Kämpfen um die Erhaltung der Kultur

Die in den USA geborene Australierin Judith Marquardt ist seit dem 1. Juli 2013 Beigeordnete für Kultur und Sport der Stadt Halle. Die promovierte Germanistin hat in Australien und in Tübingen studiert und lebt seit 1996 in Deutschland. Bisher hat sie unter anderem die Handelshochschule Leipzig als Kanzlerin kaufmännisch geleitet und war Vorstandsvorsitzende der ELBLAND Akademie Stiftung in Meißen. Kulturfalterredakteur Martin Große sprach mit ihr über ihre neuen Herausforderungen.

Kulturfalter: Sie sind seit dem 1. Juli im Amt, hatten Sie inzwischen Zeit, sich einzuarbeiten?

Frau Dr. Marquardt: Ich hatte Zeit, mich einzuarbeiten, und habe viel Neues kennengelernt. Es gibt in der Tat etliche Herausforderungen, für die wir Lösungen finden möchten. Der erste Schritt ist, als Stadt einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und vom Stadtrat bestätigt zu bekommen, weil dies eine Voraussetzung für Planungssicherheit und Zukunftsfähigkeit ist.

In einem Interview mit der MZ erwähnten Sie, dass Sie das kulturpolitische Konzept des Kultusministers noch nicht kennen. Hatten Sie inzwischen die Chance, einen Blick darauf zu werfen?

Noch nicht, denn man ist noch dabei ein solches zu erarbeiten. Die Ergebnisse des Kulturkonvents liegen vor – diese kenne ich. Außerdem bin ich mit den Sparvorgaben aus Magdeburg, die uns sehr hart treffen würden,  falls sie so umgesetzt werden, vertraut. Finanzpolitische Vorgaben bedürfen eines kulturpolitischen Konzepts der Landesregierung.

Halle hat ein umfangreiches kulturelles Angebot, eine sehr reiche kulturelle Tradition und zahlreiche innovative Kulturschaffende, die neue Traditionen begründen. Deswegen wollen wir dafür kämpfen, dass wir unsere Kulturlandschaft in der jetzigen Vielfalt und Qualität aufrechterhalten können. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung auf Landes- wie auch auf städtischer Ebene müssen wir die Frage beantworten: „Wo setzt man die Prioritäten, wenn man sagt, Kultur und Wissenschaft kennzeichnen unser Bundesland?“ Das bedeutet meines Erachtens, dass man sich auch finanziell dazu bekennen muss. Ich freue mich, dass unser Oberbürgermeister dies auch so sieht – Kultur, Sport und Wissenschaft haben für ihn für die Stadt Halle hohe Priorität. Deswegen muss die Förderung in adäquater Höhe weitergehen.

Was sind momentan außer der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle die dringendsten Baustellen im Bereich Kultur?

Da wäre zum einen das Stadtmuseum. Der zweite Teil der Dauerausstellung muss erarbeitet und gezeigt werden können, aber das setzt voraus, dass die Sanierung des Druckereigebäudes beendet wird. Es gibt dort, wie an so vielen Stellen in der Stadt, einen Investitionsstau. Es ist mittelfristig mein Ziel, dass dort zu Ende saniert wird, damit der zweite Teil der Dauerausstellung eröffnet werden kann. Unser Planetarium wurde vom Hochwasser schwer getroffen. Ziel ist es, Mittel aus dem Hochwasserhilfsfonds zu bekommen, damit das Planetarium wieder die Bildungsangebote leisten kann, die in der Region sehr geschätzt werden und in Sachsen-Anhalt einzigartig sind. Dabei ist die Frage des Standorts für den Neubau noch offen. Auf der Peißnitzinsel besteht die Gefahr einer erneuten Überflutung. Derzeit beraten wir über verschiedene Optionen mit den Kollegen aus dem Fachbereich Planen.



