"Durch dieses Projekt sind wir zu Experten für alles geworden" – Eike Goreczka über "Die Maisinsel"

Eike Goreczka und Christoph Kukula sind die kreativen Köpfe hinter 42film. Die hallesche Filmproduktionsfirma koproduzierte den international preisgekrönten Film "Die Maisinsel" – der erfolgreichste europäische Film mit deutscher Beteiligung im Jahr 2015. Wir trafen Eike Goreczka zum Interview und sprachen mit ihm über "Die Maisinsel".

Kulturfalter: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit George Ovashvili und was hat euch an dem Filmprojekt interessiert?

Eike Goreczka: Ich habe George auf einem Festival in Belgien kennengelernt. Wir waren 2010 mit unserem Beitrag „Piggies“, damals mit Georges Debutfilm „Am anderen Ufer“, in einer Sparte für den Film Osteuropa untergebracht. Wir verbrachten deswegen sehr viel Zeit miteinander. Da kurz zuvor Krieg in Georgien war, erzählte George viel darüber und von der georgischen Kultur, die doch sehr viel unterschiedlicher ist, als man denkt. An dem Projekt interessierte uns gerade die Geschichte, ihre einfache wie prägnante Erzählung und die starken Bilder. Der Stoff ist – nicht zuletzt wegen der konfliktreichen Lebensumstände in Georgien, aber auch der Geschichte und Kultur – sehr stark und der Film schafft es, diese Erzählung fast ohne Dialoge rein ins Visuelle zu verlagern.

Was war euer Part bei der Umsetzung des Films?  

Wir haben den Film von Beginn an mit betreut, haben viel mit dem Drehbuch gearbeitet und waren beim Dreh dabei. Vor allem aber haben wir das Production Design gemacht – wir haben zum Beispiel die Insel gebaut und die Location dafür gesucht. Und das war keine leichte Angelegenheit. Wir waren etwa viermal in Georgien und haben uns bestimmt jeden Fluss angeschaut. Doch während im Film gerade die Unbeherrschbarkeit des Flusses im Mittelpunkt steht, die die Urbanisierung der Insel so gefährlich macht, kann man einen Filmdreh keinen Zufälligkeiten überlassen. Bei Filmarbeiten darf man die Kontrolle gerade nicht verlieren. Schließlich bauten wir die Insel mitten in einen Stausee im Nordwesten Georgiens, in der Nähe des Kaukasus. In Deutschland wäre das bestimmt unmöglich, aber in Georgien hat uns sogar das Energieministerium geholfen und das Wasser des Stausees für uns in der ersten Drehphase von April bis Juli höher gestaut und in der zweiten von Ende September bis November abgelassen, um die natürlichen Schwankungen des Sees auszugleichen. Die Insel steht übrigens immer noch im Stausee.

Ist "Die Maisinsel" ein politischer Film?  

Meines Erachtens ist der Film wenigstens in der Hinsicht politisch, dass die Insel in der Mitte zweier Konfliktparteien spielt – Georgien und Abchasien – und eben diese Situation natürlich auch im Film eine Rolle spielt. Hinzu kommt, dass der Film gerade von georgischer Seite auch harte Kritik erfahren hat. Der Großvater auf der Insel ist Abchase, und dass in „Die Maisinsel“ abchasisch gesprochen wird, ist auch nicht selbstverständlich. Seit den 90er-Jahren eskalierte der Konflikt zwischen Abchasien und Georgien immer mehr – diese Parteien sind also nicht gerade befreundet. Zwar enthält sich der Film eines politischen Statements komplett, dennoch nimmt der die Perspektive eines Abchasen ein. Im Vordergrund der Geschichte steht jedoch eine humanistische Idee: Wer sich um die Erde bemüht und ein Land bzw. einen Boden kultiviert, der hat auch ein Recht auf Heimat. Egal, woher er kommt und welcher Nationalität er ist. In dem Moment, in dem der abchasische Großvater mit seiner Tochter die Insel urbar macht und sich um sie kümmert, ist sie ihre Heimat.

Gab es etwas Besonderes bei der Umsetzung dieses Projektes?  

Der ganze Film ist alles andere als gewöhnlich und die Produktion war auch alles andere als alles, was man heutzutage bei einer Filmproduktion normalerweise erlebt. Eben das machte einen großen Teil der Attraktivität des Projekts auch für uns aus. Allein eine Insel in einem Stausee zu bauen, Experten zu befragen, diese Insel dann auch noch urbar zu machen und auf ihr Mais anzubauen, war mehr als bemerkenswert. Durch dieses Projekt sind wir Experten für alles geworden. Das war, neben den beständigen Außendrehs, tatsächlich eine nicht zu wiederholende Erfahrung und wir sind natürlich verdammt stolz über das Ergebnis.

Wie war die Zusammenarbeit mit einem so großen internationalen Team?

Das war überhaupt kein Problem. Gerade wenn Leute, die Filme machen, ihren Job verstehen, geht alles sehr reibungslos. Es ist auch egal, ob ich Dolly Gripper (derjenige, der den Kamerawagen bedient) im Iran bin oder in Deutschland – der Job ist derselbe. Wir arbeiteten als Team mit Leuten aus dem Iran, Israel, dem Baskenland und natürlich Georgien zusammen – da gab es keine Verständigungsschwierigkeiten oder Spannungen. Es war vielmehr sehr spannend, wie verschieden das Drehbuch und die Geschichte reflektiert wurde…

Kam der Erfolg des Films (Crystal Globe, Hauptpreis des Karlovy Vary International Film Festival 2014, Publikumspreis in Trieste, Großer Preis Bester Film in Montpellier und Shortlist Oscar für den besten ausländischen Film) unverhofft?  

