Interview Regisseur Bernd Böhlich

Bernd Böhlich, 1957 in Löbau geboren, arbeitete nach dem Abitur als Regieassistent beim Deutschen Fernsehfunk in Berlin. Seit dem Abschluss seines Regiestudiums an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg ist er als Autor und Regisseur tätig. Bereits sein Abschlussfilm an der Filmhochschule „Fronturlaub“ lief auf zahlreichen internationalen Festivals. Anfang der 1990er Jahre wurde Bernd Böhlich für zwei seiner Fernsehfilme mit dem renommierten Grimme-Preis ausgezeichnet. 2007 feierte er mit seinem Kinofilm „Du bist nicht allein“ debüt. Mit Axel Prahl und Katharina Thalbach in den Hauptrollen wurde dieser ein Riesenerfolg, an den er 2008 mit „Der Mond und andere Liebhaber“ anknüpfen konnte. 2012 inszenierte er die Komödie „Bis zum Horizont, dann links“ über eine abenteuerliche Reise, die alles verändert. Der Film begeisterte deutlich mehr als 200.000 Kinozuschauer. Bekannt wurde Bernd Böhlich auch für die Krause-Fernsehfilme mit Horst Krause in seiner Paraderolle als gleichnamiger Polizeihauptmeister im brandenburgischen Dorf Schönhorst. Mit „Und der Zukunft zugewandt“ kehrt Bernd Böhlich auf die Kinoleinwand zurück.

Kulturfalter: In Ihrem neuen Film „Und der Zukunft Zugewandt“ geht es um eine junge Kommunistin, die jahrelang in einem Arbeitslager in der Sowjetunion festgehalten wurde und in den 50er Jahren wieder in die DDR zurückkehren durfte. Ihre Geschichte soll an eine wahre Figur angelehnt sein. Wie haben Sie den Stoff gefunden und hat Sie das gleich inspiriert einen Film zu machen?

Ende der 80er Jahre habe ich in der DDR als Regisseur gearbeitet. 1988 habe ich den Krimi „Polizeiruf 110“ gedreht und dabei die Schauspielerin Swetlana Schönfeld kennengelernt, die in dem Film auch eine Rolle spielt. Sie erzählte mir ihre Biografie, dass sie 1951 in einem sowjetischen Straflager geboren wurde. Das hat mich zuerst sehr schockiert, denn so eine Biografie war für mich völlig neu. Ich habe mich daraufhin intensiv damit beschäftigt. Es hat mich bewegt, wie jemand mit so einer Vergangenheit in der DDR zurechtkommt, weil über dieser Vergangenheit damals der Mantel des Schweigens lag.

Haben Sie dann der Geschichte hinterher recherchiert?

Ich habe versucht das Thema zu recherchieren, also das Leben deutscher Kommunisten im Exil in der Sowjetunion. Ich habe gemerkt, dass es sehr schwierig war, da es dazu gar keine Informationen, keine Literatur, keine Dokumentarfilme und Zeitzeugenberichte oder sonst irgendwas gab. Erst nach dem Fall der Mauer hatte ich die Gelegenheit durch Recherchen einen Einblick in diesen ganzen Kosmos zu bekommen. Das habe ich dann getan und habe angefangen am Drehbuch zu arbeiten. Dies war sehr schwierig, weil die Fülle dieses Materials dazu geführt hat, zu denken, dass das nicht zu bewältigen wäre. Das war ein sehr langer Weg, dieses Drehbuch zu entwickeln, zu schreiben und dann daraus einen Film zu machen.

Einen Film über die DDR kann man auf viele Arten und Weisen drehen. Was war Ihnen bei der Inszenierung des Films besonders wichtig?

Man soll als junger Mensch ein Gefühl für die Anfangsjahre der DDR, die 50er Jahre, bekommt, und Dinge erfahren die man bis dato nicht gewusst hat. Der Film soll auch erklären unter welchen schwierigen und komplizierten Bedingungen dieses kleine Land, die DDR, überhaupt entstanden ist.



Wie haben Sie und die Schauspieler sich auf den Film und die Zeit vorbereitet?

Indem man viel liest und viel Filme aus der Zeit guckt. Man muss ein Gefühl dafür entwickelt, wie Menschen sich verhalten, gekleidet, gesprochen, und sich bewegt haben um in eine Zeit einzutauchen. Natürlich ist das bei einem historischen Film etwas anders, weil man sich versucht, in die Zeit hineinzuversetzen, in der es beispielsweise keine modernen Kommunikationsmittel gab und es ein riesiges Ereignis war ein Fernsehgerät zu besitzen. Neben diesen Äußerlichkeiten geht es aber auch darum die Gesellschaft von damals zu verstehen, in der kein Öffentlicher Diskurs über Probleme stattgefunden hat. Eine Gesellschaft, die sehr verschwiegen war und in der wesentliche Dinge des Alltags einfach nicht diskutiert wurden.

Warum war das Auswandern in den Westen mit dem Arzt Konrad Zeidler keine Option für Ihre Protagonistin?

