Von Leipzig nach Zeitz, von Naumburg nach Halle. Eine Grabplatte erzählt Geschichte
Am Archiv der Universität Halle-Wittenberg wird seit kurzem eine Auswahl von Wachsabrieben auf Papier und Abklatschen in Aluminium aufbewahrt und weiter gesammelt. Die Stiftung von bisher vier privaten Kollektionen bildet den Kern des neu gegründeten „Zentrums für manuelle Reproduktionstechniken der Sepulkralkultur“ (ZeReSe), an dem über das europäische Bestattungswesen in Mittelalter und früher Neuzeit geforscht wird. Derartige Abriebe werden bereits seit dem 18. Jahrhundert vor allem in Großbritannien als Kopie von metallenen und steinernen Grabplatten abgenommen und für historische sowie genealogische Forschungen gesammelt. Neben umfangreichen Kollektionen in London, Cambridge und Oxford bildet das ZeReSe mittlerweile eine der größten Sammlungen dieser Art in Europa.
Eines der Sammlungsstücke ist ein Wachsabrieb der Grabplatte für den Bischof Dietrich III. von Borsdorf, der im März 1466 gestorben und im Naumburger Dom begraben ist. Als Sohn eines sächsischen Adligen studierte er die Rechte in Leipzig und im italienischen Perugia. Zurückgekehrt nach Leipzig, wurde er akademischer Lehrer und schließlich Rektor der dortigen Universität. Er errichtete das Haus in der Burgstraße 19, das heute als „Thüringer Hof“ eine Traditionsgeschäfte beherbergt. Als Jurist beriet Bockdorf den Kurfürsten Friedrich II. „den Sanftmütigen“ in dessen berühmtem Prozess gegen den Ritter Kunz von Kaujungen,der im Sächsischen Bruderkrieg auf Seiten Friedrichs eigene Verluste hatte hinnehmen müssen und von diesem eine Entschädigung forderte. Bekannt wurde das Verfahren durch den anschließenden „Altenburger Prinzenraub“: Kaujungen, der in dem wesentlich von Bockdorf geleiteten Schiedsgerichtsverfahren unterlegen war, entführte daraufhin im Jahre 1455 die beiden jugendlichen Söhne des Kurfürsten aus dessen Schloss. Die geplante Flucht der Entführer nach Böhmen scheiterte schnell; Kunz wurde gefasst und die Knaben gerettet.Friedrich II. ließ, wenig sanftmütig, Kunz von Kaujungen zusammen mit mehreren Helfern hinrichten. Der Rechtsbeistand des Kurfürsten, Dietrich von Bockdorf, wurde im Jahre 1463 mit Unterstützung seines Landesherrn zum Bischof von Naumburg gewählt, starb aber bereits wenige Jahre später. Er hinterließ eine umfangreiche Bibliothek von 88Handschriften, darunter eine Reihe eigener Werke über das sächsische Landrecht. Bereits 1459 hatte er eine Sammlung von 42 Bänden zusammen mit einem Stipendium an die Leipziger Universität gestiftet.
Für ein Politikum sorgte das Begräbnis des Prälaten: Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts hatten sich die Naumburger Bischöfe, sehr zum Missfallen des dortigen Domkapitels, sämtlich in der Stiftskirche zu Zeitz beisetzen lassen. Auch für Dietrich von Bockdorf war dies vorgesehen, doch ließen die Naumburger Domherren die Begräbnisfeierlichkeiten in Zeitz unterbrechen und den Leichnam ihres Bischofs in den Dom zu Naumburg bringen – der zweite Entführungsfall, in den dieser verwickelt wurde. Über seinem Grab wurde eine Platte aus Messing angebracht, die der Vischer-Werkstatt in Nürnberg zugeschrieben wird. Ihre lateinische Inschrift lautet auf Deutsch (Übersetzung Reinhard Lamp): „Im Jahre des Herrn 1466, am Sonntag Oculi (9. März), starb in Christi der ehren werte Vater und Herr, Herr Dietrich von Buckenstorf, beider Rechte Doktor, der Kirche von Naumburg Bischof. Seine Seele ruhe in Frieden. Amen.“ Wesentlich aufwändiger als diese recht konventionelle Inschrift ist eine zweite, die auf einer separaten Textplatte oberhalb des Grabes angebracht wurde. Das Gedicht besteht aus acht mit Binnen reimen verzahnten Hexametern und lautet in Übersetzung (R.L.): „Es geschah im Jahr doppelt siebenhundert zweimal drei und dann sechzig (nachdem Tag der Niederkunft der Jungfrau war es noch nicht vollendet), als der hervorragende Mann und beider Rechte ausgezeichneter Doktor, Dietrich von Bocksdorf benannt, nur für kurze Zeit Bischof dieser Kirche, hier am 7. Tag vor den Iden des März, dieser verehrungswürdige Mann und Spiegel des Rechtes, die Schuld des Fleisches zahlte. Ihn mögest Du, Christus, Du Guter, verbinden mit Dir, der Krone aller Lehrer.“
Dargestellt ist Borsdorf in seinem bischöflichen Ornat mit Mitra und Krummstab, seinem redenden Wappen sowie – als Bücherfreund – einem mächtigen Folianten in der linken Hand. In einer ersten Ausstellung der nun in Halle befreundlichen Sammlungen kann der Abrieb besichtigt werden, der den Lebensweg des Bischofs von Leipzig nach Zeitz und den Weg seiner Grabplatte von Naumburg nach Halle dokumentiert.