Es war eine große Familie

Schauspielerlegende Reinhard Straube, bekannt auch als „Der Hypochonder“, war bereits seit den 60er Jahren des letzte Jahrhunderts Ensemblemitglied des sozialistischen Vorläufers des neuen Theater - des Theater des Friedens. Er erlebte die Aufbauzeiten, die Wende und war fester Schauspieler des neuen Theaters bis 2014. Heute steht er dort auch noch als Gastschauspieler auf der Bühne. Kulturfalter-Redakteur Martin Große erwischte ihn kurz vor einem Dreh am Telefon für ein Interview.

Herr Straube. Sie waren bereits lange Jahre Ensemblemitglied am damaligen Theater des Friedens. Wie war die Stimmung zu Beginn der 80er Jahre, als die Idee für ein neues Theater entstand?
Das Theater spielte damals im Opernhaus. Und wir hatten volle Vorstellungen. Wir waren das einzige Ensemble in der DDR was nach 1972 „Die neuen Leiden des jungen W.“ spielen konnte. Wir waren eine tolle Truppe und schön am Spielen. Aber wir hatten nur wenige Auftritte, weil wir uns die Bühne mit dem Ballett und der Oper teilen mussten. Manchmal hatten wir nur drei Auftritte im Monat. Dann kam Herr Sodann an und meinte: ‚Wir bauen uns ein Schauspielhaus‘. Das war verrückt. Wo sollte das herkommen? Wo sollte das stehen? Doch Sodann sprach mit der Stadt und bekam irgendwie das alte Kino der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft in der Großen Ulrichstraße. Um den Rest mussten wir uns selber kümmern.  So war die Lage.

Wie muss man sich das vorstellen?
Wir haben das tatsächlich selber gemacht – die Schauspieler, die Souffleusen, die Bühnentechniker, der Chef – alle standen auf der Baustelle. Zuerst musste alles rausgeräumt werden. Das Kino war ein kleiner Stadtbezirk voller Müll. Strieses Biertunnel war eine schmutzige Gaststätte. Das war wirklich harte Arbeit. Wir haben tagsüber geschuftet und abends gespielt, dann gab es Bier für alle und am nächsten Tag wieder ab auf die Baustelle. Es hatte auch jeder Lust dazu, denn wir haben ja unser eigenes Schauspielhaus gebaut. Da lief nicht alles glatt und es gab auch depressive Phasen, wo man kein Land gesehen hat. Aber dann wurde der große Saal langsam fertig und es gab viel Unterstützung aus der Stadt. Da waren Handwerker die geholfen haben, wenn jemand Material hatte wurde das vorbeigebracht und so nach und nach sah es auf einmal wie ein Theater aus.



Können Sie eine Anekdote aus der Anfangszeit erzählen?
(Lacht) Da braucht es ein Kästchen Bier dazu. Aber was wirklich kennzeichnend war, waren die vielen Gastspiele nach der Wende. Wir haben vormittags gebaut, dann ab in den Bus. Dort sind alle eingeschlafen, es gab ein Bierchen, dann einchecken im Hotel, schlafen und dann ab auf die Bühne. So kamen wir zu 53 Gastspielen in Frankreich, Österreich, der Schweiz oder Israel.

Was war Ihrer Meinung das aufsehenerregendste Stück des nt?
Da gibt mehrere Stücke die mir da einfallen. Zum Beispiel „Die Ritter der Tafelrunde“, das war ein ziemlich politischer Stoff und das hat die Leute interessiert. In Erinnerung sind mir auch Wallenstein, oder „Richtstatt" nach Aitmatow. Da spielten wir immer vor vollen Rängen. Neben dem waren unsere Revuen auch immer erfolgreich.

Was ihr persönlich schönstes Stück mit ihrer Beteiligung?
Das war „Amadeus“. Das habe ich zehn Jahre gespielt. Das habe ich nie wieder erlebt. Von 1986 bis 1996 stand das auf dem Spielplan. Das war Stück war vier Stunden lang und ich musste als Salieri die ganze Zeit auf der Bühne stehen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich das geschafft habe.



In einer langen Geschichte gibt Höhen und Tiefen? Ist Ihnen da etwas in Erinnerung geblieben?
(Nachdenklich) Naja… So richtig nicht. Manchmal hat der eine oder andere ein bissel zuviel getrunken, aber das das Theater mal am Limit stand, daran kann  ich mich nicht erinnern.

Hat die SED-Diktatur Ihnen sehr über die Schulter geschaut?
Das Ministerium für Staatssicherheit war ja zu gegen. Und einmal haben sie mich auch befragt und gefragt: ‚Herr Straube, was haben sie denn da gestern erzählt‘ aber bestraft oder abkommandiert oder so wurde ich nicht und ein anderer, soweit ich weiß, auch nicht. Im Nachhinein hat die Bildzeitung die Stasileute von Halle benannt. Da war ich schon betroffen, wer da alles auf der Liste stand. Und sie ( Anm. der Redaktion: ‚die Stasi‘) sind ja mitgefahren zu den Gastspielen. Dort wurde nach der Vorstellung auch offen geredet, aber geschehen ist nichts. Wir hatten wohl eine gewisse Narrenfreiheit. Vielleicht weil die SED so sagen konnte: ‚Schaut! Das und das ist bei uns möglich‘. Als wir gebaut haben, waren aber   immer junge Männer in der Nähe der Baustelle, die geschaut haben was wir da machen. Aber sie haben uns bauen lassen.

Wie hat das neue Theater die Wende erlebt?
Es war grandios. Die Reisefreiheit haben wir als was ganz wunderbares erlebt. Einige Kollegen waren auch auf dem Markt und haben demonstriert. Die kamen auch in Gewahrsam. Ich hatte Studenten zu unterrichten und die baten mich nicht zu gehen, denn sie hatten ja ihr Vorspielen und wollten unterrichtet werden.
Schließlich konnte man andere Stücke spielen. Wir konnten Gastspiele machen. Naja und der Verdienst wurde besser.

Es klingt alles sehr familiär, was sie aus dieser Zeit erzählen. Beeinflusst die Geschichte das Haus noch heute?
Ja, absolut. Es war eine große Familie. Das ist ein ganz wichtiger Satz. Aber seit dem ist viel Zeit vergangen. Und es sind nicht mehr viele Leute von damals da. Heute wohnen die Schauspieler in Leipzig oder kommen von weiter weg. Da fehlt natürlich der Bezug. Früher war das anders, da war nach dem Stück die Kantine voll. Es wurde gescherzt und getrunken. Heute ist die Kantine leer. Aber heute gibt es die Matineen und Foyergespräche, die gut beim Publikum und den Schauspielern ankommen.



Was wünschen Sie dem nt für die nächsten 40 Jahre?
Ich wünsche, dass Stücke gut ausgesucht werden. Vielleicht könnten es mehr heitere Stücke sein. Das mag subjektiv sein, denn ich bin nur noch Gast als „Der Hypochonder“. Aber die Leute fragen mich nach heiteren Sachen und es gibt schon viele ernste und sehr modern inszenierte Stück. Das ist nicht uninteressant, aber da fehlt die Heiterkeit. Die Leute sind froh wenn sie lachen können.

Herr Straube, vielen Dank für das Gespräch.