„Hala“ und „Ala“ – Die Stadt Halle auf mittelalterlichen Weltkarten
Lange vor dem Zeitalter der geographischen Entdeckungen haben mittelalterliche Gelehrte versucht, das Wissen über die Welt, das ihnen zugänglich war und glaubwürdig schien, im Kartenbild darzustellen. Die wenigsten hielten die Erde für eine Scheibe, doch war ihre Sicht sehr stark von religiösen Vorstellungen geprägt. Weltkarten aus dem Mittelalter sind daher nicht wie heute nach Norden ausgerichtet, sondern in der Regel nach Osten, wo die Sonne aufgeht und wo das Paradies vermutet wurde. In der Mitte ist fast immer die Stadt Jerusalem zu finden. Welche Orte darüber hinaus eingezeichnet sind, hing nicht unbedingt von deren tatsächlicher Größe und Bedeutung ab, sondern vielmehr davon, was über sie bekannt war und ob sie als Orte wahrgenommen wurden, die den Raum gliedern halfen.
Auf der einstmals größten Weltkarte des Mittelalters, der Ebstorfer Weltkarte, ist auch die Stadt Halle verzeichnet. Die Darstellung des Erdkreises wurde um 1300 in nicht allzu weiter Entfernung, wahrscheinlich im Kloster Ebstorf bei Lüneburg, auf Pergament gemalt. Als sie dort um 1830 gefunden wurde, war sie stark beschädigt. Sie hatte einen Durchmesser von gut dreieinhalb Metern. Nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg konnte sie auf der Grundlage alter Faksimileausgaben rekonstruiert werden. Halle ist hier als befestigte Stadt auf der östlichen Seite der Saale abgebildet. Stromaufwärts sind nur noch Naumburg und Orlamünde dargestellt, nicht aber die Stadt Merseburg, obwohl sie als Bischofssitz bekannt gewesen sein muss. Anscheinend ging es nicht darum, sämtliche Orte von Bedeutung zu erfassen. Auf einer anderen großen Weltkarte, der Hereford-Karte, die fast zur gleichen Zeit im Westen Englands entstanden ist, taucht Halle hingegen nicht auf. Für diese Darstellung scheinen Nachrichten über den Raum zwischen Weser und Elbe verarbeitet worden zu sein, die noch aus der Zeit der Ottonen stammten.
Halle wurde wahrscheinlich erst ab dem 12. Jahrhundert als wichtiger Ort an der Grenze zum Gebiet der Slawen wahrgenommen. In der Mitte des 12. Jahrhunderts erfasste jedenfalls der muslimische Gelehrte Muhammad al-Idrisi einen Ort namens „Hala“ im Land der Sachsen. Seine Weltkarte ist nach Süden ausgerichtet, und obwohl die Entfernungen stark verzerrt sind, kann nur Halle an der Saale gemeint sein. Idrisi hatte am Hof des normannischen Königs von Sizilien verschiedene Reiseberichte und Abhandlungen zu einer Beschreibung der gesamten Welt verarbeitet. Die dazugehörige Weltkarte soll in eine Silberplatte graviert gewesen sein, ging jedoch bald verloren. Teildarstellungen sind allerdings in alten Handschriften überliefert. Die am besten erhaltene stammt aus der Zeit um 1300 und wird in Paris aufbewahrt. Auf einer Doppelseite findet sich die Teilkarte mit der Stadt „Hala“, die in der Beschreibung als „eine sehr wichtige und dicht esiedelte Stadt in Sachsen“ bezeichnet wird.
Ein um 1260 im Südosten Englands angefertigtes Buch enthält eine Weltkarte, die nicht einmal zehn Zentimeter hoch ist. Zwischen den Flüssen Rhein und Elbe sind auf dieser Karte lediglich zwei Städte benannt: „Coloni“ und „Ala“. Bei der ersten handelt es sich ohne Frage um Köln, und mit der zweiten kann wiederum nur Halle gemeint sein, wenn es die Absicht des Kartenmalers war, das Gebiet des ostfränkisch-deutschen Reiches mit nur zwei Orten abzustecken. Im 15. Jahrhunderts hatte Halle diese Bedeutung als Orientierungsort wieder verloren. Neben Braunschweig und Magdeburg wurde nun verstärkt die Stadt Leipzig als solcher wahrgenommen.
Die Frage nach dem Ruf der Stadt vom Mittelalter bis zur Gegenwart beleuchtet der neue Band „Halles Ruf. Das Image der Stadt in historischer Perspektive“, hg. von Gerrit Deutschländer, Andrea Thiele und Holger Zaunstöck, Halle 2021. Es ist Band 26 der Reihe „Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte“, der im mdv erscheinenden Reihe des Vereins für hallische Stadtgeschichte e.V.
(Autor: Gerrit Deutschländer) (Beschreibung Weltkarte: im sog. Karten-Psalter, um 1260. Die Orte „Coloni“ und „Ala“ befinden sich ungefähr auf 8 Uhr am Rand der Karte. (Foto: London, British Library, Additional MS 28681, Blatt 9r.)