Sie war keine laute Emanze
Katrin Schinköth-Haase ist fünffache Mutter, Schauspielerin und Sängerin. Vor allem durch ihre Programme über Clara Schumann oder Claire Waldoff ist sie in Mitteldeutschland bekannt. Seit November 2009 war sie mit ihrem theatralisch-musikalischen Abend über die 1754 promovierte Ärztin Dorothea Erxleben, die damit die erste deutsche Ärztin war, auf vielen Bühnen zu erleben. Am 8. und 9. April konnte man sie mit einem neuen musikalischen Begleiter, dem Cembalisten Martin Erhardt, im historischen Hörsaal der Anatomie in Halle erleben. Es waren die einzigen Termine für längere Zeit in Halle. Wir sprachen mit der Schauspielerin.
Kulturfalter: Frau Schinköth-Haase, „Kein Ort.Erxleben“ ist nicht Ihr erstes Stück, in dem eine Frau im Mittelpunkt steht. Was fasziniert Sie an starken Frauen?
Katrin Schinköth-Haase: Ich möchte es nicht so sehr an Frauen festmachen. Ich denke, dass jeder Mensch eine Stärke in sich trägt. Mich fasziniert an Dorothea Erxleben, dass jemand die Kraft, Geduld und Liebe hat, sich durchzusetzen. Ich denke jeder kommt mit einem starken Fundament auf die Welt, und je nachdem wie er geprägt wird, entwickelt er sich. Der Vater von Dorothea hat sie immer unterstützt und so konnte sie sich entwickeln. Bei Claire Waldoff und Clara Schumann war es wieder ganz anders, und doch haben sie die Welt verändert. Aber wirklich, mich faszinieren nicht nur Frauenbiografien, deshalb wird es auch demnächst ein Stück über einen Mann aus meiner Quelle geben...
Wie recherchieren Sie für eine Figur wie Dorothea Erxleben?
Bei Dorothea gab es viele Quellen. Aber grundsätzlich hole ich mir alles, was es gibt. Bei Dorothea habe ich nicht nur den Lebenslauf genau studiert, sondern auch die Geschichte der Medizin. Ich war in der Ausstellung im Klopstockhaus in Quedlinburg und dort erfuhr ich noch viele Quellen. Ich habe viel über spätmittelalterliche Haushaltsführung, Speisen, Getränke und Naturheilkunde recherchiert. Weil ich mich auch persönlich für Naturheilkunde interessiere, hatte ich da ein gutes Fundament. Ich habe viel recherchiert, was damals an Büchern erschienen ist, um herauszubekommen, was sie gewusst haben kann und was nicht. Ihr Vater hatte eine umfangreiche Bibliothek, so dass man davon ausgehen kann, dass sie sehr gut über das damalige aktuelle Wissen im Bilde war. Oft dauert so eine Recherche ein Jahr oder länger.
Wie gut kennt man eine Person nach einer solchen Recherche?
Nach dem Ende einer solchen Arbeit und wenn ich dann auf der Bühne stehe, habe ich schon das Gefühl, dass ich ein Stück mit der Person verbunden bin. Ich denke dann: ‚Hoffentlich bin ich ihr gerecht geworden‘ und denke auch, dass ich ein Stückchen von ihr weitergetragen habe, auch wenn die Person nicht mehr da ist, ohne dass dies jetzt pathetisch klingen soll.
Wie haben Sie das Programm zusammengestellt?
Das Programm besteht aus drei Bestandteilen. Alle Texte am Pult basieren auf dem von Dorothea Erxleben eigens für die Doktorarbeit geschriebenen Lebenslauf. An den Stellen wo Dorothea ‚bei sich‘ ist, sind die Texte aus meiner Feder und die Lieder stammen alle aus der Zeit vor 1754, dem Jahr in dem Dorothea Erxleben promovierte. Das Stück spielt am Tag der Promotion und dem der Doktorhutverleihung.
Ist Frau Erxleben ein Vorbild für heute?
Ich denke ja, sie ist ein schönes Vorbild. Aber sie ist keine Revolutionärin, wie man es erwarten könnte. Sie hat nicht laut gekämpft, sie war konsequent und aufrecht. Sie war Mutter, Ärztin und Pfarrfrau und hat dies nie an die große Glocke gehängt, aber sie war keine Emanze in dem Sinne. Für sie zählte die Menschlichkeit.
Welche Ideale vertrat Dorothea Erxleben?
Es ist ihre Menschlichkeit. Der Mensch stand bei ihr im Vordergrund. Sie strebte nie nach Ruhm und Reichtum. Sie behandelte in ihrer Praxis Menschen auch ohne Geld. Dies war vor allem der Aufhänger, weswegen sie angezeigt wurde. Erst danach hat sie ihre Promotion nachgeholt. Sie hatte nie das Ziel, die erste deutsche promovierte Ärztin zu werden. Das ist sie dann geworden. Sie hat, glaube ich, alle Menschen sehr gleich behandelt. Und dabei wollte sie fraulich sein und das machen, wonach ihr der Sinn stand. Allerdings hat sie sich dabei vernachlässigt und war immer für andere da. Sie steht für Werte, die in unserer Gesellschaft untergehen, die aber wichtig sind. Ich glaube schon, dass das Zwischenmenschliche in unserer Gesellschaft eine wichtigere Rolle spielen sollte als das Materielle. Dass es nicht gut gehen kann, wenn nur das Materielle zählt, kann man in unserer Gesellschaft sehen.
Färbt ein Stück wie „Erxleben“ auch auf das eigene Leben ab?
Na klar, jedes Stück färbt ab. Man sucht sich die Sachen ja heraus, weil man etwas sagen möchte, was in einem steckt. Über das Nachdenken über bestimmte Themen entsteht das Bedürfnis, dem etwas entgegenzusetzen. Ich denke, dass es wichtig ist, zu gewissen Werten zurückzukehren. Werten, denen man, vielleicht weil es dem Zeitgeist entspricht, gerade nicht viel Achtung entgegenbringt. So entstehen die Stücke. Ich gehe auch nur mit Figuren auf die Bühne, bei denen ich das Gefühl habe, sie verstanden zu haben. Und dann möchte ich meinem Publikum auch etwas mitgeben, über das es nachdenken kann und wo man vielleicht sagen kann: ‚Wow, wenn die Dorothea das geschafft hat, dann schaff ich das auch‘.
Frau Schinköth-Haase, vielen Dank für das Interview!
(Martin Große, Kulturfalter April 2011)
Weitere Infos zu Kathrin Schinköth-Haase