Evgenia Gostrer - Ich springe vor dem Tisch herum

Evgenia Gostrer ist eine Kurzfilmmacherin. Sie wurde 1981 in Woronesh in Russland geboren und siedelte mit 15 Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland über. Schon mehrere ihrer Filme wurden bei der Monstrale gezeigt. Kulturfalterredakteur Martin Große sprach mit ihr über ihre Arbeit und die Monstrale.

Kulturfalter: Guten Tag, Frau Gostrer. Können Sie sich unseren Lesern kurz vorstellen?
Evgenia Gostrer: Mein Name ist Evgenia Gostrer. Ich habe an der Kunsthochschule Kassel studiert und ich mache Kurzfilme. Ich arbeite bei meinen Kurzfilmen komplett analog, das heißt, ich arbeite mit Knetanimationen. Neben dem Filmmachen lehrte ich unter anderem in London an der Kingston University.

Ist es das Los der Kurzfilmschaffenden, dass man neben dem Filmemachen noch arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen?
Ja und nein. Es ist auf jeden Fall nicht einfach. Ich habe das mit der Lehre gemacht, weil ich meine Liebe zum Kurzfilm gern an den Nachwuchs weitergeben wollte. Aber viele Kurzfilmschaffenden leben von kommerziellen Kurzfilmen, wie Trailern, Werbung, Auftragswerken für das Fernsehen, wie für Arte mit der Sendung „Carambolage“. So finanzieren sie die Kunst mit Filmemachen.



Sie arbeiten mit Knetanimation, wie muss man sich das vorstellen?
Ich sitze dabei an einem selbstgebauten Tisch und knete. Die Arbeitsplatte ist mit Hilfe von LED’s von unten beleuchtet. Darüber ist eine Kamera installiert, die mein Arbeitsfeld auf dem Computer überträgt. Das heißt, ich sehe dann auf dem Rechner live, was ich mache. Wenn ein Bild dann fertig ist, speichere ich es. Und dann kommt das nächste dran.

Wie lange sitzen Sie an einer Filmminute?
Oh, ich rechne eher in Sekunden. An einem Arbeitstag schafft man so zwei, vielleicht drei Sekunden, wenn es komplexe Szenen mit vielen Details sind. Manchmal bei detailarmen Szenen schafft man dreißig Sekunden, aber das ist eher selten. Für eine Sekunde benötigt man 25 Bilder, da bekommen Sie eine Ahnung, wie lange man für eine Minute Film braucht.

Oh je, das ist eine Menge Zeit für eine Minute Film. Würden Sie sich als geduldigen Menschen beschreiben?
Also früher war ich das auf keinen Fall. (Lacht) Und inzwischen, ja könnte man das wohl sagen. Man verändert sich mit der Zeit.

Sie haben sich für ein „Making Of“ beim Film „Kirschknochen“ über die Schulter schauen lassen. Darin sah ihre Arbeit insgesamt sehr meditativ aus. Ist das richtig, oder trügt der Eindruck?
Na ja die Vorbereitungen, bis man anfangen kann zu Arbeiten, die sind schon eher stressig, aber das sieht man nicht. Ich versuche dann beim Arbeiten mich in so einen meditativen Zustand zu versetzen. Ich höre oft nebenbei Radio oder Hörbücher. Aber wenn es aufregende Szenen sind, an denen ich sitze, dann drehe ich die Musik auf, es laufen die 80er, und ich springe vor dem Tisch herum.



Sie sind nicht zum ersten Mal bei der Monstrale vertreten. Wie wichtig sind Festivals wie die Monstrale für Ihr Genre?
Die sind extrem wichtig. Zum einen trifft man hier die Menschen hinter den Filmen, die Veranstalter und das Publikum. Man kann sich austauschen, Kontakte knüpfen und kommt mal raus. Zum anderen hat man hier einmal die Möglichkeit, die Reaktionen des Publikums zu erleben, und das ist ja extrem wichtig für Künstler. Ich liebe solche Festivals und würde am liebsten zu allen hinfahren.

Welchen Film kann man denn auf der Monstrale sehen?
Von mir wird „Kirschknochen“ gezeigt. In dem Film verarbeite ich meine eigene Geschichte und erzähle, wie wir als jüdische Kontingentflüchtlinge nach Deutschland gekommen sind.

Woher nehmen Sie Ihre Inspirationen? Verarbeiten Sie öfter Autobiografisches?
Das ist eine gute Frage, ich habe mich das nie gefragt. Irgendwie ist immer was. Meine Geschichte wollte ich erzählen. Aber bei meinem aktuellen Film, an dem ich gerade arbeite, habe ich mich völlig wegbegeben von mir und erzähle einfach eine Geschichte. Es sind so Begebenheiten, die mich inspirieren, genauer kann ich es nicht sagen.

Ein Bild hängt man an eine Wand, eine Skultpur stellt man in einen Park. Wo ist der natürliche Lebensraum eines Kurzfilmes?
(Lacht) Ja der natürliche Lebensraum des Kurzfilmes ist sehr klein. Es ist erfreulich, dass es einige Kinobetreiber gibt die Kurzfilmabende veranstalten. Deswegen sind die Festivals so wichtig. Kurzfilme laufen in Programmkino als Vorfilme und sie sollten auch in Mainstreamkinos vor Mainstreamfilmen laufen, das wäre toll. Als Publikum muss sich man sich aktiv für das Genre interessieren und Vorstellungen besuchen. Das funktioniert auch, wie ich mit eigenen Projekten festgestellt habe, aber es wäre schön, wenn es einfacher wäre.

Würden Sie einmal einen Kinofilm machen?
Auf jeden Fall sehr gerne. Mit einem großen Team, was mir beim animieren hilft. Auf jeden Fall.

Frau Gostrer, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Ihren Film beim Festival.