Jahrhundert besaß die Stadt Halle eine Stadtbefestigung, die sich anstelle der heutigen Ringstraßen um die Altstadt zog. Sie bestand meist aus drei, zum Teil auch nur aus zwei parallelen Bruchsteinmauern mit sechs Toren, fünf Pforten und zahlreichen Türmen und entstand nach Aussage der meisten Historiker seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts durch schrittweisen Ausbau. Im 15. Jahrhundert war mit einer äußeren Futtermauer, der mittleren Zwingermauer und der inneren eigentlichen Stadtmauer der Endzustand erreicht. Gräben und Wälle zwischen den Mauern sollten eventuelle Angreifer weiter behindern. Erich Neuß, der sich als Stadtarchivar 1928–33 mit der Stadtbefestigung beschäftigt hat, beschreibt ausführlich auch die Mauertürme. Sie waren im Gegensatz zu den Türmen der Stadttore jeweils zur Stadtseite offen, also sogenannte Schalentürme.

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts betrieb die damalige Stadtverwaltung den Abriss der Befestigung. Zugunsten breiterer Straßenverbindungen und der Anlage bepflanzter Promenaden wurden mit Teilendes Stein- und des Klaustors beginnend die mittlere Zwingermauer, die anderen Torbauten und teilweise auch die äußere Futtermauer über acht Jahrzehnte hin abgerissen, die Wälle abgetragen und die Teiche zugeschüttet. Während die Futtermauer sich zum Teil in die Promenadengestaltung integrieren ließ (z. B. am Hansering), blieb der Umgang mit der inneren Stadtmauer mit ihren Türmen der Initiative der anliegenden Grundstücksbesitzer überlassen. Die Stadtmauer befand sich zu diesem Zeitpunkt in städtischem Eigentum, während die Türme zu unterschiedlichen Zeiten meist in privaten Besitz gelangt waren. Anhand der im Stadtarchiv vorhandenen Bauakten lässt sich die Nutzung der Türme in der Übergangszeit zwischen beginnender oder beendeter Anlegung der Ringstraßen und dem schließlich meist erfolgten Abriss zugunsten mehr oder weniger repräsentativer Wohn- und Geschäftshäuser nachvollziehen. Das sollen einige Beispiele an Waisenhausring (Abbildung) und Moritzzwinger illustrieren.



Das Eckgrundstück Rannische Straße 13/ Moritzzwinger zog sich ursprünglich weit nach Westen. Hier befand sich ein Schalenturm auf rundem Grundriss. Der Sohn der Besitzerin, Fleischermeister Gustav Schliack, hatte hier einen Eiskeller für seine Waren einbauen lassen. 1876 ließ er darauf ein Gartenhaus errichten, von dem er einen weiten Ausblick gehabt haben muss. Allerdings fielen diese Baulichkeiten schon zwei Jahre später dem Neubau des Hauses Moritzzwinger 17 zum Opfer. Östlich der Rannischen Straße befand sich auf dem Grundstück Große Brauhausstraße 15, das dem Universitätskanzler August Hermann Niemeyer und seinen Nachkommen gehörte, ein Schalenturm, der vermutlich nur als Lager oder zu ähnlichen Nutzungen verwendet wurde. Er wird in der Bauakte nicht erwähnt und verschwand 1885 zugunsten des Gebäudes der Produktenbörse, Waisenhausring 2 (Theatrale).

Im Gegensatz dazu war der Besitzer des Grundstücks Große Brauhausstraße 11, Stellmachermeister Friedrich Günsch, offenbar gezwungen, sein Grundstück bis in den letzten Winkel hinein gewinnbringend zu vermieten. Neben Bauanträgen für diverse Hinter- und Nebengebäude mit einer hohen Zahl von Haushalten beantragte er 1855 die Einrichtung einer bewohnbaren Kammer im Obergeschoss seines Mauerturms. Die Genehmigung zur Aufstellung eines Ofens erfolgte mit der Auflage, einen Schornstein zu errichten, der auch den Rauch des Ofens im Untergeschoss aufnahm. Hier waren bis dahin die Abgase direkt mittels Rohr durch die Turmmauer ins Freie geleitet worden. Nach längeren Diskussionen verzichtete die Baupolizei auf ihre Forderung wegen der „dürftigen Vermögensverhältnisse“ des Besitzers. 1874 folgte der Abriss zugunsten des Hauses Waisenhausring 6.



Östlich eines weiteren Schalenturms auf rundem Grundriss sind Reste eines Mauerturms noch vorhanden. Sie befinden sich auf dem Grundstück Große Brauhausstraße 5/6 und bilden mit den angrenzenden Mauerteilen beidseitig des Hauses Waisenhausring 11 einen der wenigen, vom Abriss verschonten Teile der Stadtbefestigung. Brauereibesitzer Hermann Rauchfuß, Sohn des Brauereigründers Christian Gottfried Rauchfuß, nutzte seinen Stadtmauerturm als Teil der „Darre“, also für die Trocknung von Malz bzw. Hopfen. Die 1869 und 1897 beantragten und von der Stadtverwaltung genehmigten Neubauten kamen jeweils nicht zustande, sodass der Turm später als Lagerraum der Drogerie- und Farbenhandlung Helmbold & Co und ihrer privaten und schließlich staatlichen Nachfolgerdiente. Die 1994/95 durchgeführte Sanierung der Grundstücksbauten für eine Gaststättennutzung („Malzgarten“) führte leider auch zur Beseitigung der hofseitigen Seitenwandreste des auf viereckigem Grundriss erbauten Turms. Als Nachfolger der inneren Stadtmauer prägen heute überwiegend Bauten der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Ringstraßen und repräsentieren die wirtschaftlich aufstrebende Stadt.

(Autor/in: Peter Breitkopf)