Anmerkungen zum Tag des offenen Denkmals

Es sind oft nicht die großen, ehrfürchtig bestaunten Schlösser und Dome, sondern charakteristische Straßenzüge und Plätze, die wegen ihrer Zugänglichkeit und Alltagsgebundenheit intensiv erlebt werden. Sie bestimmen die eigentümliche Atmosphäre der Stadt, sie bewirken auch, dass eine Stadt Heimat wird. Eine Stadt lebt nicht aus der Summe einzelner hochbewerteter Denkmale, sondern aus der gewachsenen Fülle und Dichte von Denkmalen und anderen Gebäuden unterschiedlichster Art, die es zu bewahren gilt.

Ein Straßenzug wie der Franckeplatz 1–5 war ein Denkmalsensemble, das veranschaulichen konnte, wie die Leute in der alten hallischen Vorstadt Glaucha lebten, wie sie auch baulich den Unterschied zwischen der Stadt Halle und ihrer bescheidenen Vorstadt erfuhren. Die den Denkmalen eingeschriebenen Nachrichten aus vergangenen Jahrhunderten halfen zu verstehen, was einen Mann wie August Herrmann Francke, den Pfarrer der Vorstadt Glaucha, zu seinem großen Stiftungs- und Bildungswerk bewegt hat. Vom letzten Straßenzug der alten Vorstadt, von Franckes Lebenswelt blieben aber neben seinem Wohnhaus (Nr. 1) nur zwei einzelne Bauwerke. Das Haus Franckeplatz 2 wurde im 2. Weltkrieg zerstört, das benachbarte Haus Nr. 3 war verfallen und wurde im Frühjahr 2010 für den geplanten Neubau der Bundeskulturstiftung beseitigt. Die geschlossene Häuserfront, die Francke auf dem Weg zu seiner Pfarrkirche viele Male abgeschritten hat, ist verschwunden. Übrig bleiben drei Einzeldenkmale, jedes für sich wertvoll und bedeutsam, doch sind zwei von fünf Zeugen der Geschichte von Glaucha für immer verstummt und verloren. Dieser in Halle einzigartige Straßenzug hatte auch das Gesicht des Franckeplatzes geprägt, auch und gerade im Kontrast zu dem mächtigen schlossartigen Hauptbau der Franckeschen Stiftungen. Es war ein Bauensemble, das auch das Bild von Halle und die Erinnerung an die Stadt bestimmte, so wie es geschlossene Denkmalensemble vermögen.



In dem äußerlich unscheinbaren Denkmal Schulstraße 11 waren Kunstschätze verborgen. Der Erbauer hatte nicht viel in die äußere Gestalt des Bauwerks, eines Fachwerkbaus, investiert, dafür aber um so mehr in die Innenausstattung. Drei Räume in der „Belletage“ des Hauses waren mit reichen Stuckdecken des Barock geschmückt, die zum größten Teil gut erhalten waren und die Dekorationskunst jener Zeit repräsentierten. Als das Haus im Juli 2010 auf Anweisung der Stadtverwaltung abgerissen wurde, ist mit ihm ein bedeutender Teil der Kulturgeschichte des hallischen Bürgertums verlorengegangen. Das Fachwerkhaus Große Klausstraße 3 hingegen zeigt den Wohlstand und die Kunstfertigkeit seiner Erbauer nicht innen sondern außen, im Schmuckfachwerk. Das Gebäude mit seinen genasten Andreaskreuzen und seinem Eckerker gehört zu den wenigen erhaltenen Bauten des 16. und 17. Jahrhunderts mit dekorativem Fachwerk, von denen es in Halle einst viele gab. Weil solche Häuser sehr selten geworden sind, gilt es, dieses Haus unbedingt zu erhalten, auch wenn der private Eigentümer es verfallen läßt.

Denkmale sind ein ideelles Gemeineigentum. Verantwortung für dieses Kulturerbe verteilt sich auf viele Schultern, obwohl sie zuerst natürlich auf denen der Eigentümer ruht. Die denkmalkundliche Kompetenz liegt bei kommunalen und Landesbehörden, der Unteren und Oberen Denkmalschutzbehörde, dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie; sie haben die Pflicht, über den sicheren Zustand der Gebäude zu wachen. Sie haben aber auch die Pflicht, das ihnen anvertraute Kulturerbe zu bewahren. Über diesen letztendlich politischen Auftrag entscheiden die Bürger. Sie entscheiden, ob die Denkmale ihrer eigenen Geschichte und Kultur erhalten bleiben oder nicht. Sie haben die Chance und das Recht zu bestimmen, ob sie in einer gesichtslosen Stadt von industrieller Uniformität oder in einer Stadt mit einem in Jahrhunderten individuell geformten Antlitz leben wollen, in der sie sich beheimatet fühlen.



Der „Europäische Tag des offenen Denkmals“ möchte alljährlich aufs neue einen Prozeß der Bewußtseinsbildung und Identitätsfindung anstoßen, der im besten Fall zum gemeinschaftlichen Engagement für ein Denkmal führt, wie es z. B. das jahrelange beharrliche Ringen des „Peißnitzhausvereins“ zeigt. Das 1892/93 errichtete, ehemalige Ausflugslokal Peißnitzhaus verkörpert einen seit langem nicht mehr realisierten Bautyp, der unter sich wandelnden Verhältnissen eine abwechslungsreiche Geschichte als Kriegslazarett, Antifaschule und Pionierhaus durchlebte, an der mehrere Generationen von Hallensern teilhatten – Denkmalsgeschichte, die Teil der Familiengeschichte ist. Es kann ein gelungenes Beispiel dafür werden, wie Denkmale der Geschichte wieder in den Alltag eingebunden sein können. Der „Tag des offenen Denkmals“ wird noch viele andere Beispiele bieten.

(Franz Jäger, Kulturfalter September 2010)