Der Göbel-Brunnen auf dem Hallmarkt – Entstehung eines nicht unumstrittenen Denkmals zur Stadtgeschichte

In den 1970er- und 1980er-Jahren ursprünglich als Marktbrunnen geplant, ist heute der Stadtgeschichtsbrunnen von Bernd Göbel (*1942) auf dem Hallmarkt in Halle ein stadtbildprägender Anziehungspunkt.

Stadtführer erzählen anhand der Brunnenfiguren Wissenswertes zur Geschichte der Stadt. Daneben lassen Hallenser, Halloren und Hallunken am Göbel-Brunnen an sonnigen Tagen ihre Seele baumeln und beobachten das geschäftige Treiben. Der Brunnen erhält seine charakteristische Form durch sein massives Wasserbecken aus Naturstein: Es hat die Grundform eines Quadrats, dessen Ecken durch Dreiviertelkreise ersetzt wurden. Vier Figurengruppen aus Bronze besetzen die Scheitel der Eckradien, vier weitere Einzelfiguren flankieren auf hohen Postamenten die Langseiten des Beckens. Im Wasserbecken und auf dem Beckenrand sind zusätzlich kleinere Bronzefiguren zu finden. Das Ensemble ergänzend wurden vor bzw. hinter den Einzelfiguren und Figurengruppen Relief- und Schrifttafeln in den Boden eingelassen.



Gemeinsam mit dem damaligen Stadtarchivar Werner Piechocki (1927–1996) wählte der hallesche Bildhauer Bernd Göbel jene Legenden, Sagen und Beurkundungen der Stadtgeschichte Halles aus, von denen die Einzelfiguren, Figurengruppen und Relieftafeln erzählen. Die Herstellung des Salzes und die Gründung der Stadt sind ebenso dargestellt wie Ludwigder Springer (1042–1123) und Albrecht Kardinal von Brandenburg(1490–1545). Auf eine chronologische und lückenlose Erzählung der Stadtgeschichte Halles verzichtete Göbel. Vielmehr blickte er mit einem Augenzwinkern auf die Geschichte der Stadt und das Machtgeplänkelder politischen und geistlichen Akteure in den vergangenen Jahrhunderten bis in die DDR-Zeit.

Gerhard Lichtenfeld (1921–1978), Professor für Bildhauerei an der halleschen Kunsthochschule, erhielt in den 1970er-Jahren vom Rat der Stadt Halle den Auftrag, einen Brunnen für den halleschen Marktplatz zu entwerfen. Im Areal um Marktkirche und Roten Turm sollte das Wasserspiel seinen Platz finden, wo im Laufe der Jahrhunderte bereits mehrfach unterschiedliche Brunnen gestanden hatten. Nach dem frühzeitigen Tod Lichtenfelds führte Göbel das Brunnenprojekt seines Lehrers fort. Der finale Entwurf wurde der Öffentlichkeit erstmals fragmentarisch in einem Artikel der Zeitung „Freiheit” vom 31. Oktober 1986 vorgestellt. Das Bild von Göbel vor dem 1:1-Gipsmodell um die Figur Albrechts von Brandenburg schlug hohe Wellen. Sogar die Kreisdienststelle Halle des Ministeriums für Staatssicherheit informierte sich bei der katholischen Gemeinde der Stadt über deren Meinung zur Figur des Kardinals und der nackten Mätresse. Laut IM-Bericht sah sich die katholische Gemeinde durch die „obszöne Darstellung“ des Würdenträgers in ihren religiösen Gefühlen verletzt. So mutmaßte der IM,„dass es bei der Aufstellung der Figurengruppe in dieser Form zu einer Belastung im Staat-Kirche-Verhältnis“ kommen könnte. Die Diskussion um die Kardinal-Figur lenkte von weiteren, durchaus künstlerisch-kritischen Brunnenfiguren ab: So trägt Ludwig der Springer unverkennbar die Gesichtszüge des Liedermachers Wolf Biermann (*1936), und die Herstellung des halleschen Wappens wird begleitet durch einen kirchlichen Würdenträger, dessen verrutschter Umhang das nackte Hinterteil freigibt.Neben der Diskussion um die Kardinals-Figur stellte 1985 die Verlegung der neuen Straßenbahntrasse zwischen Marktkirche und Rotem Turm das gesamte Brunnenprojekt in Frage. Der Guss der letzten Brunnenfigurenfand allerdings statt, auch sprach sich der Rat der Stadt 1988 ausdrücklich für das Brunnenprojekt auf dem Marktplatz aus.



Mit den Ereignissen von 1989/90 wurde aufgrund fehlender Finanzmittel das Projekt vorerst gestoppt. Mit der Neuwahl des Stadtrates wurde die Diskussion um den Brunnen zu Beginn der 1990er-Jahre wieder aufgenommen. Erneut wurde von Akteuren aus Politik, Kultur undGesellschaft die Standortfrage diskutiert und die Figur des Kardinals kritisiert. So riet auch der Magdeburger Bischof Leopold Nowak dem Stadtrat, den Brunnen nicht aufzustellen. Aber nicht zuletzt durch das Engagement des Oberbürgermeisters Klaus Peter Rauen (*1935) fand der Stadtrat einen Kompromiss und beschloss den Brunnen auf dem Hallmarkt aufzubauen.

Noch vor der Aufstellung des Brunnens sägte Göbel der Kardinals-Figur kurzerhand die Mitra ab und ersetzte sie durch eine zu Berge stehende Haarpracht. Der Künstler betonte auf Nachfrage der MitteldeutschenZeitung, dass die ausgeführte Variante erst entstanden sei, nachdem der hallesche Stadtrat ihm „vollkommene künstlerische Freiheit bei der Gestaltung jeder einzelnen Brunnen-Szene“ zugestanden habe. „Auf Druck hätte ich das nicht gemacht.“ Am 31. Oktober 1998 wurde der Göbel-Brunnen mit großer öffentlicher Anteilnahme auf dem Hallmarkt in Halle eingeweiht.

(Autor/in: Doreen Pöschl)