„Eine Kulturtat europäischen Ranges“ – Gerhard Händlers zweite Moderne-Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale)

Als „eine Kulturtat europäischen Ranges“ bezeichnete Heinz Lüdecke am 8. Oktober 1948 in der Berliner Zeitung die Wiedereinrichtung der Sammlung der Moderne im halleschen Kunstmuseum. Anders als die meisten deutschen Städte hatte Halle kaum Zerstörungen durch die Bombenangriffe der Alliierten erlitten und verfügte über eine intakte Infrastruktur; der gesellschaftliche Neuanfang konnte unmittelbar beginnen. Auch das Kunstmuseum der Stadt in der Moritzburg hatte keine Schäden und nur wenige kriegsbedingte Verluste von Sammlungsobjekten erfahren. Nach einer kurzen Schließphase zur „personellen und sachlichen Entnazifizierung und Entmilitarisierung“ wurde es seit Frühjahr 1946 mit Ausstellungen bespielt.



Am 3. November 1947 wurde mit Gerhard Händler (1906–1982) erstmals wieder ein Kunsthistoriker Direktor des bis 1933 für die Kunst der Moderne so bedeutenden Museums. Er stand vor einer nicht geringen Herausforderung: die Wiederherstellung eines Museums, das bis zur verheerenden Aktion „Entartete Kunst“ der Nationalsozialisten im Sommer 1937 für seine herausragende Kunst der Moderne national etabliert war, 1947 aber nur noch über Rudimente hiervon verfügte. Ein bloßes Wiedereinrichten war nicht möglich, zunächst musste eine neue Sammlung moderner Kunst zusammengetragen werden. Dabei beeindrucken die Kraft und Intensität, mit der sich Händler um den Aufbau der neuen Moderne-Sammlung kümmerte. Binnen elf Monaten gelang es ihm, 129 Werke der Moderne und der Gegenwart anzukaufen sowie 146 Leihgaben von Künstlern und Sammlern zu organisieren. Einen bedeutenden Anteil hieran hatte Werner Mayer-Günther (1914–1979). Er war seit August 1945 als Leiter des Referats Bildende Kunst der Landesverwaltung tätig und u.a. für die Ankäufe von Werken aus Mittelndes Landeshaushalts verantwortlich. Damit war er für Händlers Aufbau der neuen Sammlung eine Schlüsselfigur. Händler musste sich nicht erst mit der Akquise der finanziellen Mittel beschäftigen, denn Mayer-Günther hatte es geschafft, für das Haushaltsjahr 1948 600.000 RM zu organisieren. Beide unternahmen wiederholt gemeinsame Fahrten in die Westsektoren Berlins, um mit den dortigen Galeristen Ankäufe zu verhandeln.



So entstand eine neue Sammlung moderner Kunst. Dabei vermochte es Händler nicht nur, sich in den Traditionen Max Sauerlandts und Alois Schardts zu bewegen, sondern auch eigene Akzente zu setzen. Dazu gehören jene Künstler, die er bereits in den 1930er-Jahren als Direktor der Anhaltischen Gemäldegalerie in Dessau und 1947 als künstlerischer Leiter der Galerie Henning in Halle (Saale) ausgestellt hatte und bislang nicht oder mit nur wenigen Arbeiten vertreten waren, z. B. Künstler aus dem Kreis um Otto Mueller und Oskar Moll, die zwischen 1919 und 1932 an der Kunstakademie in Breslau lehrten, darunter Alexander Camaro, dessen Gemälde „Am Morgen“ (1947) Nummer 5 der Neuerwerbungen Händlers wurde. Besonders berücksichtigte Händler Berliner Künstler aus dem Umfeld Karl Hofers. Werke von diesem erwarb er vorwiegend über Eduard Henning, während Camaro, Max Kaus, Fritz Cremer, Horst Strempel und Otto Herbig über die Kleine Galerie Walter Schüler in Berlin ins Haus kamen. Ebenso kaufte er bei Henning und Schüler Werke der „Alten“ – Erich Heckel, Christian Rohlfs oder Max Pechstein. So etablierte Händler innerhalb der Moderne-Sammlung eine umfangreiche Werkgruppe, die durch eine besondere Malkultur und eine melancholisch zu nennende Motivik gekennzeichnet ist. Möglicherweise hatte diese mehr als 30 Werke umfassende und für das hallesche Publikum stilistisch unbekannte Gruppe einen nachhaltigen Eindruck und Einflussauf die lokale Künstlerschaft, was die atmosphärische Nähe dieser Arbeiten zu denjenigen der Halleschen Schule der 1950er-Jahre erklären könnte.



Die Eröffnung der neuen Sammlungspräsentation fand am 7. Oktober 1948 statt. Zwar war die Resonanz auf das Museum mit seiner neuen Moderne-Sammlung zunächst höchst wertschätzend, anerkennend und lobend. Über die starke Ausrichtung auf das Ästhetische und den geringen Anteil sozialkritischer oder gesellschaftlich engagierter Positionen entbrannte jedoch umgehend eine Kontroverse, die in einem direkten Zusammenhang mit der Formalismus-Realismus-Debatte in der Sowjetisch Besetzten Zone und der späteren DDR stand. Am 12. Februar 1949 kündigte Händler nach einem Besuch von Gerhard Strauss von der Deutschen Zentralverwaltung in Ost-Berlin seine Stelle als Direktor mit den Worten: „Es ist mir unter den in letzter Zeit auferlegten Bedingungen […] leider nicht mehr möglich, meine Tätigkeit als Direktor des Moritzburgmuseums auszuüben, wie es mir mein Wissen und Gewissen vorschreibt.“ Strauss hatte eine Änderung des Ausstellungskonzeptes im Sinne der Staatsführung verlangt.

*Bildbeschreibung 1
Alexander Camaro: Am Morgen, 1947, Öl auf Leinwand, 94 x 122 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle

Foto: Punctum/Bertram Kober© VG Bild-Kunst. Bonn 2023