Bernhardy (1800–1875) – Professor für die lateinische und griechische Sprache

Gottfried Bernhardy wurde am 20. April 1800 in Landsberg ander Warthe (heute Gorzów Wielkopolski) als Sohn eines jüdischen Kaufmannes geboren. Vermögende Verwandte ermöglichten es, dass der begabte Junge ab 1811 das Joachimsthalsche Gymnasium in Berlin besuchte. Er konvertierte mit 16 Jahren zum evangelischen Christentum und begann 1817 ein Studium der Philologie und Philosophie in Berlin.

Obwohl er durch Privatunterricht und Korrekturlesungen seinen Lebensunterhalt selbst aufbringen musste, bewältigte er ein ungeheures Lektürepensum und fertigte zielstrebig umfangreiche Exzerpte an. Nach Ablegung der Staatsprüfung 1820 unterrichtete er in Berliner Gymnasien, fand aber keine Anstellung als Lehrer.



Er wurde ermutigt, mit seinen ausgezeichneten Kenntnissen der griechischen und lateinischen Sprache eine akademische Laufbahn einzuschlagen. 1822 promovierte Bernhardy in kürzester Zeit zum Dr. phil. mit einer lateinisch verfassten Arbeit über Eratosthenes, Direktor der Bibliothek von Alexandria im 3. Jh. v. Chr. Schon diese kommentierte Sammlung der verstreuten Fragmente aus den Schriften des vielseitigen antiken Gelehrten zeigte Bernhardys große Belesenheit und Kombinationsgabe, auch wenn er selbst seine Ergebnisse später kritisch sah. Noch im Jahr der Promotion wurde er nach einer Probevorlesung habilitiert und nahm als Privatdozent eine Lehrtätigkeit an der Berliner Universität auf. 1825 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt; mit Rezensionen in den „Berliner Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik“ und einer umfangreichen Schrift über die Weltbeschreibung des antiken Geographen Dionysios von Alexandria festigte er seinen Ruf. So erhielt er 1828 eine Professur für Philologie an der Universität Halle und übernahm damit die Direktion des Philologischen Seminars, das sein Lehrer Friedrich August Wolf begründet hatte. Wie dieser versuchte Bernhardy, die Kultur des griechisch-römischen Altertums als Ganzes zu erfassen und als Grundlage aller Bildung zu behandeln. Die zentrale Stellung nahm dabei die Literaturgeschichte ein. Seine Werke waren vom Umfang und Anspruch enzyklopädisch angelegt.

Ihn reizte nicht Detailforschung, sondern systematische Erfassung,die allerdings aus einem großen Detailwissen schöpft. Schon 1829 erschien die „Wissenschaftliche Syntax der Griechischen Sprache“, eine Grammatik, die auch die Entwicklung der Sprache nachzuzeichnen versucht. Im folgenden Jahr veröff entlichte er einen „Grundriss der römischen Literatur“, 1832 die „Grundlinien zur Enzyklopädie der Philologie“. Ein „Grundriss der griechischen Literatur“ (unter Ausschluss der Prosa) erschien 1836. Sowohl seine Geschichte der griechischen als auch die der römischen Literatur erschienen in mehreren, stets grundlegend bearbeiteten und erweiterten Auflagen und beschäftigten ihn über sein ganzes Leben hinweg. Auf Anregung der Halleschen Waisenhausbuchhandlung hatte sich Bernhardy als Herausgeber einer Sammlung kommentierter Ausgaben lateinischer Klassiker bereitgefunden. Als einziger Band erschien jedoch der „Brutus“ von Cicero – er hatte in den kommentierenden Text des Autors Heinrich Meyer redaktionell zu stark eingegriff en. Nicht nur bei dieser Gelegenheit erschien Bernhardy offenbar als schroff und unduldsam – sein Biograph Richard Emil Volkmann erklärt diese Charakterzüge aus dem harten Lebensweg und des Gelehrten eigener Bereitschaft zu äußerst intensiver, disziplinierter Arbeit. Als sein Schüler bescheinigt Volkmann ihm, ein sehr anregender Lehrer gewesen zu sein, der „tiefe nachhaltige Begeisterung für die Antike“ geweckt habe. Allerdings klagt auch er über zu hohe Anforderungen und mangelnde methodische Anleitung.



Zum enormen Arbeitspensum Bernhardys gehörten auch Verwaltungsaufgaben. Von 1831 bis 1861 gehörte er der Prüfungskommission für das Lehramt an Gymnasien in Halle an, seit 1867 war er Mitglied des Kuratoriums für das neue städtische Gymnasium in der Adam-Kuckhoff -Straße – in beiden Funktionen wirkte er über die Universität hinaus, im Bemühen um ein hohes Bildungsniveau in der Stadt. Von 1841 bis 1843 war er Prorektor der Universität, zeitweise auch Stellvertreter für den Kurator, den Bevollmächtigten der preußischen Regierung, der die Aufsicht über die Universität führte. Seit 1844 bis zu seinem Tode war Bernhardy zudem Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek. Bei seiner Amtsübernahme befand sich diese in keinem guten Zustand. Mit zwei Stunden täglicher Arbeitszeit vermehrte er die Buchbestände, trieb die Katalogisierung voran, erließ ein zeitgemäßes Bibliotheksreglement und bereitete den erst nach seinem Tode erfolgten Neubau eines Bibliotheksgebäudes vor.

Bereits zu Lebzeiten erfuhr Bernhardy zahlreiche Ehrungen: 1846 wurde er korrespondierendes Mitglied der Akademie in Berlin, 1862 Geheimer Regierungsrat. Zu seinem 50-jährigen Doktorjubiläum 1872 wurde ihm der preußische Rothe Adler-Orden 2. Klasse und der russische Stanislaus-Orden mit dem Stern verliehen. Kollegen und Schüler stifteten ein Stipendium für Studierende der Philologie, das seinen Namen trug. Gottfried Bernhardy war seit 1829 mit Henriette Meyer verheiratet, mit der er vier Töchter hatte. Nach dem Tod seiner Frau 1853 sorgte er allein für ihre Erziehung. Er war gern auf Reisen, 1846 besuchte er berufl ich Paris und zeigte sich sehr beeindruckt. Jährliche Erholungsreisen führten ihn nach Thüringen, Süddeutschland und in die Schweiz. Mit täglichen Spaziergängen, im Sommer auch durch Schwimmen, erhielt er sich bis ins Alter eine gute Gesundheit; er starb nach kurzer Krankheit am 14. Mai 1875.

(Henryk Löhr, Kulturfalter Juni 2015)