Das Planetarium wird doch beinahe jährlich überspült. Wurde da nie darauf geachtet…

…Ja, die Peißnitz ist Überflutungsgebiet. Das Wasser stand aber dieses Jahr mit einer Höhe von 1,60m höher als je zuvor im Gebäude und zog in die Wände ein. Die Projektionstechnik des Hauses stand zwar nicht unter Wasser, aber wir wissen noch nicht, ob die Feuchtigkeit sie in irgendeiner Form beeinträchtigt hat. Wir lassen die Projektionstechnik überprüfen.

Immer wieder im Gespräch ist eine städtische Kunsthalle im Zentrum der Stadt. Gibt es nicht genügend Ausstellungsräume für die Künstler in Halle?

Wir haben die Moritzburg, viele Galerien und auch diverse andere Ausstellungsräume in Halle, aber keine städtische Kunsthalle. Es gibt das Künstlerhaus 188, aber es kann sein, dass dies weichen muss, wenn dort die neue Straßenbahntrasse gebaut wird. Falls das so kommt, müssen wir den dort ansässigen Vereinen und unseren bildenden Künstlerinnen und Künstlern helfen, eine Alternative zu finden. Es gibt bereits einige Ideen, und die Belebung der Neuen Residenz durch junge Künstler nach dem „Wächterhaus“-Modell – analog zur Goldenen Rose – ist ein Ansatz, den wir unterstützen. Die Neue Residenz ist aber nicht für alle Vereine im Künstlerhaus 188 die beste Lösung. Einen Künstlerhalle-Neubau kann sich die Stadt allerdings zur Zeit nicht leisten.

Im September beginnt die neue Spielzeit. Werden die Besucher von den Kürzungen etwas merken?

Noch nicht. Die neue Spielzeit 2013/2014 für die Theater, Oper und Orchester GmbH wurde schon vor längerer  Zeit geplant. Wie hoch die Kürzungen ausfallen werden, ist eine politische Entscheidung des Landtages, die frühestens im Herbst fallen wird. Mir ist nicht bekannt, dass in vorauseilendem Gehorsam bereits gestrichen wird.

In Halle werden oft fehlende Terminabsprachen beklagt, so dass es vorkommen kann, dass unter Umständen an einem Abend sehr viel los ist und an anderen eben mal weniger. Ungeachtet dessen, dass dies vor allem ein Problem der Veranstalter ist, was muss und kann die Stadt im Bereich Kulturkoordination überhaupt leisten?

Wir laden alle Einrichtungen in der Stadt zum Gespräch ein, ganz gleich, ob sie städtisch sind oder nicht. Wir können den Austausch untereinander und terminliche Abstimmungen fördern, aber wir können niemanden dazu zwingen. Als Instrument zur intensiveren Kommunikation der Kultureinrichtungen in der Stadt untereinander möchten wir die Idee der Themenjahre wieder aufnehmen, die von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Paul Raabe ins Leben gerufen wurde. In dem Zusammenhang wollen wir natürlich das Reformationsjubiläum gut vorbereiten. Es wird im Mai 2017 einen »kleinen« Evangelischen Kirchentag mit Tausenden Besuchern in Halle geben; das muss gut koordiniert werden. In den kommenden Jahren gibt es zahlreiche Jubiläen in der Stadt, und diese wollen wir mit allen Beteiligten frühzeitig abstimmen, um übergreifende Themen zu schaffen und Überschneidungen möglichst zu vermeiden.

Schon in früheren Jahren gab es Kürzungen im Kulturbereich. Jetzt soll wieder gekürzt werden. Ist irgendwann eine Schmerzgrenze erreicht?

Die Kürzungen gibt es schon seit Jahren im Kulturbereich – wir sparen seit zehn Jahren. Klar ist: Es geht an die Substanz. Das heißt man läuft Gefahr, entweder eine Einrichtung schließen oder Qualitätsverlust hinnehmen zu müssen. Beides wollen wir nicht. Wir müssen sicherlich weitere Strukturanpassungen vornehmen und Optimierungspotentiale ausschöpfen, aber auch mehr Partner finden, die uns bei der Finanzierung helfen – da sind alle Freunde und Förderer unserer Kultureinrichtungen gefragt.