Das ist eine sehr berechtigte Frage und ich kann mir auch vorstellen, dass viele Leute damit hadern. Ich kann nur sagen, dass das für die meisten Heimkehrer aus diesen Lagern keine Option war. Das ist weniger eine Entscheidung von mir gewesen, diese Figur so zu erzählen, sondern das ist eine Erfahrung aus vielen Gesprächen. Wir wissen, dass diese Frauen einen Gang in den Westen als Verrat empfunden hätten. Sie waren der Meinung, dass ihr Schicksal, ihre Leiden und ihr Schmerz mit dazugehörten um den Aufbau einer besseren Gesellschaft zu ermöglichen. Das mussten sie durchhalten, bestehen und wenn man dieses Opfer dann nicht bringt, dann war im Grunde genommen alles sinnlos. Das ist auch sehr trotzig und hat viel mit Glauben zu tun. Insofern ist der Kommunismus auch sehr nah an der Religion. Das ist etwas, was diese Frauen dazu gebracht hat, zu überleben. Und da steht es mir auch nicht zu darüber moralisch zu urteilen, denn das lässt sich aus heutiger Perspektive leicht sagen, „Man hätte können“. Sie waren überzeugte Kommunistinnen, die sich gesagt haben, ja, das ist alles furchtbar was hinter uns liegt, aber es berechtigt uns nicht dazu unsere Überzeugung über Bord zu werfen und in den Westen zu gehen. Man muss es nicht unbedingt gut finden, aber man muss es respektieren.

Sie wurden in der DDR geboren. Haben Sie Ihre eigenen Erfahrungen, Bilder, die Sie selbst als Kind erlebt haben, mit in den Film einfließen lassen?

Dieses Lebensgefühl, das man sich als Teil einer Gemeinschaft versteht, ist mir nicht fremd. Vieles in der DDR war organisiert in Vereinen und Clubs. Dass man Teil einer Gemeinschaft ist ging einem ins Blut über, und insofern ist das etwas was ich auch hineintragen konnte, da dieser Gemeinschaftssinn in dem Film eine große Rolle spielt. Zugleich habe ich auch die Erinnerung, dass über viele wichtige Dinge öffentlich nicht gesprochen wurde, und dass  in den Zeitungen nicht alles berichtet wurde, einfließen lassen.

Nicht zum ersten Mal waren sie Regisseur und Drehbuchautor. Können Sie mit kurzen Worten Ihre Arbeitsweise und daraus resultierende Herausforderungen beschreiben?

Es hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil besteht darin, dass man das, was man aufschreibt, selber umsetzten wird. Schon beim Schreiben denkt man ein bisschen an die Ökonomie, was mit einem gigantischen technischen Aufwand verbunden wäre und durch die vorhandenen Mittel überhaupt nicht realistisch ist. Da kann man sehr gut Einfluss darauf nehmen. Ein weiterer Vorteil ist natürlich, dass man eine Geschichte aufschreibt, die einen selber auch interessiert und deswegen auch selber im Kino oder im Fernsehen sehen möchte. Der Nachteil bzw. die Schwierigkeit besteht darin selber kritisch zu bleiben. Man darf nicht so berauscht von dem sein, was man da aufschreibt, dass man dies nicht mehr hinterfragt.

 


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Wie lange hat es vom Anfang des Drehbuch-Schreibens bis zum fertigen Film gedauert?

10 Jahre. In der Zeit habe ich auch andere Dinge gemacht, also ich habe nicht von Montag bis Freitag jeden Tag acht Stunden daran gearbeitet. Man lässt das Drehbuch auch mal für eine Woche liegen, beendet einige Szenen oder fängt völlig von vorne an, weil man grundsätzliche Zweifel hat. Aber insgesamt waren es schon ungefähr 10 Jahre.

Welche Szene gefällt Ihnen persönlich am besten?

Der Film hat wie jeder Film sehr unterschiedliche Szenen. Ich finde die sehr lange Szene, wenn die Frauen praktisch eingebürgert werden gut. Wenn ihnen klar gemacht wird, warum sie etwas unterschreiben müssen und dass sie im Sinne der großen Sache zu schweigen haben, dass finde ich sehr überzeugend. Mir imponiert auch jedes Mal die Szene am Ende mit Peter Kurth als Vernehmer. Er glaubt der Protagonistin nicht und unterstellt ihr eine Lüge, dass es in der Sowjetunion keine Lager gab und verweist darauf, dass er in einem Lager war und beweist dies auch. Dieser Streit hat plötzlich die Deutungshoheit über die Geschichte. Das ist eine Szene, die mich nach wie vor sehr berührt.

Welche Szene ist für das Verständnis des Filmes, aus Ihrer Sicht, am wichtigsten?

Schwierig, da würde ich nicht eine einzelne Szene herausnehmen. Ich würde mir wünschen, dass die Leute den Film als Ganzes wahrnehmen und dass sie einen Erkenntnisgewinn aufgrund dieses Filmes haben. Er soll die Leute  zum Nachdenken anregt und zum Gesprächsstoff werden. Nicht nur für die die ähnliche Erlebnisse hatten, sondern auch für die die etwas von Freunden oder Bekannten gehört haben und sich an Verdrängtes erinnern. Ich glaube das Problem ist, dass man die DDR immer vom Ende her denkt. Dann bleibt immer nur Staatssicherheit, Doping und Stacheldraht. Diese Gesellschaft hat anders angefangen.

Was für Projekte haben Sie in der Zukunft in Sicht?

Ich mache nach wie vor regelmäßig meine Fernseharbeit. Außerdem würde ich gerne ein Kinoprojekt über das Jahr 1968, was in Westdeutschland eine große Rolle gespielt hat, entwickeln. Man spricht ja in der Bundesrepublik von den 68ern. Das hat es in der DDR nicht in diesem Ausmaß gegeben, aber der sogenannte Prager Frühling 1968 hat eine große Rolle gespielt. Dieser ist blutig niedergeschlagen worden und ich glaube das war die letzte Möglichkeit den Sozialismus  im Ostblock zu reformieren. Als das beendet war, war glaube ich auch den letzten klar, dass es keinen Sinn hat und dass sich der Sozialismus sowjetischer Prägung nicht von alleine reformieren wird.

Vielen Dank für das Interview.