Der Bildhauer Gustav Weidanz: Zwei seiner Arbeiten im städtischen Raum

In Halle kennt sie wohl jeder, die bronzenen Figuren am Ratshof und die drei Gänse auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Doch nur wenige werden noch den Namen ihres Schöpfers kennen: Gustav Weidanz. Der 1889 in Hamburg  geborene Bildhauer lehrte von 1916 bis 1959 an der heutigen Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Er gestaltete freie und baugebundene Skulpturen, Medaillen, Grab-, Denk- und Mahnmale und – mit gleicher formaler wie inhaltlicher Schlüssigkeit – auch Gebrauchsgegenstände wie Kachelöfen oder keramisches Geschirr. Als Architekturplastiker, Schöpfer figürlicher Kleinplastiken und Medailleur genießt er überregionale Anerkennung und gilt als Nestor der halleschen Bildhauerschule, die ab den 1970er-Jahren eine feste Größe im Kunstbetrieb der DDR war.



Ein Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens wurde die Reihe der fünf überlebensgroßen metaphorischen Figuren an der Fassade des Ratshofes auf dem halleschen Marktplatz. Im Sommer 1927 hatte der Magistrat der Stadt den Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes beschlossen, um darin die in der Stadt weit verstreuten Dienststellen zu konzentrieren. Auf der freien Fläche hinter dem in der Mitte des 16. Jahrhunderts von Nickel Hoffmann gebauten und nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissenen Alten Rathaus wurde ein Neubau errichtet. Unter der Leitung von Stadtbaurat Wilhelm Jost entstand ein großes kubisches Gebäude mit neusachlichem Charme und neoklassizistischen Anleihen: der Ratshof. Das schmucklose Gebäude sollte mit künstlerischen Mitteln belebt werden. Dafür wurde ein Wettbewerb unter halleschen Künstlern zur Gestaltung von vier großen allegorischen Fassaden-Figuren ausgelobt, gedacht als bürgerliche Replik auf die „Fürstenstandbilder“ an der Fassade des gegenüberstehenden neogotischen Stadthauses.



Überraschend und zugleich überzeugend wählte Gustav Weidanz eine andere Position: Er stellte fünf auf Vorderansicht und Fernwirkung konzipierte, annähernd drei Meter hohe monumentale Skulpturen vertikal an die turmartige Gebäudeecke. Damit sind die expressiven Akte Teil einer Reihe und zugleich lebensvolle Einzelne. Ganz oben steht für die Industrie eine männliche Figur mit einem Hammer in der rechten Hand, darunter als Allegorie auf die Saale eine „Badende“ mit gelöstem Haar. Ein Stockwerk tiefer findet sich ein behelmter Merkur mit seinem von zwei Schlangen umwundenen Stab für den Handel, gefolgt von der als „Die Schöne“ bezeichneten weiblichen Figur für das Saaletal. Schließlich, am unteren Ende, repräsentiert ein Mann mit Spitzhacke den Bergbau. Nachdem im März 1940 Generalfeldmarschall Hermann Göring zu einer groß angelegten „Spende des deutschen Volkes zum Geburtstag des Führers“ aufgerufen hatte, weil für den Krieg dringend Rohstoffe benötigt wurden, landeten auch die Ratshoffiguren als „Spende der Stadt“ auf dem eigens dafür angelegten Grundstück in der Rathausstraße. Mitte der 1970er-Jahre beschloss die Stadt Halle, die Figuren wieder herstellen zu lassen. Betreut von dem Weidanz-Schüler Gerhard Lichtenfeld als Nachfolger im Amt des Leiters der Bildhauerklasse der Hochschule, wurde mit der Rekonstruktion dessen Schüler Johannes Baumgärtner beauftragt. Seit 1983 sind die Weidanz'schen Figuren wieder am Ratshof zu bewundern.



Weidanz starb 1970 in Halle. Die Auferstehung seiner Ratshoffiguren hatte er nicht mehr miterleben können. Der Übersiedelung seiner Gänsegruppe vom Stadtteil Kröllwitz auf den Rosa-Luxemburg-Platz hatte er 1956 zugestimmt. Bis dahin bekrönten die drei Gänse den von ihm siebzehn Jahre zuvor für eine kleine Grünanlage nahe der Petruskirche geschaffenen Brunnen. Weil dieser baufällig geworden war, mussten die Gänse ihren Standort wechseln. Bis heute recken sie ihre Bürzel Richtung Landesmuseum für Vorgeschichte und animieren – wie zuvor auf dem Brunnen – die Kinder zu Reitversuchen. Doch die Einwohner von Kröllwitz vermissten ihren Gänsebrunnen. Sie sorgten für dessen Wiederherstellung. Und so krönt heute ein Zweitguss der Gänsegruppe den rekonstruierten Brunnen in Kröllwitz. Gustav Weidanz war sein Leben lang ein leidenschaftlicher, von seinen Schülerinnen und Schülern hochverehrter Lehrer. Das ist wohl der Grund, warum er in seinem Testament die Hochschule als Erbin einsetzte und damit die Auflage verband, einen Preis für junge Bildhauer zu stiften. Deshalb vergeben die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle und das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), dem er seinen künstlerischen Nachlass vermachte, seit 1975 gemeinsam den „Gustav-Weidanz-Preis für Plastik“.

Vor Kurzem ist im Verlag der halleschen Kunsthochschule eine umfängliche Monografie über den Bildhauer erschienen: Renate Luckner-Bien: Gustav Weidanz. Hg. von der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle in Verb. mit dem Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), 320 Seiten, 300 Abbildungen, Buchbestellung: verlag@burg-halle.de

(Autorin: Renate Luckner-Bien)