Es werden große Hoffnungen in Ihr Amt gesetzt. Wie weit reichen eigentlich Ihre Befugnisse, und was kann eine einzelne Person überhaupt ausrichten?

Es ist gut, dass die Zuständigkeit sowohl für den Sport als auch für die Kultur endlich wieder in einer Hand vereint ist und die Kompetenzen nicht mehr auf mehrere Ressorts verteilt sind. Ansonsten kann ich das tun, was alle Beigeordneten tun können: Vorschläge einbringen, Lösungsvarianten aufzeichnen, neue Strukturen vorstellen, darstellen, was durch die Verwaltung zu leisten ist, und kreativ sein, um mit den vorhandenen Möglichkeiten und auch mit weiteren Partnern unsere Ziele zu erfüllen. Entschieden wird dann im Stadtrat.



Was sind momentan die dringendsten Baustellen im Bereich Sport?

Das drängendste Problem war die Eissporthalle, und für die ist nun eine Übergangslösung gefunden worden, bis ein Neubau steht. Die Eissportfreunde sind aber nicht die einzigen, die von der Flut schwer betroffen waren. Wir haben insgesamt Schäden in Millionenhöhe an unterschiedlichen Sportstätten, die auf das Hochwasser zurückzuführen sind. Dies gilt für große Vereine wie den HFC, aber auch kleinere Vereine wie die der Tennisspieler oder der Angler. Für unsere drei Vereine am Osendorfer See haben wir zunächst ebenfalls Übergangslösungen gefunden; alle wollen aber natürlich so schnell wie möglich zurück an ihre alte Heimstätte. Am Hufeisensee wird es eng, wenn die Wasserskifahrer, die Drachenbootfahrer und die Angler alle gleichzeitig unterwegs sind. Die Ruderer am Böllberger Weg sind auch Flutopfer. Wir hoffen sehr, dass alle Schäden durch die Flutmittel behoben werden können. Grundsätzlich bereitet uns der Investitionsstau im Sport Kopfschmerzen – etliche Sportstätten brauchen eine energetische Sanierung; dies würde uns darüber hinaus helfen, die Betriebskosten zu senken. Da freuen wir uns sehr auf die neue Ballsporthalle und auf die neue Kraftsporthalle, die in absehbarer Zeit entstehen werden. 

Ein weiterer großer Bereich sind die Schulturnhallen in der Stadt. Sie unterstehen zwar nicht meinem Geschäftsbereich, aber die Sportvereine möchten sie am Nachmittag, am Abend und in den Schulferien nutzen. Viele der Hallen sind erneuerungsbedürftig.

Bei den Sportlern gibt es großartiges Engagement in den Vereinen – alle packen mit an, so dass auch mit wenigen Mitteln viel zu erreichen ist.

Wie motivieren Sie sich bei diesen vielen Problemen?

Es macht Spaß, Lösungen zu finden. Ich arbeite sehr gern mit Menschen zusammen, denn allein geht gar nichts. Das ist mein Ansatz. Es gilt, viele gute Ideen in eine Lösung zusammenzuführen.

Welche Art von Kultur genießen Sie am liebsten?

Das ist schwer zu sagen. Ich bin ein Allroundgenießer, was Kultur angeht. Ich liebe die Musik, ich gehe gern ins Theater, ins Museum. Und beim Sport… Ich habe immer gern Federball gespielt, aber ich kann es nicht besonders gut. Zum Anschauen finde ich Leichtathletik, Schwimmen oder Rudern am spannendsten.

Was sind Ihre Lieblingsplätze in Halle?

Ich bin sehr gern in den Museen, im Theater, im Konzert oder in der Oper. Außerdem bin ich besonders gern da, wo es grün ist – z.B. an der Saale und auf der Peißnitz. Es gibt viele schöne Orte in Halle. Und natürlich bin ich gern im Büro. (lacht)

Frau Dr. Marquardt, Vielen Dank für das Gespräch.