Filmregisseur Edwin - Mein Film ist 'Kino' und ich mag es meine Werke bunt zu gestalten

Der Film "Die Nacht der Giraffe" ist der zweite Langfilm des indonesischen Regisseurs Edwin. Der Film erzählt die außergewöhnliche Geschichte des jungen Mädchens Lana, das im Alter von drei Jahren von ihrem Vater im Zoo von Jakarta ausgesetzt wird. Dort wird sie von den Tierpflegern großgezogen und wächst mit den Tieren auf. Erst als Erwachsene lernt sie die Welt vor den Mauern des Zoos kennen. In ihrer neuen Welt muss sich Lana der Frage nach ihrer Heimat stellen und auf die Suche ihres eigenen Weges begeben. Kulturfalterredakteurin Maren Schubart traf Edwin zum Interview im Bergzoo Halle.

Kulturfalter: Worauf basiert diese Geschichte? Gibt es ein Buch oder vielleicht sogar eine wahre Begebenheit?

Edwin: Nun, ich habe herausgefunden, dass in den 1980er-Jahren viele Menschen in den Zoos Indonesiens regelrecht gelebt haben. Nachts, wenn der Tierpark eigentlich geschlossen ist, sind sie über die Mauern gesprungen und haben ihre Zelte aufgestellt. In einem Zoo lässt es sich gut leben. Man kann sich Fische fangen und grillen und es gibt viele Grünflächen. Diesen Lebensstil fand ich sehr interessant. Außerdem ist der Zoo der einzige ruhige, friedliche Ort in so einer lauten, hektischen Stadt wie Jakarta. Ich war sehr oft im Zoo in Jakarta, denn da kann man wunderbar abschalten. Eines Tages lief dort ein Mädchen umher, ganz allein, sie hatte ihre Eltern verloren, das passiert ja fast jedem Kind einmal. Glücklicherweise wurde sie wieder gefunden. Aber in dem Moment habe ich mir gedacht, dass es doch eine interessante Geschichte sein könnte: ein Kind, das im Zoo ausgesetzt wird. Diese Geschichte ist also eine Mischung aus reiner Fiktion und einer wahrer Begebenheit.

Lana wächst mit den Tieren auf, gibt es da noch Unterschiede zwischen Mensch und Tier?

Für mich gibt es zwischen den Tieren und den Protagonisten keine Unterschiede mehr. Alle Charaktere, ob nun die Giraffe oder Lana, haben das gleiche Gefühl: Sie sind verloren, sie befinden sich nicht an dem Ort, an dem sie natürlicherweise leben würden. Die Tiere, die im Zoo geboren werden, kennen ihren natürlichen Lebensraum zwar nicht, aber ich bin mir sicher, dass sie instinktiv merken, dass sie eigentlich anders leben, nicht eingesperrt und ohne genügend Auslauf. Besonders hervorgehoben werden drei Tierarten, die Giraffe, der Tiger und ein Nilpferd.



Warum gerade diese?

Giraffen sind sozusagen meine Lieblingstiere, ich mag ihren Charakter, außerdem sehen sie aus, als wären sie nicht von dieser Welt. Eine Giraffe hat etwas Wunderschönes, etwas sehr Herrschaftliches. Nilpferde mag ich auch einfach gern, vor allem das im Zoo von Jakarta, es ist so freundlich. Der Zoodirektor in Jakarta ist die Vorlage für den Direktor im Film, der einer der wichtigsten Charaktere ist. Dieser Mann lebt wirklich im Zoo. Er geht höchsten zwei, drei Mal im Jahr in die Stadt, um seine Familie zu besuchen, ansonsten wohnt und lebt er mit den Tieren. Vor allem mit den Tigern, er liebt Tiger und zieht die Kleinen, die von ihren Müttern verlassen wurden, groß. Deswegen habe ich den Tiger als drittes Tier hervorgehoben. Der junge Mann, der Lana die Welt vor den Zoomauern zeigt, ist Gelegenheitsmagier.

Was fasziniert Sie an der Magie?

