Händels Waisen - Das erste Benefizkonzert Händels

Im Jahr 1749 erklang im Londoner Waisenhaus, dem Foundling Hospital des Thomas Coram (1668-1751), erstmals ein Benefizkonzert aus der Feder Georg Friedrich Händels. Die Entstehung und Aufführung dieses zu Unrecht unbekannten Werkes ist auf vielfältige Weise mit der Stadt Halle und den Franckeschen Stiftungen verbunden. Daran soll die Wiederaufführung des Konzerts im Jubiläumsjahr des Komponisten in seiner Geburtsstadt Halle erinnern. Der 1685 in Halle geborene und seit 1712 durchgängig in London lebende Komponist Georg Friedrich Händel hatte seine Kindheit in enger Nachbarschaft zu dem weltweit ausstrahlenden Reformwerk des Universitätsprofessors und Pietisten August Hermann Francke (1663-1727) verbracht. Nur wenige hundert Meter südlich des Marktes in dem direkt vor der Stadt gelegenen Glaucha begann mit der Grundsteinlegung des Waisenhauses im Jahr 1698 unter der Leitung Franckes eine Schulstadt zu gedeihen, die Aufmerksamkeit aus dem In- und Ausland auf sich zog. Händel war damals 23 Jahre alt, seit 1702 war er an der Friedrichs-Universität immatrikuliert, an der auch Francke Gründungsprofessor war. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann man davon ausgehen, dass Händel das Entstehen der Stiftungen mit ihrem vielgliedrigen Schulsystem, einer Mädchenschule, dem praktischen Realienunterricht und nicht zuletzt so wegweisenden Einrichtungen wie dem Cansteinschen Bibelzentrum oder dem Collegium orientale theologicum, nicht entging. Hier entstand ein Bildungskosmos für Kinder aller Schichten. Bereits das Englische Haus, heute Haus 26 auf dem Gelände der Franckeschen Stiftungen, zeugt von engen Verbindungen zum englischen Königshaus. Königin Anne (1665-1714) stiftete es im Jahr 1710 für die englischen Zöglinge am Halleschen Waisenhaus.



Auch dem Gründer des Londoner Foundling Hospital, Thomas Coram, war das Hallesche Waisenhaus bekannt. Als Kapitän unter englischer Flagge hatte er lange Zeit in den englischen Kolonien in Nordamerika verbracht. 1732 trat er als einer der Treuhänder der von James Oglethorpe neu gegründeten Kolonie Georgia auf. Im selben Jahr luden die Treuhänder der Kolonie die aus Österreich vertriebenen protestantischen Salzburger zu sich ein, die von den Franckeschen Stiftungen zu Halle aus geistlich betreut werden sollten und so bis heute mit Franckes Werk in Halle vertraut blieben. Ihr erster Pastor war der damals gerade erst 31-jährige Johann Martin Boltzius. Als Student der Universität arbeitete er als Informator an den Lateinschulen des Halleschen Waisenhauses. Von hier aus entsandte ihn Gotthilf August Francke (1696-1769) im Jahr 1733 zur Unterstützung der nach Nordamerika ausreisenden Salzburger Exulanten. Gemeinsam mit den ersten 37 Familien trat Boltzius 1734 seine Reise an. Bereits 1737 gründeten die Neusiedler in ihrer Siedlung Ebenezer Schulen und ein Waisenhaus.



Der ehemalige Kapitän Thomas Coram wurde nach seiner Rückkehr nach London auf die auch hier herrschende Armut unter den Kindern aufmerksam. 1739 gründete er das Foundling Hospital, ein Waisenhaus, dessen Gebäudekomplex von einem Kreuzgang mit Kapelle abgeschlossen werden sollte. Der Vollendung der Kapelle waren die Einnahmen aus dem Benefizkonzert Händels gewidmet. In Anwesenheit des Prinzen und der Prinzessin von Wales erklang am 27. Mai 1749 um 12 Uhr mittags ein dreiteiliges, von Händel aus seinen früheren Werken zusammengestelltes und durch neue Kompositionen ergänztes einmaliges Konzert, dessen Hymne das Anthem „Blessed are they that considereth the Poor an Needy“ in die Musikgeschichte eingehen sollte.

Nach 260 Jahren, am 17. Mai 2009, wird das wiederentdeckte Benefizkonzert durch die LauttenCompagney Berlin unter Wolfgang Katschner und den Stadtsingechor im Freylinghausen-Saal erklingen. Das Konzert in den Franckeschen Stiftungen bildet den Auftakt für die Jahresausstellung „Kinder, Krätze, Karitas. Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit“, die bis zum 4. Oktober auf der Ausstellungsetage im Historischen Waisenhaus die Entwicklung der Sozialfürsorge in Deutschland und Europa im Kontext der von den Glauchaschen Anstalten im 18. Jahrhundert ausgehenden Reformideen spiegelt.

(Friederike Lippold, Kulturfalter Mai 2009)