Wow, was ist hier los

Es war am 21. Dezember 1989 in Berlin. Die Stadt befand sich im Umbruch, im Begriff der Auflösung und doch voller Möglichkeiten. Die Westberliner Punkband „Einstürzende Neubauten“ sollte ihr erstes Konzert im Osten in der noch geteilten Stadt geben und begab sich auf eine ungewöhnliche Reise durch ein Berlin im Wandel. Es ging vorbei an Grenzkontrollen und durch die Mauer, deren Aufhebung nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien.

Im Wilhelm-Pieck-Saal des VEB Elektrokohle traf schließlich nicht nur ein westdeutscher Kulturexport auf ein Symbol der Arbeit. Die Band sah sich außerdem einem besonderen Publikum gegenüber, das trotz Grenzöffnung nicht die Flucht, sondern die Konzertkarte ergriffen hatte. Begleitet wurde die Band durch den Dokumentarfilmer Uli M. Schueppel und dieser bannte diesen Tag auf Zelluloid. Knapp zwanzig Jahre später holte Schueppel das Material aus dem Keller und machte einen Film über einen historischen Moment in einem kulturellen Zwischenreich, in dem sich ein  Offiziersschüler aus Löbau, Heiner Müller und französische Minister und zahlreiche andere Menschen trafen. Er geht in „Elektrokohle – Von wegen“ mit einigen Konzertbesuchern die Wege von damals nach und lässt sie erzählen. So entsteht ein Road-Mosaik durch Zeit und Raum und gewährt Einblick in eine vergangene Zeit, die viel verändert hat und deren Spuren viele Menschen in sich tragen. Zur Kulturfalter-Preview des Filmes stellte sich Regisseur Ulrich M. Schüppel den Fragen des Publikums und Kulturfalterredakteur Alexander Bernstein sprach mit ihm über den Film in der Reihe „Station in Halle“.

Kulturfalter: Wo waren Sie gestern?

Ulrich M. Schüppel: Wir waren in Rostock bei einer Präsentation des Filmes. Es war ziemlich cool, denn die Leute haben viele Fragen gestellt und es waren einige da, die damals auf dem Konzert waren.  



Was kennen Sie von Halle? Welchen Eindruck haben Sie von der Stadt?

Ich persönlich kenne Halle überhaupt nicht. Meine Mutter hat hier zwei Jahre gelebt und hat mir manchmal Geschichten aus dieser Zeit erzählt. Deswegen ist es schon ein cooles Gefühl, auf einmal hier zu sein. Aber ich finde es ist ein wunderschöner Ort. Das Kino hat echt Flair. Wenn es so etwas in Berlin geben würde, dann wäre das der absolute Kult.  

Im Film Elektrokohle geht es um die Zeit zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Am 9. November habe ich gearbeitet. Ich habe da gerade meinen Film über Nick Cave gemacht und saß im Schnittraum. Erst in der Nacht um zwei bin ich dann raus zum Ernst-Reuter-Platz. Ich dachte nur „Wow, was ist hier los“. Aber es war nicht die Riesenfreude, eher Skepsis und Nachdenklichkeit. Es war so ein irreales Ding, dass sich die Mauer öffnet. Am Ende war es der optimale Zeitpunkt. Ich war eigentlich kurz davor wegzugehen, aber auf einmal war alles voller Energie und da bin ich geblieben.  

Ist etwas aus dieser Zeit übrig geblieben?

Nein, ist es nicht. Ich bin aber auch nicht so ein sentimentaler Typ, der sagt, dass früher alles besser war oder so. Es war alles richtig, was passierte. Es war ja auch nicht nur die DDR am Ende. Berlin war auch am Ende. Wir lebten ja wie in einem Kokon. Das Verrückte, das Freie und das Anderssein hatte sich aber totgelaufen. Kreativ war die Stadt am Ende. Es konnte nichts besseres passieren, als das die DDR explodierte.  

Wie haben Sie den Weg zum Konzert erlebt?

Es war eine verrückte Sache. Es war kurz nach der Maueröffnung und die aus dem Osten kamen einfach herüber und wir standen vier Stunden am Checkpoint Charlie. Wir mussten alle möglichen Formalitäten erledigen und es gab auch den Zwangsumtausch noch.  



 Wie haben Sie das Konzert an sich erlebt?

Davon habe ich nicht so viel mitbekommen. Ich habe die ganze Zeit gefilmt, da ist man sehr abgelenkt. Die Leute wirkten sehr unsicher und neugierig. Für einige war es die Erfüllung schlechthin und andere wurden abgeschreckt, weil die Neubauten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr absolut Punk waren. Andere hatten sich die Neubauten wiederum ganz anders vorgestellt und merkten dort, dass es nicht ihr Ding war. Aber es wurde auch Pogo getanzt und die Volkspolizei schaute einmal vorbei. Man muss aber auch erwähnen, dass es zwei Konzerte waren. Das erkennt man im Film nicht unbedingt.  

Wie kamen Sie auf die Idee, diesen Film zu machen?

Ich habe das Material erst einmal weggepackt, weil ich gerade den Tourfilm über Nick Cave gemacht hatte. Ich wollte nicht, dass die Leute denken „Hey der Schüppel – macht ja nur Tourfilme“. Dann hatte ich Angst vor der Schublade mit den Filmen. Ich hatte Angst, dass die Bänder hin sind und hatte echt Schiss mir das Material anzuschauen. Dann schwante mir, dass jetzt zum 20jährigen Jubiläum ein Haufen Filme gezeigt und gemacht werden. Im Dokumentarfilmbereich werden wieder die alten und schon oft gezeigten Aufnahmen zu sehen sein. Da wollte ich andere Geschichten erzählen. An dem Wendetag haben viele Geschichten ihren Anfang. Und so kam ich auf die Idee, das Material zu sichten und zu einem Film zu nutzen.  

Wie haben Sie die Fans wiedergefunden?

Das war ganz normale Recherche. Wir haben Aufrufe gestartet und Flugblätter verteilt. Auch sind die Neubauten auch jetzt noch extrem gut vernetzt. Da war es gar nicht so schwer die Fans zu finden. Schwerer war es die entsprechenden Geschichten auszuwählen.  

Wie konnten die Fans eigentlich damals die Karten erwerben?

Wir hatten überlegt, ob die Karten über die FDJ verteilt wurden. Aber es gab so etwas wie einen Kartenvorverkauf über Theaterkassen.  

Wie haben die Fans das Konzert erlebt?

Das war sehr unterschiedlich. Einige haben sich riesig gefreut. Die Platten wurden ja von Mielcke verboten. Die Schallplatten wurden von Omas über die Grenze geschmuggelt und dann innerhalb einer Woche tausend Mal kopiert. Kaum jemand hatte die Neubauten gesehen. Deswegen fragten sich viele: „Wie sehen die eigentlich aus?“, „Wie bewegten die sich?“. Die Neubauten waren ja auch voll im Postpunk und ihre Platte hieß passenderweise „Haus der Lüge“.

Wo geht’s morgen hin?

Morgen geht’s nach Berlin zur Premiere des Filmes in der Kulturbrauerei.

Herr Schüppel, vielen Dank für das Gespräch!

(Alexander Bernstein, Kulturfalter Mai 2009)

 

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