August Diehl im Interview: Einfach mal 'Nein' sagen

„Ein verborgenes Leben“ ist ein neuer Kinofilm mit August Diehl in der Hauptrolle. In dem Drama geht es um den österreichischen Bauern Franz Jägerstätter. Dieser lässt sich nicht von der Wehrmacht im besetzten Österreich einziehen. Sein standhaftes „Nein“ bezahlt er mit seinem Leben. Der Film beruht auf einer tatsächlichen Geschichte. Zur Premiere des Filmes weilte August Diehl in Halle und Kulturfalterredakteur Martin Große sprach mit ihm über seine Rolle.

Kulturfalter: Sie spielen die Hauptfigur Franz Jägerstätter – ein Mann, der für seine Weigerung in den Krieg zu ziehen mit dem Leben bezahlt. Ist Jägerstätter eine Heldenfigur?

August Diehl: Ob er ein Held oder kein Held ist, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Meist ist es die Nachwelt, die eine Person zu einem Helden erklärt. Wenn jemand mit einer Sache beschäftigt ist, macht er sich keine Gedanken darüber, ob das heldenhaft ist oder nicht. Aus meiner Sicht auf die Rolle ist das unwichtig. Wenn wir aus unserer Sicht darauf schauen, hat es was Heldenhaftes. Mich hat an der Rolle interessiert, was passiert, wenn jemand „Nein“ sagt. Das löst meistens viel aus und kann, wie im Film, ein ganzes System beschäftigen. 

Wenn man den Film schaut, fragt man sich: ‚Wie weit würde man selber gehen?‘ Deswegen empfand ich die Rolle des einfachen Bauern Jägerstätter ermutigend auch selber mal Nein zu sagen. Wie empfinden Sie das?

Mir macht die Geschichte riesigen Mut. Ich habe ganz oft gedacht, während ich das gespielt habe: ‚Das ist ja irre, wie eine wohlgeölte Maschine knirscht, wenn jemand `Nein´ sagt.‘ Man muss kein Ghandi sein um die Welt zu verändern. Es genügt, nicht mitzumachen. Und das macht den Film auch so aktuell. Die Zeit in der wir aktuell leben, ist von einem gemeinsamen ‚Ja‘ geprägt. Wir werden alle immer ähnlicher. Wir benutzen dieselben Kommunikationsmittel und wir machen alle das Gleiche. Das ‚Nein-Sagen‘ war bei meinen Eltern noch etwas ganz Starkes. Das hört auf anscheinend. Wer heute kein Handy und keine E-Mail-Adresse hat, wie der angeschaut wird, ist der Wahnsinn. Das ‚Nein‘ wird immer schwieriger. Das finde ich persönlich interessant. Der Film zeigt, dass es nicht viel, eigentlich nur kindliche Sturheit braucht, um ‚Nein‘ zu sagen. Wir haben diesen Punkt jeden Moment und wir gehen immer mit. Kein Kind würde darüber diskutieren, ob es richtig oder falsch ist den anderen zu erschießen. Es würde ‚Nein‘ sagen und die richtige Entscheidung treffen. Obwohl der Film in den 40er-Jahren spielt, ist das ein Film für uns.



Jägerstätters ‚Nein‘ trifft auch besonders seine Frau und die Kinder. Warum konnte er nicht ihnen zuliebe ‚Ja‘ sagen? Er lässt sie doch im gewissen Sinne im Stich.

Das ist ja das, was die meisten Wehrmachtsoldaten gemacht haben. Deswegen kann ich die auch meisten Soldaten nicht verurteilen, die in den Krieg gehen. Sie wollten Frieden mit dem System und Frieden mit der Familie, deswegen haben sie ‚Ja‘ gesagt. Für Jägerstätter war es eine schrittweise Entscheidung. Er war beim Wehrdienst, ist Motorrad gefahren und, und, und. Aber Menschen erschießen, das wollte er nicht. Er dachte an seine Kinder und dachte: `Mache ich das, dann kann ich denen nicht mehr in die Augen schauen.` Und dass die Entscheidung dramatisch wird, das ist nicht seine Schuld. Das war das System. Sein einfaches ‚Nein‘ wird auch deswegen so groß, weil es nicht geduldet wird. Man hätte ihn ja auch einfach auf den Acker zurückgehen lassen. Seine Frau hat übrigens zu ihm gestanden. Bis zum Schluss.

Im Laufe des Filmes kommen Gerüchte ins Dorf über das, was im Krieg passiert. Kann man sagen, was Jägerstätter tatsächlich wusste?

Die Gerüchte kommen so nach und nach in das Dorf. Menschen verschwinden. Was Böses ist im Umlauf. Es gibt Lager, in denen Menschen festgehalten werden und, und, und… In Jägerstätters Briefen, auf denen der Film basiert, bleibt das vage. Ich denke, er wusste das, was alle gewusst haben.


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Können Sie die Männer verstehen, die nicht ‚Nein‘ sagen konnten und sich haben einziehen lassen?

Auf jeden Fall. (überlegt) Ich glaube, was der Mensch am meisten braucht, ist Frieden, Schutz für seine Nächsten und etwas, womit er sein Dasein fristen kann. Aber vor allen Dingen braucht der Mensch Frieden. Um das zu erhalten, machen viele Leute sehr viel mit. Sie fügen sich auch in ein System ein, um das zu erhalten. Die meisten Wehrmachtsoldaten haben genau das gemacht. Die wollten keine anderen Länder erobern und Menschen totschießen. Die wollten ihren Frieden und mit dem Leben davonkommen. Viele waren einfache Menschen.

Würde der Film unseren Großeltern und Urgroßeltern sauer aufstoßen? Viele in dieser Generation haben sich ja herausgeredet mit dem Satz: ‚Wir haben ja nichts gewusst.‘

Das tut er sicher, ja. Denn es gibt immer die Möglichkeit nicht teilzuhaben. Auch wenn das große Konsequenzen hat. Im Film wird das ganz schön gezeigt. Da sagt der Anwalt zum Schluss zu Jägerstätter: ‚Eine Unterschrift und sie sind frei.‘, und Franz Jägerstätter sagt: ‚Ich bin ja schon frei.‘ Es ist ein anderer Blickwinkel.

Ich frage mich auch selber: ‚Wie wäre ich gewesen?‘ Aber ich denke, das weiß man erst, wenn man in so einer extremen Situation ist. Die Wehrmacht ist nicht die SS. Man wurde zum Krieg eingezogen, wie in jedem anderen Land auch. Viele dachten sich: ‚Ich versuche mit dem Leben davonzukommen.‘ Aber sauer aufstoßen würde der Film.

Nehmen Sie sich aus dem Film was mit für Ihr eigenes Leben?

Ich nehme aus jedem Film was mit. Das passiert automatisch, wenn man sich lange mit einer Sache beschäftigt. Ich denke Filme ändern nicht die Welt, aber sie ändern Persönlichkeiten. Das tut es jedenfalls mit mir. Ich denke viel an den Film, auch in privaten Situationen.

Welchen Platz nimmt die Figur in Ihrer Filmografie ein?

Für mich ist er einer der wichtigsten Filme, die ich gemacht habe. Vor allen Dingen durch seine Einfachheit war der Film und die Figur eine große Herausforderung. Die Vereinfachung, auch rein schauspieltechnisch gesehen, von Dingen, die man kann und die man gelernt hat, das macht den Film besonders für mich.

Herr Diehl, vielen Dank für das Gespräch.