Das Ritterhaus: Ein Prestigeprojekt der hallischen Moderne mit kurzer Lebensdauer

Imposant, sachlich gegliedert, künstlerisch empfunden“: Mit diesen Worten beschrieb die Zeitschrift „Hallesche Hausfrau“ den im November 1928 eröffneten Neubau des Kaufhauses Ritter. Mit Bezug auf das Sortiment aus Haushaltsgegenständen, Schmuck und Spielwaren fragte das Blatt wohl nicht zu Unrecht: „Wer geht hier lieber um die Weihnachtszeit hin: die Mütter oder die Kinder?“ Nicht nur in der Presse löste das ungewöhnliche Gebäude beachtliche Reaktionen aus, auch die Hallenser waren begeistert.



Mit den Personenaufzügen, dem im Haus untergebrachten Kino „Ritterlichtspiele“ und dem Verkauf aktueller Technik wie zum Beispiel elektrischer Haartrockner oder Staubsauger zeigte sich der Konsumtempel am Puls der Moderne. Außerdem gab es im Foyer eine „Luxusabteilung“, in der Schmuck angeboten wurde, und verschiedene weitere Fachabteilungen auf drei Etagen wie etwa eine Porzellan- oder eine Textilabteilung. Diese Produktvielfalt war Merkmal moderner Warenhäuser. Doch nicht nur das Sortiment machte das Kaufhaus Ritter, meist einfach Ritterhaus genannt, bekannt. Es war vor allem die Architektur des Geschäftshauses der Firma C. F. Ritter in der Leipziger Straße, Ecke Große Brauhausstraße, die für Aufsehen sorgte. Die feierliche Eröffnung am 26. November 1928 war ein Großereignis, bei dem der hallische Oberbürgermeister Dr. Richard Robert Rive, der Bankier Emil Steckner und weitere Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft anwesend waren. Rive betonte in seiner Rede die städtebauliche Bedeutung des Neubaus, der Zeichen eines fortschrittlichen Zeitgeistes sei und als Vorbild für andere Bauherren zur Veränderung des Stadtbildes beitragen werde. Das Datum war nicht zufällig gewählt, denn am 26. November 1859 hatte Carl Friedrich Ritter in der Großen Ulrichstraße seine „Kurz-, Galanterie- und Posamentierwarenhandlung“ eröff net, die bald expandierte und zu einem Präsentladen wurde. Dieser Spezialisierung auf Geschenkartikel folgte die Aufnahme von Kinderspielzeug ins Sortiment. Das gut laufende Geschäft zog 1879 in die Leipziger Straße, um vom Strom der Passanten zwischen Marktplatz und Bahnhof profilieren zu können. Nach und nach erfolgte der Aufkauf anliegender Gebäude, die später den Grundstock für das Ritterhaus bildeten.



Laut eines Inschriftensteins, der an der Hofseite des Gebäudes angebracht war, waren die maßgeblich beteiligten Personen am Neubau Julius Ritter, Bruno Föhre und Ludwig Vierthaler. Julius Ritter (1866– 1938) war der Sohn des Firmengründers Carl Friedrich Ritter und hatte nach dem frühen Tod des Vaters das Unternehmen im Alter von 17 Jahren gemeinsam mit seiner Mutter übernommen. Er war der Initiator und Geldgeber des Projektes. Bruno Föhre (1883–1937) übernahm als stadtbekannter Architekt Bauplanung und -ausführung. Neben dem Ritterhaus stammte unter anderem das ehemalige Kaufhaus Lewin am Markt von ihm. Die architektonischen Hauptmerkmale des Neubaus waren die gotisch anmutenden Spitzbögen der Arkaden und die expressionistischen Klinkerverzierungen. Ludwig Vierthaler (1875–1967), Bildhauer aus Hannover, entwarf die Keramikplatten an der markanten Fassade, die nach seinen Entwürfen in Meißen gefertigt wurden. Bekannter waren jedoch die 26 außen am Arkadengang montierten Keramikfi guren – sie wurden 1938 entfernt, nachdem Teile der nationalsozialistischen Stadtverwaltung sie als „entartete Kunst“ diffamiert hatten.

Nach schweren Bombenschäden durch einen Fliegerangriff im März 1945 lag die Ruine des Ritterhauses brach, bis 1963 der Großteil abgerissen wurde. An gleicher Stelle wurde zuerst unter Einbindung baulicher Überreste erneut ein Kino errichtet, die „Goethe-Lichtspiele“, dann ab 1993 das neue Ritterhaus als Einkaufspassage.

Im Stadtmuseum Halle (Saale), Große Märkerstr. 10, sind im Rahmen der vom 30.11.2018 bis zum 16.6.2019 gezeigten Sonderausstellung „Kleinwohnung, Modehaus, Kraftzentrale – Neues Bauen und neues Leben im Halle der 20er-Jahre“ auch der Inschriftenstein, Figuren von Ludwig Vierthaler und weitere Objekte rund um das Ritterhaus zu sehen.

(Autor/in: Tom Binner)