Solange wir nicht wussten, wie das Publikum auf unseren Film reagiert, solange konnte man sagen, der Erfolg sei unverhofft. Seit wir jedoch in Karlovy Vary den Hauptpreis gewannen, wussten wir, dass wir einen guten Film gemacht haben, der auch dem Publikum gefällt. Dass „Die Maisinsel“ es dann jedoch bis auf die Shortlist der Oscars schaffte und der Erfolg noch immer anhält – der Film ist mittlerweile bei über 60 Festivals vertreten und hat über 30 Preise gewonnen –, das ist schon außergewöhnlich und eindrucksvoll.

Was hat sich für euch (42film) seit dem Erfolg von „Die Maisinsel“ verändert?  

Eigentlich hat uns der Erfolg in unserer Idee und unserem Bestreben, visuelles Kino zu machen, eher bestärkt, als dass sich in unserer Arbeit etwas verändert hätte. Wir sind 2009 in das Projekt eingestiegen, und wenn man drei bzw. vier Jahre hart arbeitet, dann ist solch ein Erfolg natürlich eine Bestätigung.

Welche neuen Projekte plant ihr?  

Wir arbeiten gerade an einem neuen Film mit George Ovashvili. Der Film „Khibula“ spielt auch zur Zeit des Bürgerkriegs und beschäftigt sich mit dem damals erstmals demokratisch und zudem gleich überwältigend gewählten Präsidenten Gamsachurdia. Doch kurze Zeit später wurde er durch einen Putsch vertrieben und flüchtet mit einer kleinen Entourage in die Berge, um dort nach loyalen Anhängern zu suchen. Der Film zeigt sehr kraftvoll, dass Macht keine Eigenschaft eines Individuums ist, sondern verliehen wird. „Khibula“ bildet damit den Abschluss einer Trilogie Ovashvilis mit „The Other Bank“ und „Corn Island“. Schon seit einer Weile produzieren wir recht erfolgreich die Serie „Zärtlichkeiten im Bus“. Das Duo „Zärtlichkeiten mit Freunden“ lädt darin Musiker zum Gespräch und zum Musikmachen in ihren Bus ein – für den MDR machen wir gerade neue Folgen. Dann arbeiten wir zusammen mit Mario Schneider an einem Dokumentarfilm. Mario Schneider, mit dem wir die „Mansfeld“-Trilogie gemacht haben, beschäftigt sich in „Naked Beauty“ nicht mit dem Mansfelder Land. Vielmehr geht es um die Sinnlichkeit des menschlichen Körpers. Außerdem sind wir gerade mit einem Dokumentarfilm beschäftigt, der den Versuch des deutschen Gitarristen Reentko Dirks thematisiert, Giora Feidman, mit der er zusammen eine CD in Israel aufnehmen soll, einen Wunsch zu erfüllen: einmal mit dem Palästinensischen Nationalorchester zu spielen. Und dann arbeiten wir noch an einem Projekt, auf das ich mich sehr freue. Es geht darin um die Moderne, die letztlich auch in die entlegensten Winkel der Erde vordringt. „Nanook“ ist die Geschichte eines alternden Inuit in Grönland, die als letzte Menschen in der Tradition ihres Volkes leben. Letztlich geht es in allen Projekten darum, etwas zu erzählen. Etwas, das auch mit der Gesellschaft zu tun hat und sich auch Stoffe vornimmt, die kritisches Potenzial haben oder Entwicklungen in der Gesellschaft aufgreift. Darin passt zum Beispiel ein Projekt, was wir schon seit längerer Zeit verfolgen: „Braune Gurken mit Zimt“. Darin geht es um den passionierten Hobbygärtner Horst – er könnte durchaus als PEGIDA-Anhänger beschrieben werden. Dieser durchaus nationalistische Deutsche trifft per Zufall auf einen nordafrikanischen Flüchtlingsjungen. Was aus dieser Situation wird, wie viel Empathie bei einer Person wie Horst und gleichermaßen wie viel Heuchelei beim so weltoffenen Bürgertum herrscht, nimmt der Film satirisch aufs Korn.

Wie beurteilt ihr Halle/Mitteldeutschland als Medienstandtort?  

Es ist schon schwierig, auf internationalen Filmfestivals zu erklären, wo man herkommt. Wenn man nicht Berlin sagt, weiß keiner so recht etwas mit einem anzufangen. Es ist auch schwierig zu erklären, dass man gar nicht in Berlin ansässig sein muss, um als Produktionsfirma gute Arbeit zu machen. Wir leben in Deutschland außerdem in einem föderalen System, im Unterschied beispielsweise zu Frankreich, das sehr zentralistisch verwaltet wird. Während hier in den Ländern regionale Fördermöglichkeiten herrschen, muss man in Frankreich in Paris sitzen, um Fördergelder beantragen zu können. Eine so gute Medienförderung in Sachsen-Anhalt mit der MDM gibt es dort halt nur zentralistisch. Ansonsten haben wir in Halle unser Umfeld und mögen es einfach, hier zu leben und zu arbeiten.

Herr Goreczka, vielen Dank für das Gespräch.


Trailer: Die Maisinsel