Das Ende des Bewerbungsmarathons - Franckesche Stiftungen ziehen Bewerbung zum Unesco-Welterbe zurück

Das Hoffen und Bangen um den Titel des Weltkulturerbes in der Händel-Stadt hat voerst ein Ende. Im Januar 2016 äußerten sich die Verantwortlichen der Franckeschen Stiftungen in einer Pressemitteilung zum aktuellen Stand um die Bewerbung. So ziehen die Franckeschen Stiftungen den Antrag auf Aufnahme in das UNESCO-Welterbe zum jetzigen Zeitpunkt zurück und gehen damit wieder auf den Tentativstatus.

Hier die Stellungnahme vom 7. Januar 2016

Das Kuratorium der Franckeschen Stiftungen hat in seiner Sitzung am 7. Januar 2016 nach enger Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt beschlossen, den Antrag der Franckeschen Stiftungen um Aufnahme in das UNESCO-Welterbe zum jetzigen Zeitpunkt zurückzuziehen. Damit genießt die Schulstadt August Hermann Franckes wieder den Tentativstatus und der Antrag kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal eingereicht werden.  

„Die Franckeschen Stiftungen stehen seit 1998 auf der deutschen Tentativliste für die UNESCO-Welterbeliste. Die jetzige Landesregierung, insbesondere Herr Kultusminister Dorgerloh, hat es uns ermöglicht, den Antrag zu erarbeiten. Diese Chance haben wir selbstverständlich ergriffen und den Antrag in einem sehr konzentrierten Prozess innerhalb von 2 Jahren erarbeitet.“, sagte Stiftungsdirektor Prof. Dr. Thomas Müller-Bahlke und ergänzt: „Am 30. November 2015 waren wir nach Paris eingeladen worden, um mit ICOMOS International letzte Fragen zum Antrag zu diskutieren. Dort wurde uns völlig überraschend der Beschluss mitgeteilt, dass unser Antrag seitens des Gremiums nicht unterstützt wird.“  

Das Kuratorium der Franckeschen Stiftungen war kurz nach der Rückkehr von Stiftungsdirektor Prof. Dr. Müller-Bahlke und dem UNESCO-Beauftragten Prof. Dr. Holger Zaunstöck aus Paris zusammengetreten und beschloss, sich auf den 7. Januar zu vertagen. Die heutige Entscheidung des höchsten Gremiums der Stiftungen, den Antrag zurückzuziehen, eröffnet nach den geltenden Regularien der UNESCO die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt den Antrag erneut einzureichen.  

Die Franckeschen Stiftungen werden die intensiven, internationalen und interdisziplinären Forschungen zur facettenreichen Geschichte der Schulstadt August Hermann Franckes fortführen. Vom 6.-8. April 2016 wird eine Tagung im Historischen Waisenhaus unter dem Titel „Die andere Seite des Barock. Sozialfürsorge- und Bildungsbauten im 17. und 18. Jahrhundert (Beispiele, Vergleiche, Perspektiven)“ stattfinden. Ziel wird es sein, am Beispiel der Franckeschen Stiftungen die Bedeutung der Sozial- und Bildungsarchitektur für die Kulturgeschichte im europäischen Kontext herauszuarbeiten.  

„Wir können schon heute sagen, dass wir bis zu diesem Zeitpunkt, der für uns zweifellos einen herben Rückschlag bedeutet, sehr viel erreicht haben. Neben der Erlangung grundlegend neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse haben wir es geschafft, ein neues Interesse in der Stadt und in der Region für die Franckeschen Stiftungen und für ihre Themen zu wecken, wie wir uns das nicht besser hätten wünschen können. Wir waren überwältigt davon und wir werden an diese Sympathiewelle anknüpfen, für die ich mich noch einmal ganz herzlich bedanken möchte.“, sagt Prof. Dr. Thomas Müller-Bahlke. 



Stephan Dorgerloh, Kultusminister des Landes Sachsen-Anhalts, unterstrich zur Pressekonferenz

„Der Antrag soll zwar zurückgezogen werden, aber der Bedeutung der Stiftungen – national und international – tut das keinen Abbruch. Von Halle aus haben die Stiftungen August Hermann Franckes gezeigt, wie ‚Weltverwandlung durch Menschenverwandlung‘ geht. Dafür stehen das Waisenhaus mit seiner Architektur und die ganze Schulstadt, die bis heute nachwirkt. Wir halten daran fest und sind weiterhin überzeugt, dass der Antrag qualitativ gut begründet und inhaltlich untersetzt war und ist. Um die Chance auf den Welterbetitel überhaupt aufrecht zu erhalten, wird man nun eine andere Strategie entwickeln müssen. Unabhängig davon gilt es, die Franckeschen Stiftungen auch auf andere Weise voranzubringen und möglicherweise mit noch mehr internationalen und nationalen Partnern zu zeigen, warum die Stiftungen von außergewöhnlicher universeller Bedeutung sind.“   

Stimmen der Fachgutachter des Weltkulturerbes

Die Erarbeitung des Gutachtens für die Aufnahme der Franckeschen Stiftungen in Halle und vor allem die Lektüre der "Mitgutachten" hat mir noch einmal klar gezeigt, dass in der Geschichte der Erziehung hier eine, vielleicht sogar die entscheidende Weichenstellung für den Weg in die Moderne vorgenommen wurde. Viele andere historische Zeugnisse, die den gleichen Weg weisen,  bündeln nicht in der gleichen Weise die Perspektive der Moderne oder sind verschwunden. Halle ist und bleibt einer der wichtigsten "lieu de mémoire" (Pierre Nora), die uns unserer eigenen pädagogischen Geschichte bewusst halten.

Professor Dr. Fritz Osterwalder, Bern  

Obwohl die Enttäuschung über die Ablehnung des Antrages verständlich ist, bedeutet diese Ablehnung nicht, dass das, wofür die Franckeschen Anstalten stehen, nicht von überregionaler und übernationaler Bedeutung ist. Der Titel „Weltererbe“ wird für herausragende Monumente vergeben, deren Wirkung und Bedeutung einem solchen Anspruch gerecht werden müssen. Hier steht das materielle Erbe im Vordergrund. Die Feststellung dieser Eigenschaften ist von Bewertungskriterien abhängig, die auch immer zeitgebunden sind. Der überkommene Baubestand der Franckeschen „Schulstadt“ gewinnt erst in Zusammenhang mit der in diesen Räumen verrichteten immateriellen Arbeit seine herausragende Stellung. Der enge Bezug von materiellem Bestand und immateriellen Inhalten stellt ja den besonderen Anreiz dar, sich mit den Franckeschen Anstalten so intensiv auseinander zu setzen. Zugleich passt dieser Kriterien-Mix nur schwer in die bisher von der UNESCO angewendete Unterteilung in materielles und immaterielles Erbe. Dennoch: Die im Welterbeantragsverfahren interdisziplinär zusammenarbeitenden Fachgutachten haben viele neue Erkenntnisse zu Tage gebracht, die es wert sind, weiter verfolgt zu werden.

Dr.-Ing. Thomas Eißing, Bamberg  

Seit mich vor 25 Jahren der unvergessene Paul Raabe durch die Franckeschen Stiftungen führte, weiß ich um deren unschätzbaren kulturhistorischen Wert. Nirgendwo auf der Welt besteht ein vergleichbares Ensemble, dessen einzigartige Architektur einem ebenso einzigartigen sozialen und pädagogischen Zweck gewidmet ist. Mit großem Enthusiasmus habe ich mich deshalb für den Antrag auf Einschreibung der Franckeschen Stiftungen in die Weltkulturerbeliste eingesetzt.