Mord ist ihr Hobby

Die Krimiautorin Andrea Maria Schenkel, geboren 1962, feierte mit ihrem Debütkrimi „Tannöd“ große Erfolge. Der Roman wurde 2007 mit dem Deutschen Krimi-Preis, dem Friedrich-Glauser-Preis und der Corine und 2008 mit dem Martin Beck Award für den besten internationalen Kriminalroman ausgezeichnet. Auch ihr zweites Buch „Kalteis“ ist preisgekrönt und war ein Bestseller. Nun erschien ihr neuer Krimi „Finsterau“, der wie die anderen Krimis ohne Kommissare auskommt und eigentlich ein wenig genre-untypisch ist. Kulturfalterredakteur Martin Große sprach mit ihr auf der Leipziger Buchmesse.

Kulturfalter: Muss es in einem Krimi immer um einen Mord gehen?

Andrea Maria Schenkel: (schweigt, lacht) Das ist eine gute Frage. Eigentlich ist ein Mord nicht notwendig für einen Krimi. Ein Krimi ohne Mord wäre sicher auch mal ganz interessant. Für mich ist es wichtig, eine spannende Geschichte zu erzählen, und die muss nicht zwangsläufig einen Mord beinhalten. Wenn sie gut ist, brauchst du keinen Mord.

Ist es dann noch ein Krimi?

(überlegt) Jaaa… Meine Bücher sind Krimis, sie zählen auch zu diesem Genre, und ich habe nicht einmal Kommissare. Ich denke, der Bereich Krimi oder Kriminalliteratur lässt einem ungeahnte Möglichkeiten. Es ist ein Genre, in dem man experimentieren darf. Zumindest habe ich eine sehr aufgeschlossene Leserschaft, die auch gern auf andere Formate anspringt. 

Sind Sie manchmal erschrocken über die teilweise blutigen Details, die Sie schreiben?

Ich fange nicht mit diesen schlimmen Sachen an. Ich arbeite mich langsam zu den Morden vor. Wort für Wort und Zeile für Zeile, und dann, wenn ich soweit bin, ist es nur noch eine zwingende Art der Darstellung, es zu beschreiben, und dann ist es in dem Moment auch nicht mehr erschreckend. Wobei beim letzten Buch die Lektorin meinte „Noch a bisserl blutiger“, und da hab ich gesagt: „Nein, das will ich nicht“. Es ergibt sich aber auch alles aus den Figuren heraus. 



Ist es manchmal nötig, Abstand zu den Geschehnissen in den Büchern zu nehmen?

Ja, auf jeden Fall. Es ist ganz, ganz notwendig, dass man dazu einen gewissen Abstand hat. Es ist wichtig, dass man etwas anderes sieht, dass man rausgeht. Das wird sonst gruselig. Ich versuche nur dann an den Text zu denken, wenn ich wirklich am Schreibtisch sitze. Wenn ich aufstehe, versuche ich etwas anderes zu denken. Wenn du die ganze Zeit diese Geschichten mit dir herumträgst, dann gehst du kaputt daran. Ein normales Leben neben dem Schreiben ist enorm wichtig.

Was fasziniert Sie am Verbrechen?

Es sind die Geschichten – und mich faszinieren daran die Abgründe in den Personen und Charakteren. Das übt schon eine gewisse Faszination aus. Es ist wie als Kind, als man die brutalen Märchen anhörte. Krimi ist eigentlich die Fortsetzung dessen.

Ihr neues Buch „Finsterau“ ist sehr kurz, sehr filmisch, erinnert an Quentin Tarantino oder auch wahlweise an ein klassisches Drama. Ist das Zufall oder geplant?

Natürlich ist es kein klassischer Krimi. Ein klassischer Krimi beginnt am Tatort, und dann wird ermittelt. Aber darin bin ich nicht interessiert. Meine Bücher sind eher eine Bestandsaufnahme einer momentanen Auflösung oder Zerstörung – wie immer man das auch nennen will. Aber mein Erzählen ist natürlich geprägt von Filmen. Das ist völlig klar. Ich bin 1962 geboren, und ich denke, ich gehöre einer der ersten Generationen an, die mit Filmen aufgewachsen sind. Damals war alles schwarz-weiß. Aber dass man Schnitte macht, dass man vorwärts und rückwärts gehen kann, das gab es da schon alles, und das schlägt sich natürlich im Erzählen wieder. Es macht einfach Spaß, so zu schreiben.

Läuft die Geschichte wie in einem Film bei Ihnen ab?

Ja, eigentlich mach ich nichts anderes, als die Bilder, die ich Kopf habe, zu beschreiben – sie aber so zu beschreiben, dass Freiraum bleibt, dass der Leser seine eigene Geschichte entwickeln kann. Es ist alles sehr sparsam.

In „Finsterau“ ist mir das Vokabular der Leute aufgefallen. Wo haben Sie dieses recherchiert?

Es ist Bayrisch. Es ist aber kein genetisches Bayrisch. Es werden Wörter eingestreut, die es umgangssprachlich gibt, die aber nicht unbedingt typisch sind. Es ist zeitspezifisch, und es sind einige Wörter drin, die so heute nicht mehr benutzt werden. Die dürften selbst meine Kinder wohl kaum noch kennen, das ist ganz klar. Aber ich versuch halt immer für die entsprechenden Zeitspannen Wörter zu verwenden, die damals auch tatsächlich verwendet wurden. Das macht einen Text authentischer, und ich liebe diese Sprache und Wörter.

Sie lesen sich das Geschriebene vor, um es sich anzuhören, um dann nochmal an dem Geschriebenen zu arbeiten. Von Ihren Werken gibt es Hörbücher. Was ist es für ein Gefühl, das eigene Werk von jemand anderem vorgelesen zu bekommen?

Es ist schrecklich. Furchtbar. Es ist jedes Mal ein kleiner Schock gewesen, wenn ich es das erste Mal gehört habe. Wobei ich Glück hatte, denn Monica Bleibtreu hat die ersten beiden Bände wirklich wunderschön gesprochen. Manche Passagen haben mir besser gefallen, als wenn ich es selbst gelesen habe. Andere Passagen waren, jaaaa… anders. Sie ist eine Schauspielerin, sie liest anders. Schauspieler gehen ganz anders an einen Text heran. Lesen ganz anders, befühlen ganz anders.



Denken Sie dann manchmal: Mist, jetzt passt doch noch nicht alles?

Also bei Frau Bleibtreu eigentlich nicht, aber ich war mal bei einer Lesung eingeladen, da hat eine Berliner Schauspielerin einen Text gelesen, und da musste ich hinausgehen. Es war so schlimm. Sie hat sich redlich Mühe gegeben, sie hat aber den Sprachrhythmus nicht gehabt. Es war so anders, so fremd. Es war unerträglich.

Entstand deswegen der Wunsch, die Hörbücher nun einmal selber zu lesen?

Der Wunsch ist langsam gewachsen. Ich bin immer wieder auf Lesungen angesprochen worden. Es verging praktisch keine Lesung, in der mich nicht jemand gefragt hätte, warum ich meine Hörbücher nicht selber lese. Naja, und dann habe ich gedacht, dann mach ich es halt mal.

Frau Schenkel, vielen Dank für das Gespräch!

(Martin Große, Kulturfalter Juni 2012)

 

Weitere Infos zu Andrea Maria Schenkel