Ich mag Tricks gerne. Bei der Magie geht es immer ums Verschwinden, das fasziniert uns Menschen. Wie ich bereits erzählt habe, ist eines der zentralen Themen das Gefühl des Verlorenseins. Es geht um die Frage, wohin man eigentlich gehört. Ein Zauberer lässt Dinge verschwinden, sie gehen sozusagen verloren, doch dann zaubert er sie wieder hervor, sie gehören wieder irgendwo hin, das fasziniert mich und passt in meinen Augen sehr gut zum Film.

Man kann den Film nur schwer einer Kategorie zuordnen. Was für einen Film haben Sie kreiert? Ein Märchen oder ein Drama....? Oder war es Ihnen gerade wichtig, einen in kein gängiges Genre passenden Film zu machen?

Ganz genau, mir war es sehr wichtig einen Film zu machen, der eben in kein Genre passt. Ich denke, dass es hier darum geht Kino zu machen. Mein Film ist „Kino“, ich bediene mich verschiedenster Genres und baue daraus meinen Film. Dieser soll ein Erlebnis sein, da ist die Kategorie nicht wichtig. Das heißt jedoch nicht, dass ich gegen diese Kategorisierung bin. Ich persönlich mag es einfach, meine Filme „bunt“ zu gestalten. Sie reißen den Zuschauer mit in eine wunderschöne Traumwelt ohne viele Dialoge, aber voller berührender, verspielter Bilder. Doch stellen Sie auch die „bittere“ Realität dar, wenn Lana die Arbeit in einem Massagestudio mit den gewissen Extras aufnimmt.

Hier sprechen Sie ein Tabuthema in einem überwiegend muslimisch geprägten Land wie Indonesien an, welche Reaktionen haben Sie darauf bekommen?

In Jakarta gibt es viele Massagestudios. Dabei geht es überhaupt nicht immer um Sex oder Prostitution. Viele Menschen sehnen sich nach Berührungen. Ich habe das Gefühl, dass es immer seltener wird, dass wir wirklich einander berühren. Jeder patscht auf seinem Smartphone rum, aber dass wir Menschen uns mal umarmen, uns die Hand geben, das passiert nicht oft. Außerdem ist so ein Massagestudio auch ein Ort der Ruhe, man gönnt sich eine Auszeit von all dem Stress und Trubel. Es hat eine ähnliche Wirkung wie der Zoo. Lana muss hier lernen mit Menschen umzugehen, die sich nach Berührung sehnen. Im Tierpark ist das genauso. Auch die Giraffe sehnt sich nach Berührungen, sie ist die einzige ihrer Art im Zoo. Zwischen Mensch und Tier gibt es keinen Unterschied.

Gab es denn direkte Kritiken?

Nun, jeder Film lässt verschiedene Interpretationen zu. Natürlich gibt es Leute, die Lanas Arbeit in dem Massagestudio falsch verstehen. Aber persönliche Kritik habe ich noch keine bekommen.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der Pallas Film GmbH?

Vor drei Jahren habe ich die Produzenten von Pallas Film GmbH kennengelernt. Ich hatte damals schon das Skript, war aber noch auf der Suche nach einem Koproduzenten. Wir haben uns in Korea auf einem Filmfestival getroffen. Ich mochte deren Arbeit und sie mochten mein Skript, also haben wir begonnen zusammenzuarbeiten. Lana begibt sich im Film auf die Suche nach ihrem eigenen Weg und muss sich der Frage stellen, was Heimat für sie bedeutet.

Wie würden Sie Heimat definieren?

Die Frage nach „Heimat“ ist eine große. Wir befinden uns ständig auf der Suche nach „Heimat“. Ich denke, dass es eher ein Gefühl ist. Es ist niemals nur ein Ort, es ist nicht statisch. Dieses Gefühl muss immer in Bewegung bleiben, ansonsten wird es langweilig.

Seit wann sind Sie in Halle? Hatten Sie die Möglichkeit, sich die Stadt ein wenig anzuschauen?

Es ist das erste Mal, dass ich in Halle bin. Ich bin erst vor einer Stunde gelandet, vielleicht finde ich später noch ein wenig Zeit für einen Spaziergang.

Edwin, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute.

 

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